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Kultur: Lust auf das Lüsterweibchen

Die Berliner Sammlung Bollert, eine der bedeutendsten Privatsammlungen mittelalterlicher Skulptur, soll nach München gehen

Die Sache wurde lange hin- und hergespielt. Bereits im Sommer 2000, als die Sammlung Bollert erstmals in den Ausstellungshallen am Berliner Kulturforum zu sehen war, wusste man, dass sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz lebhaft um diese bedeutende Privatsammlung mittelalterlicher Skulptur bemühte. Was nicht verwunderlich ist: Die Holzskulpturen, die der Berliner Justizrat Gerhart Bollert (1870-1947) zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter Anleitung von Wilhelm von Bode zusammengetragen hatte, sind ein Schatz, wie es nicht viele gibt.

Wer einmal die Schwiegertochter Gerhart Bollerts, die heute über 90-jährige Liselotte Bollert, zu Hause im Berliner Südwesten besucht hat, staunt ob des Reichtums, der in einem Privathaushalt kaum mehr vorstellbar ist: Da stehen Werke von Tilman Riemenschneider und Niklaus Weckmann neben dem Couchtisch, zwei entzückende Engelsskulpturen schmücken den Treppenaufgang, und das sogenannte „Lüsterweibchen“, eine wunderbare Holzskulptur um 1500, steht auf dem Gesims. Jedes Museum, das etwas auf mittelalterliche Skulptur hält, wäre glücklich über eine solche Ergänzung der Bestände. So auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die rund120 Stücke umfassende Sammlung gern für das 2006 wiederzueröffnende Bode-Museum gewonnen hätte.

Allein: Die Verhandlungen stockten. Im Sommer 2002 wurde bekannt, dass die Kulturstiftung der Länder den Ankauf der Sammlung Bollert mit einem Millionenbetrag unterstützen wollte. Doch auch die Erben hatten Wünsche: Die Kollektion Gerhart Bollerts sollte ihrem Charakter als Privatsammlung entsprechend in einem eigenen, nach dem Sammler benannten Raum als Ganzes ausgestellt werden. Im Bode-Museum, wo man über eine Kombination von Gemäldegalerie und Skulpturensammlung nachdachte, war im Raumprogramm dafür jedoch kein Platz.

Nun meldet „Die Welt“ am Sonnabend, das Bayerische Nationalmuseum in München habe sich die Sammlung Bollert gesichert. Die Sammlung könne dort, so die noch unbestätigte Meldung, ab Mitte 2005 vollständig gezeigt werden, die Finanzierungszusage der Kulturstiftung der Länder werde nach München umgeleitet, ergänzt durch Mittel der Siemens-Stiftung und privater Spender.

Dies wäre ein herber Verlust für die Staatlichen Museen. Die hiesige Skulpturensammlung, seit dem Auszug aus Dahlem nur noch teilweise oder auswärts zu sehen, ist, nicht zuletzt durch Bodes glücklichen Einfluss, reich ausgestattet in italienischer Skulptur, hat aber auch einen deutlichen Schwerpunkt in spätgotischer deutscher Plastik. Zudem ist die Sammlung Bollert eine exemplarische Privatsammlung, die über den Sammlungsgeschmack der Kaiserzeit Auskunft gibt: Alte Fotografien belegen, dass Bollerts Heim, die Villa Gebauer in Charlottenburg, wie ein Privatmuseum eingerichtet war, mit Stilräumen, Vitrinen und gründerzeitlichem Charme. Eine Erinnerung an den Reichtum der Berliner Kaiserzeit hätte der Stadt gut angestanden.

Andererseits: Auch das Bayerische Nationalmuseum in München verfügt über eine große Skulpturensammlung, die schon jetzt durch Werke der Sammlung Bollert entscheidend bereichert wird: Tilman Riemenschneiders Flügelrelief des Münnerstädter Retabels mit dem „Gastmahl im Haus des Simon“ wurde schon 1979 an das Nationalmuseum verkauft – weitere Teile wie die vier Evangelisten und das Relief mit Christus und Magdalena sind allerdings in der Berliner Skulpturensammlung gelandet. Zudem kommen viele der in der Sammlung Bollert versammelten Werke aus dem süddeutschen Raum, sind von der Augsburger Renaissance oder der schwäbischen Gotik beeinflusst.

Die Kulturstiftung der Länder hat sich, im Ausgleich zum großen Interesse des Bundes an Hauptstadtkultur, eine Förderung der föderalen Kultur auf die Fahnen geschrieben. Die Entscheidung für München wäre in diesem Fall ein Beweis dafür.

Christina Tilmann

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