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Kultur: Luchterhand verspricht Aufklärung Vorwurf: Verlag an NS-Unrecht beteiligt

Der Luchterhand Literaturverlag hat eine „rückhaltlose Aufklärung“ seiner Geschichte in der NS-Zeit angekündigt. Das Unternehmen, das seit 2001 zur Bertelsmann-Verlagsgruppe Random House gehört, reagiert damit auf Recherchen der „tageszeitung“ (taz) über – so die Überschrift – „das braune Kapitel“ der Verlagshistorie.

Der Luchterhand Literaturverlag hat eine „rückhaltlose Aufklärung“ seiner Geschichte in der NS-Zeit angekündigt. Das Unternehmen, das seit 2001 zur Bertelsmann-Verlagsgruppe Random House gehört, reagiert damit auf Recherchen der „tageszeitung“ (taz) über – so die Überschrift – „das braune Kapitel“ der Verlagshistorie. Sollten die Ergebnisse der taz-Nachforschungen stimmen, „wäre dies extrem bestürzend und zutiefst beschämend“, schreibt Luchterhand-Verleger Georg Reuchlein in einer Rundmail an die Verlagsautoren.

Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht der Verleger Eduard Reifferscheid, der Luchterhand mit Autoren wie Günter Grass, Carl Amery, Ernst Jandl, Jurek Becker und Gabriele Wohmann in der Nachkriegszeit zum führenden linksliberalen Literatur-Aushängeschild der Bundesrepublik neben Suhrkamp gemacht hatte. Allerdings wäre dieser Aufstieg wohl kaum möglich gewesen ohne eine Firmenerweiterung vor 1945, die die „taz“ in einer doppelseitigen Bericht in ihrer Wochenendausgabe „eine Art Arisierung ohne Juden“ nennt.

Dabei geht es um eine Druckerei, die der Unternehmer Otto Heinrich Scholz in Berlin-Kreuzberg aufgebaut hatte. Scholz lebte mit seiner jüdischen Verlobten Meta Müller zusammen und geriet deshalb nach 1933 in Bedrängnis. Das Hetzblatt „Der Stürmer“ beschimpfte ihn als „Judenknecht“, 14-mal wurde er von der Gestapo verhört. Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden Scholz und Müller verhaftet. Meta Müller wurde dabei so schwer misshandelt, dass sie an Krücken laufen musste. Sie emigrierte nach England. Um ihr folgen zu können, suchte Otto Scholz einen neuen Teilhaber für seine Druckerei – und fand ihn in Heinz Luchterhand, der mit seinem Prokuristen Eduard Reifferscheid einen kleinen Berliner Fachverlag für Recht und Steuern betrieb. Am Ende zahlte Luchterhand 160 000 Reichsmark für die Druckerei auf ein Sperrkonto, über das Scholz von England aus nicht verfügen konnte – „ein Schnäppchen“, so die „taz“. Um an sein Vermögen zu gelangen, schrieb Scholz nach dem Krieg an die Wiedergutmachungskammer, hätten Reifferscheid und Luchterhand ihn bei der Gestapo denunziert. Die Veräußerung der Druckerei an Luchterhand sei ein „erzwungener Vertrag“, eine „Entziehung“ gewesen, befanden Gutachter im Auftrag der alliierten Militärregierung.

Mit dieser dunklen Seite seiner Vergangenheit hat sich Luchterhand bis heute nicht auseinandergesetzt. Eduard Reifferscheid starb 1992 im Alter von 93 Jahren, dekoriert mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Er hatte Luchterhand zum Literaturverlag erweitert, mit der Veröffentlichung von Günter Grass’ „Blechtrommel“ gelang ihm 1959 ein Coup. Grass feierte Reifferscheid zum 80. Geburtstag mit einer Eloge in der „Zeit“ als fortschrittlichen „Verleger wider die Monokultur“ und „Kapitalisten mit jungsozialistischen Anwandlungen“. Auch der spätere Literaturnobelpreisträger hatte eine Vergangenheit, über die er lange schwieg: Grass war mit 17 Jahren zur Waffen-SS gegangen. chs

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