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Kultur: Märchen und Wahrheit

Eine

von Nicola Kuhn

Die vierte Berlin-Biennale erweist sich schon jetzt als ein Riesenerfolg: mehr Besucher denn je allein in der ersten Woche, von der Kritik hoch gelobt. Doch schon schleicht sich Katerstimmung ein nach dem furiosen Start in der Auguststraße, erste Zweifel kommen auf. Versteckt sich hinter der Inszenierung des Sinistren, der Schattenseiten des Lebens vielleicht doch nur Attitüde? Haben es die drei New Yorker Kuratoren wirklich ernst gemeint mit ihrem Tauchgang zu den Niederungen des Menschlichen? Oder ist alles nur ein schaurig-schöner Trip?

Der polnische Künstler Pawel Althammer steht für die Aufrichtigkeit des Unternehmens. Mit seinen Aktionen verknüpft er gnadenlos Kunst und Leben, verwandelt edle Galerien in Müllhalden und lässt Museumswände von Jugendlichen mit Graffiti besprühen. Für die Biennale holt er das Schicksal einer von Abschiebung bedrohten türkischen Familie ins Rampenlicht. Zu sehen ist in der Ausstellung allerdings nur der linke Schuh des 18-jährigen Sohnes, der seit Wochen wegen Suizidgefahr im Krankenhaus liegt. Die Besucher können sich in eine Unterschriftenliste eintragen, die heute an Innensenator Körting geht: mit der Bitte, doch noch eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.

Althammer nennt seine Aktion „Fairy tale“, in der Hoffnung auf einen guten Schluss ganz wie im Märchen. Das könnte zynisch klingen und ist bei aller Naivität doch ernst gemeint, denn der Künstler hat die gleichen Erfahrungen gemacht und am Ende Glück gehabt. Trotzdem bleibt Unbehagen, denn die Biennale-Macher bedienen sich hier wohlfeil eines konkreten Schicksals, die politischen Hintergründe des Dramas indes bleiben im Vagen. Der einsame Schuh am Boden rührt nur an: als Symbol der Machtlosigkeit gegenüber den Behörden und Zitat der Schuhberge im Konzentrationslager, was die Dringlichkeit des Appells auf perfide Weise noch erhöht. Die Unterschriftenliste gerät damit zu einem weiteren Requisit. Letztlich wird nur ein Kunst-Raunen produziert, wo es über Abschiebung, über die Not der betroffenen Familien wahrhaftig mehr zu sagen gäbe.

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