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Kultur: Man trägt grau

Antigones Rache: Die Kammeroper Schloss Rheinsberg entdeckt den böhmischen Barockkomponisten Josef Myslivecek

Für Berliner ist Rheinsberg ein magischer Ort: Die glücklichen Jugendjahre Friedrichs des Großen! Der Musenhof seines Bruders Heinrich! Fontanes warme Worte! Kurt Tucholskys wunderbare Liebesnovelle! Hier im Ruppiner Land, so scheint es, wohnt das unbeschwerte Glück. Hier wohnen allerdings auch 15 Jugendliche, die für hässliche Schlagzeilen sorgen. Die örtliche Dönerbude wurde bereits vier Mal abgefackelt, rechtsradikale Übergriffe brachten Rheinsberg ins Ranking der brandenburgischen „No-Go-Areas“. Die 5000-Seelen-Gemeinde kann das gar nicht gebrauchen, denn der Tourismus ist das Einzige, was hier noch Zukunft hat. Allein das Sommerfestival der „Kammeroper Schloss Rheinsberg“ bringt der Stadt bis zu 20 000 zahlungskräftige Gäste. Statistisch gibt jeder Zuschauer 117 Euro aus – das ist absolute Spitze im Reiseland Brandenburg.

Manch einem der jungen Sänger mag etwas mulmig gewesen sein bei der Anreise zur „Kammeroper Schloss Rheinsberg“. Die meisten der 28 Nachwuchssolisten, die sich unter 450 Konkurrenten durchsetzen konnten, sind Ausländer. Eine Südkoreanerin, ein Lette, eine Amerikanerin, eine Tschechin und zwei Deutsche stehen seit Sonnabend in Josef Mysliveceks „Antigona“ auf der Bühne. Es ist die deutsche Erstaufführung der 1773 in Turin uraufgeführten Oper des böhmischen Komponisten. Es gehört zu den erklärten Zielen des Sommerfestivals, Werke aus der Blütezeit des Rheinsberger Hoflebens zu präsentieren: 1758 wurde das Heckentheater im Park für Freiluftaufführungen angelegt, 25 Jahre später ließ Prinz Heinrich dann einen festen Theaterbau erreichten, der 1999 mit originaler Fassade und multifunktionalem Innenleben wieder aufgebaut wurde.

Weil sich die Kammeroper in den 15 Jahren ihres Bestehens zum Markenprodukt entwickelt hat, können sich die Macher neben populären Angeboten – den Arien-Galaabenden, einem konzertanten „Nabucco“ und, ab 4. August, Mozarts „Cosi fan tutte“ – zum Glück solche Ausgrabungen erlauben. Auch wenn es in diesem Fall kein vergessenes Meisterwerk zu entdecken gibt. Wer auch immer Myslivecek den „Prager Mozart“ getauft hat, kann nur das Wolferl gekannt haben. Als 14-Jähriger traf der Salzburger Wunderknabe erstmals auf dem 19 Jahre älteren Komponistenkollegen, und blieb dem Böhmen bis zu dessen Tod 1781 freundschaftlich verbunden. Doch während sich Mozart künstlerisch rasend weiterentwickelte, blieb Myslivecek ästhetisch stehen. In der Umbruchphase zwischen Barock und Klassik steht er mit seinen 23 Opern nicht auf der Seite der Neuerer. Mozart setzt beispielsweise Koloraturen gezielt dazu ein, die Seelenzustände seiner Protagonisten zu verdeutlichen. Bei Myslivecek bleiben sie nur Zierwerk.

Überhaupt die Koloraturen: Ist es klug, bei einem Festival, das sich die Förderung jungen Sänger auf die Fahnen geschrieben hat, Stücke auszuwählen, die nur das Ziel haben, dass gewiefte Stars ihre Bravourstückchen abliefern können? Hyun-Ju Park beeindruckt in der Titelrolle durch virtuose Gesangstechnik, Janis Kursevs dagegen gerät als König Creonte arg in Bedrängnis, was fatal ist, weil hier die Machtkämpfe nun einmal mit vokalen Mitteln ausgefochten werden.

Mysliveceks „Antigona“ erzählt die Nachgeschichte der Sophokles-Tragödie. Antigona ist knapp dem Todesurteil entronnen, das Creonte über sie verhängt hatte, weil sie nicht zusehen konnte, wie die Leiche ihres Bruder Polyneikes auf dem Schlachtfeld verrottet. Nach 15 Jahren kehrt sie zurück, um sich an Creonte zu rächen. Für Jiri Nekvasil ein klarer Fall: Die Geschichte spielt in einer postsozialistischen Diktatur, die Titelheldin tritt als Julia-Timoschenko-Double auf. Daniel Dvorak hat dazu ein modernes Büro mit Neonröhren und Stahlmöbeln entworfen, die männlichen Darsteller tragen dunkelgraue Anzüge. In Prag, wo Dvorak und Nekvasil das Nationaltheater leiten, zündet das vielleicht, doch in der deutschen Provinz macht sich Ärger breit über den wohlfeilen Interpretationsansatz, der den Regisseur von jeder Charakterdifferenzierung enthebt, weil die Figuren automatisch im Gut/Böse-Schema einrasten.

Musikalisch steht jedoch alles zum Besten: Roger Boggasch dirigiert das Preußische Kammerorchester Prenzlau mit Verve, der Altus Steve Wächter schmettert seine Arien mit der Durchschlagkraft eines Trompeters. Katerina Knezikova gibt die kokette Soubrette und lässt ihren Verehrer Johannes Weiß rührend schmachten. Bonnie Cameron glaubt als unverbesserliche Optimistin von Anbeginn ans finale Happyend. Und der Besucher tritt nach drei Stunden im klimatisierten Schlosstheater hinaus in die Rheinsberger Nacht, staunend über Sternenhimmel und Seelenruhe. Friede liegt über Schloss und Dönerbude. Möge es so bleiben.

Weitere Aufführungen am 25., 26., 28. und 29. Juli. Informationen: www.kammeroper-schloss-rheinsberg.de und unter Tel. 033 931 392 96.

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