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Kultur: Luther bei die Fische

Kommunen sparen, wo es geht. Trotzdem wurde jetzt in Erfurt der erste Bühnenbau des 21. Jahrhunderts eröffnet – mit einer Reformationsoper

Erfurt? Da hat doch der Sven Ottke neulich den Mads Larsen fertig gemacht! Zugegeben, im Ranking der Kulturmetropolen galt die thüringische Landeshauptstadt bislang eher als Fliegengewicht. Das soll nun anders werden. Statt Meldungen über Box-Titelkämpfe soll man künftig Hymnen über die Leistungen des lokalen Musiktheaters in den Zeitungen der Republik lesen können. So jedenfalls wünscht es sich Guy Montavon, der ehrgeizige Intendant des Theaters Erfurt. Der 42-jährige Schweizer, ein studierter Fagottist, der später bei Götz Friedrich Musiktheaterregie gelernt und zuletzt das Theater Gießen geleitet hat, will Erfurt vom Bantam- zum nationalen Theater-Schwergewicht aufwerten.

Am Freitag konnte er seinen ersten Erfolg feiern: Es galt den ersten Theaterneubau des 21. Jahrhunderts in Deutschland einzuweihen, einen eleganten, kubischen Solitär auf dem Gelände der einstigen „Optima“- Schreibmaschinenfabrik direkt hinter dem Erfurter Dom. In der Außenansicht kühl und zurückhaltend, mit glatter Fassade aus Glas und grauem Stein, zeigt sich das Gebäude des Architekten Jörg Friedrich im Innern in jeder Hinsicht gastfreundlich. Der Zuschauerraum wölbt sich ins hohe, helle Foyer, als wäre ein Raumschiff hier gelandet, das nun über Brücken und Tür-„Schleusen“ zur Besichtigung einer fremden Welt einlädt. Der 800-Plätze-Saal wirkt intim dank der karmesinroten Wandfarbe zu schwarzen Sitzen. Das extrem aufsteigende Parkett bietet beste Sicht von allen Sitzen, die Bühnenausstattung ist vom Feinsten. Und die Akustik? Präsent und direkt, mit genügend Nachhall für moderne Ohren, ist sie fürs Orchester eine Herausforderung, weil jede Stimme glasklar zu hören ist. Die Erfurter Philharmoniker vermochten die Feuerprobe beim Festakt (mit „Meistersingern“, Mozart und Bernsteins 2. Sinfonie) wie beim ersten Abendeinsatz selbstbewusst zu bestehen.

Drei Viertel der Baukosten von 60 Millionen Euro hat der Freistaat Thüringen beigesteuert, um nach der baupolizeilichen Schließung des alten Opernhauses 1997 in der Landeshauptstadt wieder ein vorzeigbares Theater zu haben. Allerdings hat die Bühne auch Opfer bringen müssen, um den Neubau zu sichern. Das Orchester hat nur noch 59 Planstellen, die Tanztheatersparte ist geschlossen worden ebenso wie das Sprechtheater. Der Staat Thüringen – bei den Pro-Kopf-Kultursubventionen die Nummer eins in Deutschland – hat seine Zuschüsse bis 2008 gedeckelt, weil außer Erfurt noch fünf weitere Stadttheater (mit sieben Spielstätten) sowie drei Konzertorchester alimentiert werden müssen. Was in der Welt einmalig ist, erweist sich in der Realität als Fluch der deutschen Kleinstaaterei. Dass jeder Duodezfürst mit einem eigenen Musenhof prunken wollte, bringt die Thüringer Stadtväter heute an den Rand der Verzweiflung.

Die Handelsstadt Erfurt war historisch die letzte Kommune der Region, die sich ein festes Theaterensemble zulegte, nämlich erst 1894. Übermäßig spendabel gibt man sich trotz der Neubau-Ambition auch heute nicht. So trägt das am Freitag eröffnete Theater offiziell den wenig luxeriösen Namen „Ersatzneubau“. Ein Indiz dafür, wie kurios vielen der Plan anmutet, in Zeiten kommunaler Finanzdebakel eine neue Bühne zu errichten. Während in den ersten 25 Jahren nach Kriegsende in Deutschland 100 Theater neu- oder wieder aufgebaut wurden, spielt der Theaterbau praktisch keine Rolle mehr. Sieht man von einigen Musical-Abspielstätten ab und den Häusern in Frankfurt/Oder und Brandenburg/Havel (die als Kongresszentren getarnt werden mussten, um EU-Fördermittel zu bekommen), fand die letzte Eröffnung eines „echten“ Mehrspartentheaters 1995 in Kaiserslautern statt.

