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Luftgitarren-WM: Die Nichte des Teufels

Totale Airness: Wie die deutsche Studentin Aline Westphal zur besten Luftgitarristin der Welt wurde. Eine Reportage aus dem finnischen Oulu, der Welthauptstadt der Luftgitarre.

Am Ende weinen sie, umarmen sich, ein großer Klumpen nasser Menschen im Backstage-Zelt, getränkt vom Regen im nordfinnischen Oulu, und ausnahmsweise ist kein Kamerateam da, um draufzuhalten, ist kein Fotograf dabei, um ein Bild zu schießen. In der Mitte des Menschenklumpens steht Aline Westphal, die beste Luftgitarrenspielerin der Welt.

Am Sonnabend hat sie den Titel nach Deutschland geholt. Verdient. Wenn sie auf die Bühne geht, dann knallt es, dann hat sie eine Gitarre in der Hand, obwohl da keine ist. Die 27-Jährige wird zur Devil’s Niece, der Nichte des Teufels. Ein rothaariger Derwisch, der zum Foo-Fighters-Kracher „Pretender“ über die Bühne wirbelt, von unsichtbaren Figuren verfolgt wird und sich freikämpft, hochspringt, die unsichtbare Gitarre quer über die Bühne schmeißt.

Geprobt wurde das fast ein halbes Jahr lang in einem alten Teppichlager im niedersächsischen Hildesheim. Aber eigentlich arbeitet Aline schon länger daran, Weltmeisterin zu werden. Vor drei Jahren bot der Dozent Mathias Mertens an der Uni Hildesheim das Seminar „Medienästhetische Überlegungen zur Luftgitarre“ an. Etwa 50 Studenten saßen in dem viel zu kleinen Seminarraum und versuchten sich dem Phänomen mit den Theorien von Susan Sontag und Walter Benjamin zu nähern, versuchten eine eigene Theorie der Luftgitarre zu entwickeln.

„Luftgitarre zu spielen“, sagt Dozent Mertens, „ist eine Möglichkeit zur Teilhabe an der Popkultur. Es ist viel mehr als nur die Imitation des Gitarrespielens. Am expressivsten und damit überzeugendsten ist Luftgitarrespielen, wenn Spielerkörper und Musikkörper miteinander im Riff verschmelzen“. Die World Air Guitar Federation definiert das als „Airness“, also die Fähigkeit, „das Luftgitarrespielen über die bloße Imitation hinaus zu transzendieren“.

Zu dem Uniseminar gehörte eine praktische Übung: Die Studenten mussten an der Deutschen Luftgitarrenmeisterschaft teilnehmen, auch der Dozent machte mit. So hat es angefangen. Von anfangs 50 Studenten sind vier beim Luftgitarrenspiel geblieben, unter ihnen Aline Westphal. Zusammen mit Mathias Mertens touren sie mit einer „Luftrockoper“ durch Deutschland, Mertens spielt darin den „God of Hellfire“, der vier Luftgitarristen in seine Gewalt gebracht hat. 2011 wurde Aline dann deutsche Meisterin.

Oder eben nicht Aline. Sondern The Devil’s Niece, ihre Figur, ihr Alter Ego. „Natürlich kommt man sich ein bisschen blöd dabei vor, Luftgitarre zu spielen“, sagt Aline. „Aber darüber muss man wegkommen. Man darf nicht daran denken, dass man sich lächerlich macht. Da ist es ganz gut, dass ich mich hinter The Devil’s Niece verstecken kann. Denn das bin nicht ich, jedenfalls nicht komplett.“

In Oulu finden die Luftgitarrenmeisterschaften seit 1996 statt. Einen Tag vor der Meisterschaft hüllt der Rauch der holzverarbeitenden Industrie die Stadt ein, es riecht algig, ein wenig nach Papierfabrik. Was hier als Witz mit 100 Euro Budget angefangen hat, ist mittlerweile zum Aushängeschild geworden. Gleich hinter dem Flughafen begrüßt ein riesiges Plakat die Besucher: „Welcome to Oulu – the world capital of Air Guitar!“. In offiziellen Prospekten ist zwar das stadtweite kostenlose W-Lan noch vor der Weltmeisterschaft als Standortfaktor der Stadt aufgeführt, aber die gut ausgebauten Fahrradwege kommen erst danach.

Es ist eine ruhige, kleine Stadt, mit Holzhäuschen in Primärfarben. Die meisten der 18 Finalisten sind schon vor Tagen angereist, sie trinken und feiern, seit sie aus dem Flugzeug gestiegen sind. „Es geht um den Spaß, nicht ums Gewinnen“, sagen die Organisatoren beim Briefing. Mantraartig wird die Ideologie der World Air Guitar Federation wiederholt, das Ziel sei: der Weltfrieden. Denn wer eine Luftgitarre in der Hand halte, könne keine Waffe mehr halten.

