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Schamanin. Robert Mapplethorpe porträtiert Louise Bourgeois 1982 mit ihrer Skulptur „Fillette“ und im Mantel aus Affenhaar.

© mauritius images

Louise Bourgeois: Die Langstreckenläuferin

Die Jahrhundertkünstlerin Louise Bourgeois ist tot. Doch die New Yorkerin war schon zu Lebzeiten eine Legende. Ein Nachruf.

Sie ist am Ende doch das kleine Mädchen geblieben, das zierliche Wesen, das sich umgibt mit Leinenkleidern und Puppenhäusern, sich zurückträumt in Kindheitszeiten einer anderen Welt, eines anderen Jahrhunderts, das Frankreich des angehenden 20. Jahrhunderts, das im Rückblick wirkt, als sei es 18. Jahrhundert, als man noch in Schlössern wohnt, in mühevoller Handarbeit an Teppichen arbeitet. Und die Männer, die Ernährer, die Herrscher der Familie bringen ungestraft ihre Geliebten ins Haus, und die Frauen grämen sich darob und siechen dahin. So war es bei Louise Bourgeois zu Hause.

Sie ist bis zum Ende die Rebellin gewesen, die lachend unwürdige Greisin, die Herlinde Koelbl fröhlich mit der Coladose in der Hand porträtiert hat. Sie war unberechenbar, unbotmäßig, unbezwingbar, von nie versiegendem, trockenem Humor. Wenn sie nicht wollte, wollte sie nicht, wollte kein Interview, kein Gespräch, und Reisen schon gar nicht, schon seit Jahren nicht mehr, da konnten die Ausstellungen und Preise noch so locken. Dafür sind unzählige Künstler sonntagnachmittags zu ihrem Haus in Chelsea gepilgert, in der Hand Schokoladenschachtel und Zeichenmappe und im Herzen die Hoffnung auf Entdeckung, auf Anerkennung – und haben sich oft eine rüde Abfuhr geholt, in ihrem Urteil war Madame unbestechlich, gnadenlos. Und doch muss es ein Erlebnis gewesen sein, das viele hat wiederkommen lassen, in jenes verwunschene, verwahrloste Zauberhaus in der 20. Straße, wo es Cola gibt am Nachmittag, und Whisky dazu.

Louise Bourgeois ist eine Legende zu Lebzeiten gewesen, ein Vorbild für nachfolgende Generationen, gerade weil sie so unverbogen schroff, so unbestechlich eigen sein konnte. Und sie ist am Ende die alte Indianerin gewesen, die weise Schamanin. „Eine sehr alte jugendliche Dame, die frei, immer zu Späßen aufgelegt und nicht sehr artig war“, hat Frankreichs Kulturminister Frédéric Mitterrand der großen Landsmännin hinterhergerufen, die doch schon mehr als ein halbes Jahrhundert in New York lebte und sich immer noch, vor allem im Zorn, ihren französischen Akzent bewahrt hat.

Das große Thema, eingewoben in ihr Werk wie ein roter Faden, mit dem sie ihre späten Stickereibilder zeichnete, heißt für Louise Bourgeois Körper – und Sex. Ähnlich wie die Österreicherin Maria Lassnig, die andere grande dame der Kunst des 20. Jahrhunderts, hat die 98-Jährige, die zuletzt liebevoll umsorgt wurde von ihrem Gehilfen und Gefährten Jerry Gorovoy, konsequent und lustvoll immer wieder Sexualität thematisiert, Phalli, Euter, Brüste, schwellende Formen, Handschmeichler, mal in Latex, mal in Marmor, obszön und formschön zugleich. Gerade ist in Berlin-Charlottenburg in der Sammlung Scharf-Gerstenberg eine Ausstellung zu sehen, die Louise Bourgeois mit dem neun Jahre älteren Hans Bellmer zusammenspannt: zwei Skandalmacher, zwei Grenzübertreter und zwei, die sich ihr Leben lang mit Kindheitserinnerungen und Kindheitsverletzungen auseinandergesetzt haben.

