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Magdeburg: Der schöne Stein

Zeit des Aufbruchs: Magdeburg feiert die Entstehung der Gotik – zum 800. Geburtstag des Doms.

In diesem Sommer erzählt sich das Mittelalter in Fortsetzungsgeschichten. Vor drei Wochen eröffnete in Braunschweig die Landesausstellung zu Otto IV., dem glücklosen Welfenkaiser, der nach langen Thronstreitigkeiten 1209 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. Nun zieht, knapp hundert Kilometer entfernt, das Kulturhistorische Museum in Magdeburg nach, mit der morgen eröffnenden Ausstellung „Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die frühe Stauferzeit“, und wer taucht wieder auf? Otto IV.!

Er war es, der dem Magdeburger Erzbischof Albrecht II. von Käfernburg im Juli 1208 in einem Geheimvertrag seine Unterstützung zum Bau eines neuen Doms zusichert – und die ungeheure Summe von 3000 Silbermark dazu. Albrecht II. baut davon ab 1209 den Magdeburger Dom, die erste gotische Kathedrale in Deutschland, und bis heute die zweitgrößte nach dem Kölner Dom.

Am Weihnachtstag 1199 noch war im ottonischen Kaiserdom zu Magdeburg Philipp von Schwaben, der Konkurrent Ottos IV., zum deutschen König gekrönt worden – Otto selbst hatte in der Krönungskirche in Aachen dieselbe Prozedur durchlaufen. Walther von der Vogelweide, der auch Otto IV. in einem Lied, dem Ottenton, feiert, hatte mit seinem Sangspruch zur Magdeburger Weihnacht dem Konkurrenten Philipp gehuldigt.

Es war das letzte glanzvolle Fest im ottonischen Bau. Am Palmsonntag 1207 zieht der neue Erzbischof Albrecht glanzvoll hier ein – wenige Tage später, am Karfreitag, wird der gewaltige Bau ein Opfer der Flammen. Albrecht entschließt sich, gegen den Widerstand der Magdeburger, den Dom nicht in den alten, ottonischen Formen, sondern im neuen, gotischen Stil zu bauen, den er beim Studium in Paris, auf der Ile de France, kennengelernt hatte. Otto IV., der selbst rund um Braunschweig zisterziensische Neugründungen unterstützt, bestärkt ihn ausdrücklich. Nur um von Albrecht kurz darauf verraten zu werden, indem dieser sich seinem Konkurrenten, dem Staufer Friedrich II. zuwendet.

Machtspiele und Intrigen kennzeichnen die Zeit, die in Magdeburg gleichwohl als Frühling einer neuen Hochkultur gefeiert wird. Der Siegeszug der Gotik, mit ihren himmelstrebenden Bauten, elegant geschwungenen, idealisierten und doch individuell gefassten Skulpturen und leuchtenden Glasfenstern – die Mystikerin Mechthild von Magdeburg nennt es „das fließende Licht der Gottheit“. Aber auch mit einer erstarkenden städtischen Kultur, in der die Handwerker und Bürger mit neuem Selbstbewusstsein dem Adel in luxuriösem Lebensstil nacheifern – die archäologischen Ausgrabungen im im Zweiten Weltkrieg katastrophal zerstörten Magdeburg haben hierzu, rund um den Alten Markt, Erstaunliches zutage gefördert: feinste Glasarbeiten, Zinnfigurenstreifen, die auf Gewändersäume aufgenäht waren, und Stofffetzen aus Seidenmischgewebe, die wahrscheinlich aus China stammen: Und das im 13. Jahrhundert.

Es war in der Tat eine internationale Zeit, eine Zeit des künstlerischen und intellektuellen Austauschs. Otto IV. war in England, am Hofe von Richard Löwenherz, aufgewachsen. Albrecht II. hingegen hatte seine Bauideen beim Studium in Paris bekommen. Und so ist die Ausstellung auch dort am besten, wo sie, mit großartigen Leihgaben aus Paris, die Entstehung des gotischen Stils belegt: Da wird selbst Gottvater als Architekt mit Zirkel gezeigt, und mit dem Reimser Palimpsest ist die älteste erhaltene Architekturzeichnung des Mittelalters zu sehen. Die schöne Kaiserin Kunigunde, eine Leihgabe aus Bamberg, trägt in der Hand ein Kirchenmodell, die sogenannte Kleine Ecclesia aus Straßburg ähnelt den Skulpturen am Magdeburger Dom. Der Magdeburger Reiter, das erste freistehende Reiterstandbild der Gotik, hat ohnehin seinen festen Platz im Museum.

Ein Kulturkreis – zwei Konkurrenzausstellungen. Wo man sich in Braunschweig an der Rehabilitierung einer von den Historikern missachteten Figur versucht, setzt man in Magdeburg ganz auf den schönen Schein – mit über 400 kostbarsten Exponaten, aber einer vergleichsweise konventionellen These. Die wahren Sensationen stecken ohnehin im archäologischen Bereich. Im Jahr 2008 öffnete man bei Grabungsarbeiten auch den Kenotaph der Königin Edgith, einer englischen Prinzessin und ersten Frau Ottos I. – und fand darin einen kleinen Bleisarg, auf dessen Deckel vermerkt war, dass hier die Gebeine der Edgith geborgen seien. Sie werden nun im Landesdenkmalamt in Halle untersucht – der Bleisarg, eine bescheidene Kiste, ist in der Ausstellung zu sehen und soll später, bei der Wiederaufstellung, durch ein zeitgenössisches Stück ersetzt werden.

Dramatischer noch sind die Funde bei Grabungen auf dem Domplatz. Dort fand schon Ernst Nickel in den sechziger Jahren Fundamente, die er als ottonische Kaiserpfalz ansah. Rainer Kuhn vermutete bei erneuten Grabungen 2001–2004, dass es sich stattdessen um eine monumentale zweite Kirche aus ottonischer Zeit handeln müsse – allein die Breite war mit 41 Metern den Bauten in Trier und Köln vergleichbar. Jetzt nimmt man eine Nordkirche und parallel dazu eine Südkirche unter dem Dom an, die wahrscheinlich zur gleichen Zeit, im 10. Jahrhundert, gebaut wurden – zum Teil fand man identische Fußbodenmosaike.

Welches war nun der ottonische Kaiserdom? Wozu diente die andere Kirche, und stand sie beim Brand noch? Noch dauern die Grabungen rund um den Dom an, alle Ergebnisse sind vorläufig. 2012 plant das Kulturhistorische Museum eine Ausstellung zu „Otto Imperator“. Vielleicht weiß man bis dahin mehr.

Aufbruch in die Gotik, Kulturhistorisches Museum Magdeburg, bis 6. Dezember 2009. Zweibändiger Katalog (Philipp von Zabern) 49 €, im Buchhandel 69,90 €, Kurzführer 4,90 €, www.gotik2009.de

Christina Tilmann

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