„Es geht um den Spaß“, sagt Frank Lange, einer der Organisatoren der deutschen Luftgitarrenmeisterschaften, „aber nur so lange, bis es an die Bewertung geht. Wenn sich da einer ungerecht behandelt fühlt, dann ist die Hölle los“. Deshalb sind die Abläufe streng geregelt: Die Teilnehmer werden mit ihrem Bühnennamen genannt, bewertet wird von einer öffentlich ausgelosten Jury aus nationalen Luftgitarrenveranstaltern nach der Skala des olympischen Eiskunstlaufs. Die Juroren halten Tafeln hoch, die schlechteste Note ist 4.0, die beste 6.0. Gespielt werden Musikstücke von jeweils einer Minute Länge. In der ersten Runde ist das ein selbstgewähltes, geprobtes Lied, in der zweiten müssen dann alle Teilnehmer zum selben Song improvisieren. Aline bevorzugt klassischen Indie-Rock, aber eigentlich geht alles. Nordic Thunder, der Landesmeister der USA, entscheidet sich für brettharten Heavy Metal. Auch Flamenco-Gitarren hat es schon gegeben.

Je näher das Finale rückt, desto stiller wird es in der Stadt. Irgendwie fühlt es sich dann nicht mehr wie ein Witz an: Die Meisterschaften finden auf einer Bühne statt, für die sich auch ein mittelgroßes Rockfestival nicht schämen müsste, Fernsehteams überschwemmen Oulu, ständig hält jemand eine Kamera auf die Teilnehmer. Der Pressegraben vor der Bühne ist beim Finale auf dem Marktplatz übervoll.

„Ich hätte nie gedacht dass ich hier einmal stehe“, sagt Aline Westphal, als sie die Bühne sieht, die sie bis jetzt nur von Youtube-Videos kennt: „Jetzt, wo es ernst wird, habe ich Angst.“

Der Backstage-Bereich ist ein Zelt, nach allen Seiten offen, der Regen klatscht auf das Plastik, drinnen treten sich die Fernsehteams gegenseitig auf die Füße. Dazwischen trinken kostümierte Gestalten Bier, wie Nordic Thunder, ein behaarter Bär von Mann in Urmensch-Kluft. Oder Günter Love, der französische Titelverteidiger im hautengen Goldglitzerkostüm. Aline sitzt auf einem Sofa, starrt ins Leere, die Hände zittern, und hinten, im Regen, steht der Luftgitarrenmeister von Malaysia mit Kopfhörern in den Ohren und übt seinen Auftritt noch ein letztes Mal.

Es geht los. Alle Teilnehmer müssen auf die Bühne, jeder seine Landesflagge in der Hand, der Bürgermeister von Oulu erklärt den 2000 bis 3000 Zuschauern noch einmal die Philosophie der Luftgitarre.

Es sind immer Beseelungs- oder Verwandlungsgeschichten, die die Auftritte erzählen. Geschichten von Kontrollverlust, vom völligen Aufgehen in der Musik, davon, dass dieses nicht existierende Instrument etwas aus den Menschen herausholt. Die Teilnehmer kommen aus 13 verschiedenen Ländern, es zeigen sich Unterschiede: Die Amerikaner und Briten rocken kraftvoll nach vorne, schütteln ihre Köpfe, ihre langen Haare, ihre Bühnenfiguren sind Rockstars mit leeren Händen. Da wird höchstens mal eine Maske abgenommen, werden ein paar Kleidungsstücke ausgezogen. Die Europäer, The Devil’s Niece natürlich, aber auch der Titelverteidiger Günter Love, sind da subtiler. Bei dem Franzosen scheint sich die Musik völlig seines Körpers zu bemächtigen, er macht fast menschenunmögliche Bewegungen.

Dann ist Aline auf der Bühne, mit ihren schwarzen Strapsen, den roten, wehenden Haaren und der Glitzerhose. The Devil’s Niece reitet auf ihrer Luftgitarre wie auf einem Besen, zu einem Song von Rage against the Machine, sie wird eins mit ihrem Instrument, fliegt förmlich davon, totale Airness, die Menschen vor der Bühne kriegen sich fast nicht mehr ein, die Jury auch nicht. Die Weltmeisterin steht fest. Aline Westphals deutsche Mitluftgitarristen, unter ihnen der Autor dieses Textes, bekommen feuchte Augen. Und die Welt ist dem Weltfrieden ein kleines Stück näher gekommen.

Jan Fischer

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