Zorn ist ein guter Antrieb, das gilt für ihr ganzes Werk. Es hat etwas ungemein Produktives, wie Louise Bourgeois immer wieder neu mit dem Thema Weiblichkeit und Emanzipation, mit ihrem Hass auf den untreuen Vater, mit verletztem Stolz und familiären Schuldgefühlen umgeht. „The Destruction of the Father“ heißt eine ihrer berühmtesten Installationen von 1974: der Vater als übermächtige Macht, von der sich die Kinder nur durch einen kannibalischen Akt befreien können.

Die an den Surrealisten geschulten frühen Bilder und Skulpturen, die seit Mitte der vierziger Jahre in New York entstehen, setzen schon eindeutige Zeichen: die „femme maison“, die statt eines Kopfes ein Haus übergestülpt trägt, ewiges Dilemma der Hausfrau und Mutter, die aus ihrem Kokon nicht auszubrechen vermag. Aber auch die stelenhaften ersten Holzskulpturen, aus Sehnsucht geborene Porträts von Familienangehörigen, die an die New Yorker Hochhäuser, aber auch an afrikanische Plastiken erinnern. Doch den letzten Schlüssel zu Blaubarts siebtem Raum scheint Louise Bourgeois erst im Spätwerk, in den Neunzigern gefunden zu haben: in den gefängnisartigen Rauminstallationen der „cells“, die in nostalgischem Schummerlicht die Erinnerungsstücke der Kindheit bewahren – das schlossähnliche Elternhaus, die verschlissenen Leinenkleider, Betten und Schränke, Spiegel und Türen, Knochen und Puppen. Hinzu kommt ein in den letzten Jahren noch einmal mächtig angewachsenes Konvolut an Zeichnungen, Geistes- und Gedankennotaten, in Kinderschrift und Comicstil, eine Gratwanderung zwischen Literatur und Kunst, gelegentlich wird, in partiturähnlichen Folgen, auch die Musik gestreift – damals, 2003, in der Louise-Bourgeois-Ausstellung in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, war im ersten Raum die schon brüchige Stimme der Künstlerin zu hören, wie sie französische Kinderlieder sang.

Doch ihr berühmtestes, bekanntestes Werk werden die Spinnen bleiben, diese überlebensgroßen Skulpturen auf fragilen, endlos langen Beinen, die seit den Neunzigern vermehrt auf Ausstellungen auftauchen: ikonenhaft bildgewordene Symbole von Fleiß und Mütterlichkeit, aber auch angstbesetzte Schreckbilder. Und sie wird auf immer die Spinnenkönigin bleiben, Louise Bourgeois, in deren feinem, altersweichen Gesicht sich in den letzten Jahren spinnwebhaft die Runzeln eingeschrieben hatten: als immerfleißige, nimmermüde Arbeiterin und als souveräne Jägerin, die warten konnte, bis ihre Zeit gekommen war.

Denn ihr Netz der Symbole und Zeichen hatte sie längst gespannt, seit den Vierzigern, doch der Ruhm blieb aus, jahrzehntelang. Erst mit der Retrospektive im Museum of Modern Art 1982 setzt ihre Entdeckung, ihre Wandlung zur meistbewunderten Künstlerin ihrer Zeit ein – da war Louise Bourgeois schon in den Siebzigern, in einem Alter, in dem andere sich zur Ruhe setzen, und doch kein bisschen müde. Die Stationen des Ruhms, die zweimalige Teilnahme an der Documenta in Kassel, die Gestaltung des amerikanischen Pavillons auf der Biennale in Venedig sowie eine Vielzahl von Ausstellungen hat sie gelassen bestritten, hat sich den Anforderungen und Zumutungen des Kunstbetriebs entzogen und eigensinnig an ihrem Werk weitergestrickt, unkorrumpierbar, wenn auch durchaus die späte Aufmerksamkeit genießend.

Eine Langstreckenläuferin hat sie sich einmal genannt, und die Lebens- und Leistungsstrecke, die sie zurückgelegt hat, war in der Tat beeindruckend lang – und überraschend gradlinig. Am Montagmorgen ist Louise Bourgeois in ihrem Haus in New York an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben, mit 98 Jahren.

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