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Kultur: Männer wie Maschinen

Michael Thalheimer entdeckt am Hamburger Thalia Theater Hauptmanns Drama „Rose Bernd“

Dunkel ist es im Theatersaal. Erst langsam wird es neblig-licht, und aus der Tiefe gellt ein Schrei. Endlos lang erscheint er, schmerzerfüllt und voller Wut. Ein Mädchen, „ein schönes, kräftiges Bauernmädchen von 22 Jahren“, müht sich auf die Bühne, im rosa Kleid und Gummistiefeln: Es ist Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd“. Michael Thalheimer hat das selten gespielte Stück über Angst, Verzweiflung und Kindsmord am Hamburger Thalia Theater inszeniert.

Katrin Wichmann spielt Rose Bernd. Und sie spielt sie großartig: frisch und froh, entschieden und verzagt, suchend und verlassen. Verloren steht sie auf der weiten Vollholzschräge. Krümmt sich und weint. Das Unglück ist in ihr. Die Welt, das ist ein „Ackerfleckerl“, ein nach hinten ansteigendes Holztrapez. Entworfen hat es Henrik Ahr. Am Rand ragt ein dünnes Stück Holz in den Himmel. Ein unfertiges Kruzifix. Ein Kirchturm. Ein Birnbaum. Eine Weide.

Ahr ignoriert Hauptmanns ländlichidyllische Beschreibungen einer „fruchtbaren Landschaft“ samt Blumen, Büschen und Bäumen. Die Figuren verstecken sich unter grotesk-kindlichen Papiertütenmasken (Kostüme: Katrin Lea Tag). Zum Auftritt quälen sie sich auf das Holztrapez und mutieren dort – ihr wahres, hochrotes Gesicht zeigend – zu Getriebenen. Manege frei für alle Tiergewordenen.

Rose Anfangsschmerz wird gestört von einem kaspernden Jägersmann. Christoph Flamm (Peter Moltzen) heißt er, nennt sie „Rosine“ und wünscht sie sich als Frau. Beim ersten Wort steckt seine Hand in ihrem Schritt, beim zweiten liegen beide an den Brüsten. Derb und atemlos ist dieser Jägersmann. Rose schreit, dann küsst sie ihn. Kurz darauf kniet er über ihr. Steckt alles, was er hat, hastig hinein in Rose und wieder raus. Und ist genauso schnell wieder weg.

Denn es nähert sich schon das nächste Tier: Arthur Streckmann (Felix Knopp). Auch er will ran an Rose, droht ihr, da er die Affäre mit Flamm durchschaut. Er schreit sie an, keucht, nimmt Rose von hinten, dann einen tiefen Flachmannschluck. Dazu stolpern Roses Verlobter August Keil (betreten: Andreas Döhler) und ihr gewaltbereiter Vater Bernd (Peter Kurth). Sie sehen und verstehen nichts. Sie schreien und trinken, umarmen Rose unbeholfen und lassen sie allein.

Dunkle synthetische Streicher dröhnen laut in die Verlassenheit (Musik: Bert Wrede). Katrin Wichmann steht am Bühnenrand und spricht lautlos – ein Gebet? Ihre Einsamkeit ist unermesslich, ihre Situation aussichtslos: Von Flamm erwartet sie ein Kind. Doch der ist verheiratet, seine Frau (Anna Steffens) gelähmt. Von Streckmann wird sie brutal erpresst und ihr Vater will die Heirat mit dem frommen Langweiler Keil. Keiner wird sie je verstehen. Am Ende tötet sie ihr Kind.

Dann trägt Katrin Wichmann ein weißes Brautkleid. Vom Scheinwerferspot erleuchtet, deutet sie mit königlich-anmutiger Geste zur Seite, in Richtung der imaginären „großen Weide“. „Da liegt was, das ist was“, wiederholt sie klar und gefasst und „da kann er das Dingelchen sehen“. Als sie schluchzend zusammenzuckt, nähern sich die anderen – die Köpfe von Papiertüten verhüllt.

Inspiriert zu „Rose Bernd“ wurde Hauptmann durch einen authentischen Fall. Im Jahre 1903 saß er einem Schwurgericht gegen eine Landarbeiterin bei, die ihr uneheliches Kind getötet hatte. Hauptmann plädierte zum Schrecken der Juristen auf Freispruch. Seinen Job als Geschworener war er los. Doch das Thema Kindsmord beschäftigte ihn so sehr, dass er noch im selben Jahr das Schauspiel verfasste. Er verfasste es im schlesischen Dialekt, hier fand er den „ursprünglichsten Ausdruck“, die „volle Kraft“.

Schlesisch lässt auch Thalheimer seine Schauspieler sprechen. Hochgeschwindigkeitsschlesisch. Statt zu sprechen, brüllen sie, statt genau zu artikulieren, schreddern sie durch den Text. Offenbar geht es Thalheimer nicht ums Detail, nicht um Finesse und Feingefühl. Im Vordergrund steht das große (und grobe) Ganze. Stehen Gesellschaft, Gier und Geilheit, Macht, Verrat und Egoismus.Die Inhalte, die bei Hauptmann im Lärm der Dreschmaschinen untergehen, verschlucken bei Thalheimer die männlichen Schauspieler. Keuchend, spuckend und brüllend sind sie selbst wie Dreschmaschinen, sind wilde Tiere. Der weibliche Part hingegen erlahmt (Frau Flamm), schreit oder agiert schließlich aus einer Mischung aus Stolz, Verzweiflung und Mut.

Thalheimer gelingt mit „Rose Bernd“ eine starke, wenn auch ein wenig zu atemlose Inszenierung. Brutal, grob und hoch emotional: ein Abend wie ein endloser, animalischer Schrei. Einer, der blutig und dreckig ist und vielleicht ein bisschen zu dauerlaut. Aber auch einer, der länger als anderthalb Bühnenstunden anhält.

Katrin Ullmann

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