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Maerzmusik: Eines langen Schlages Reise in die Nacht

Jeder, der heute „ernste“ Musik komponiert, muss dafür seine eigene Sprache erfinden. Im Haus der Berliner Festspiele beginnt die Maerzmusik mit zwei virtuosen Percussion-Performances.

Trommeln jeder erdenklichen Größe, Bongos, Donnerbleche, Tamtams, thailändische und philippinische Gongs, Tamburine aus der Sahara, Becken aus China, afrikanische Tumbas, Xylo-, Marimba- und Vibrafone, Röhrenglocken und Pauken: 150 Schlaginstrumente sind auf der Bühne im Haus der Berliner Festspiele aufgebaut. Sechs Virtuosen der Spezialistentruppe „Les Percussions de Strasbourg“ werden sie gleich bearbeiten, mit zwölf Händen, mit weißen, grünen, blauen und roten Klöppeln, mit fellbespannten Hämmern, über eine Stunde lang. Das Maerzmusik-Festival startet mit dem „Erewhon“-Zyklus des französischen Komponisten Hugues Dufourt, entstanden 1972–76, inspiriert von Samuel Butlers Gesellschaftssatire auf das viktorianische England, auf dieses nowhere land, das der Romancier im Anagramm zu erewhon verfremdet hat.

Es wird ein äußerst kurzweiliges Eröffnungskonzert, ein synästhetisches Divertimento, gleichermaßen vergnüglich für Auge und Ohr. Unablässig flitzen die Musiker zwischen ihren Instrumenten hin und her, ein Ballett der fliegenden Arme und herabsausenden Schlegel, koordiniert von der Dirigentin Lorraine Vaillancourt, deren Hände mit ihren scharfen, präzise die ständigen Taktwechsel ausdeutenden Bewegungen selber eine eigene Choreografie tanzen. Dazu changiert der Hintergrundprospekt in abendlichen Farben, rosa, lila, azur, wechselt unmerklich von der blauen Stunde zum kitschigen Sonnenuntergang am Malibu Beach und retour.

Während es vorne wabert und gewittert, messingmetallisch, blechscheppernd und hölzern hohl, während gespannte Tierhäute traktiert werden und wundersames Geklingel anschwillt, reift im Dunkel des Zuschauerraums eine Erkenntnis. Die Sprache des Schlagwerks ist der kleinste gemeinsame Nenner der Musik: Melodien, also das, was mancher seit Arnold Schönberg schmerzlich vermisst, Melodien erwartet keiner von den Perkussionisten. Darum stellt sich auch beim konservativen Hörer hier das sinnliche Vergnügen ein, ganz unmittelbar, ohne den Umweg übers Hirn, das Neugier aufs Neue befiehlt.

Also ab in die Sonic Arts Lounge! Um 22 Uhr startet Wladimir Tarassows Performance: Umgeben von seiner ganz privaten Percussion-Auswahl, sitzt der Lette in einem einsamen Spotlight auf der ansonsten stockfinsteren Seitenbühne des Hauses der Festspiele. Die late night-Programmschiene der Maerzmusik will noch experimentierfreudiger sein als der Rest des Festivals – und tatsächlich: Wer dachte, die Straßburger hätten in ihrer Show schon alle Spielarten des Draufhauens durchdekliniert, für den hält Tarassow noch einige schlagende Argumente bereit. Vor allem aber hat der Avantgarde-Jazzer eines, das Hugues Dufourts am Reißbrett entworfener Klangbastelei fehlte: den Beat, den vorwärtstreibenden Puls des Praktikers. Großartig, was er mit den Sticks auf dem Gong anstellt, virtuos sein Besenspiel auf den Drums, feinsinnig die Jonglage mit den Schallwellen der goldglänzenden Zimbeln. Eine One-Man-Session, bei der sich das Publikum vier Zugaben erklatscht.

„Reduktion. Struktur. Dekonstruktion“ lautet das Maerzmusik-Motto. Besser lassen sich die Vorurteile gegen zeitgenössische Kompositionen nicht zusammenfassen. Die Festivalmacher hätten auch „Grau. Akademisch. Trocken“ auf die Plakate schreiben können. Sicher, dieser Szenetreff hat überregionale Ausstrahlung, die Kartenverkäufe sehen selbst dann ordentlich aus, wenn nur die Eingeweihten kommen. Doch warum solch eine Unwilligkeit, auf das Publikum zuzugehen? Dabei ist das Programm ungeheuer vielfältig, bildet das ganze Spektrum ab, vom Klangdesigner Michael Nyman bis zum Weltflüchtling Marc Andre, der auf der Pressekonferenz gebeten wurde, sein Stück „...auf...“ zu erklären und nur rätselhaftes Geraune hervorbrachte.

Auf derselben Pressekonferenz hielt Festivalleiter Matthias Osterwold einen Fachvortrag, in dem es vor Insideranspielungen nur so wimmelte – und doch wurde unter der akademischen Oberfläche eine Leidenschaft spürbar, die sich nicht von der Glut unterscheidet, mit der Rolando Villazon oder Simon Rattle für ihre Musik brennen.

Jeder, der heute „ernste“ Musik komponiert, muss dafür seine eigene Sprache erfinden. Die bloßen Vermittler dieser unerhörten Töne haben es da theoretisch leichter: Sie könnten dieselben Worte benutzen, mit denen sie sich auch im echten Leben verständigen. Von dieser Möglichkeit sollten sie Gebrauch machen.

Bis 29. 3. Infos: www.maerzmusik.de

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