Und nun also Erfurt. Zum besonderen Ärger der Weimarer. Denn eigentlich sollte der Neubau mit einer Fusion der beiden, gerade einmal 20 Kilometer voneinander entfernten Stadttheater „finanziert“ werden. Die Bühnenmaße entsprechen sich exakt. Dennoch wird es bis auf weiteres allenfalls zu sporadischer Zusammenarbeit kommen. Denn in Weimar wehrt man sich mit Händen und Füßen gegen jede Kooperation. Um die Eigenständigkeit zu retten, wurde das „Weimarer Modell“ erfunden: Die Mitarbeiter verzichten auf Zulagen und arbeiten mehr. Aus irrationalen, lokalpatriotischen Beweggründen findet im Herzen Thüringens ein „Opernwettrüsten“ statt (Claus Spahn in der „Zeit“), bei dem es keine Gewinner geben kann. Ein „absoluter Schwachsinn“, um es mit den Worten Guy Montavons auszudrücken. Während die groß besetzte Weimarer Staatskapelle gerade einmal „dreieinhalb“ Dienste pro Woche einfordert (vertraglich sind acht Dienste zugelassenen), müsse er massenweise Aushilfsspieler für 170 Euro pro Abend einkaufen, um eine „standesgemäße ,Aida’“ spielen zu können, rechnet der Erfurter Intendant vor. Natürlich kommen die Instrumentalisten zum allergrößten Teil aus Weimar.

Bei ihrem Beharren auf einem Theater, das in Ausstattung und Größe eine Millionen- Stadt versorgen könnte, kann sich die Goethe-Stadt nur auf Traditionen berufen. Im Gegensatz zu Erfurt: Im Vergleich zum verschlafenen Weimar pulsiert hier nämlich das Leben. Dank der Universität. Und auch Dank der Kaufkraft der Leute aus den Landesministerien. In den Gassen des traumschön restaurierten, mittelalterlichen Erfurter Stadtkerns reiht sich ein Gasthaus ans andere. Im Sommer hat man kein Problem, selbst um ein Uhr nachts noch auf der Terrasse bedient zu werden. Das möge man mal in der Nachbarstadt probieren! Weimar hat das Glück der großen geistvollen Vergangenheit. Erfurt aber hat die Zukunft. Jetzt auch mit dem neuen Theater.

Das Ziel, künftig in der Spitzengruppe der bundesdeutschen Bühnen mitzumischen, unterstreicht Guy Montavon gleich zu Beginn mit einer Uraufführung. Kein Wagnersches Bühnenweihfestspiel macht den Anfang, sondern die „Luther“-Oper des 37-jährigen Berliner Komponisten Peter Aderhold. Und so soll es weitergehen: Beim Soundtrack-Komponisten Con Su („Der letzte Kaiser“) und beim amerikanischen Minimalmusic-Star Philip Glass hat Montavon neue Werke in Auftrag gegeben.

Mit seiner Oper über den Reformator (der in Erfurt studiert hat) katapultiert sich Aderhold nicht nur sozialhistorisch weit zurück: Seine Musik ist nicht aus unserer Zeit, sondern klingt wie eine Partitur aus den Zwanzigerjahren. Pfitzner und Hindemith stehen Pate für diesen knorrigen, expressionistischen Sound, der alles Spätromantisch- Schwüle ebenso verachtet wie die „moderne“ elektronisch unterstützte Musik. Bei Aderhold ist jeder Ton handgemacht. Dass er zwölf Jahre als Stadttheater-Kapellmeister gearbeitet hat, garantiert solide Chorsätze, effektsichere Instrumentalbehandlung zwischen Streichertremolo und Blechbläserblitzen sowie Respekt vor der menschlichen Stimme. Andererseits tut Aderhold aber auch so, als lebten wir noch in jenen seligen Zeiten, als jeder Dirigent, der etwas auf sich hielt, auch selber Opern komponierte, weil die Leute nach Novitäten gierten, weil sie Spaß daran hatten zu beobachten, wie altbekannte dramatische Formen immer wieder neu gefüllt werden – mit kleinen Abweichungen von der Norm, die dann Personalstil genannt werden.

Leider verweigert sich Regisseurin Karoline Gruber dem Handwerkerethos des Komponisten und reißt Luther aus dem historischen Kontext. Schielt schon das Libretto vor allem auf den Privatmann Martin L. (L wie Loser), stecken Gruber und ihr Bühnenbildner Hermann Feuchter den herumschlunzenden Titelhelden endgültig in die Beziehungskiste. Es sieht toll aus, wenn Luther zwischen gigantischen, zerbeulten Orgelpfeifen agiert, die sich im Schlussbild gar wie ausrangierte Pershings türmen, doch die Religionskriege- wird-es-immer-geben-Metapher bleibt blass, ebenso wie die Stilisierung der Feste im Hause des Malers Lucas Cranach als Immendorff-Orgie platt und peinlich wirkt.

Wenn Guy Montavon sein Erfurter Haus in den nächsten Jahren wirklich zum „Opernhaus des Jahres“ durchboxen will, muss er sich einen wirkungsvolleren Punch zulegen.

Nächste Aufführungen von „Luther“ am 14. und 24. 9. Infos: www.theater-erfurt.de oder 0361/22 33 155.

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