zum Hauptinhalt

Kultur: Manu Chao: Der Freund des Subcommandante

Es entspricht der Logik des Medienbetriebs, dass die meisten Zeitungen und Zeitschriften über Manu Chao mit einer Mischung aus Häme und Hochnäsigkeit schreiben. Der Musiker missachtet wie kaum ein anderer die Spielregeln der Branche und entzieht sich ausdauernd dem Zugriff der Öffentlichkeit.

Es entspricht der Logik des Medienbetriebs, dass die meisten Zeitungen und Zeitschriften über Manu Chao mit einer Mischung aus Häme und Hochnäsigkeit schreiben. Der Musiker missachtet wie kaum ein anderer die Spielregeln der Branche und entzieht sich ausdauernd dem Zugriff der Öffentlichkeit. Er ist der Desaparecido, der Verschwundene, von dem er auf seiner ersten Platte "Clandestino" erzählt: "Sie suchen mich, aber ich bin nicht da; sie finden mich, aber ich bin ein anderer." Weil man Manu Chao nicht habhaft wird, schreibt man vom "singenden Freiheitskämpfer" (Spiegel) oder vom "Gitarrist unter Palmen" (Focus). So wird das politische Engagement des 40-Jährigen trivialisiert und sein eigenartiges Werk auf Sommerhits reduziert.

Chao ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Seine Eltern, ein galizischer Journalist und eine Baskin, flüchten vor der Franco-Diktatur nach Paris, wo Manu zur Welt kommt. Mit 25 gründet er die Band Mano Negra (Schwarze Hand), die zur tonangebenden Ethnopunk-Band Frankreichs wird. Als Mano Negra sich Mitte der Neunziger überlebt hat, packt Chao die Gitarre ein und unternimmt ausgedehnte Reisen durch Lateinamerika. Auf diesen Touren entsteht "Clandestino" (Heimlich), dessen Geschichte einem kleinen Wunder gleicht. Ohne jegliche Werbung entwickelt sich das Album binnen zweier Jahre vom Geheimtipp zum Verkaufsschlager und verkauft sich rund drei Millionen Mal.

Obwohl es die Single "King of the Bongo" in die deutschen Charts schafft, lässt sich Chao hierzulande nicht blicken. Er hat von seiner Plattenfirma Virgin absolute künstlerische Freiheit erkämpft, kann weder zu Interviews noch Konzerten gezwungen werden. Lieber improvisiert er auf den Plätzen im Barrio Gotico Barcelonas, wo er eine Bar und eine kleine Wohnung besitzt. Oder er tourt durch Lateinamerika, gibt Gratis-Konzerte für die Landlosen Brasiliens oder spielt vor Koka-Bauern in Kolumbien. Er wird mehrfach in Tijuana gesichtet, der mexikanischen Grenzstadt, die mit ihren Flüchtlingen und Drogenkartellen die brutalen Seiten der Globalisierung symbolisiert. Chao liebt solche Orte, widmet der Stadt eine ironische Hymne. Sein Tijuana-Konzert kann nur besuchen, wer eine Konserve mitbringt. Später werden diese an Straßenkinder verteilt.

"Clandestino" war ein fröhliches Album, trotz seiner melancholischen Grundhaltung und den Geschichten von Afrikanern, die in der Meerenge von Gibraltar ertranken. Das Flüchtlingskind Chao widmete das Album den Sans-Papiers, den Illegalen, die ohne Papiere in Europa leben. Er erinnerte die vom Wohlstand verwöhnten Europäer (sofern sie Spanisch verstanden) daran, dass Demokratie und Gerechtigkeit für fünf Sechstel der Menschheit keineswegs selbstverständlich sind. Eine Freundin Chaos aus dem Senegal darf ihn bis heute nicht in Spanien besuchen. "Vielleicht wäre ich sonst schon mit ihr verheiratet".

Chaos Engagement ist keine Betroffenheitspose. Er ist Mitglied bei ATTAC, einer Bewegung, die sich für die Entschuldung der Dritten Welt einsetzt. Im vergangenen Herbst überraschte Chao den Subcommandante Marcos im mexikanischen Urwald. Er brachte dem Anführer der Zapatistischen Rebellenarmee einen Koffer voller Dollars mit. Marcos revanchierte sich mit einem musikalischen Wettstreit. "Da war die ganze Kommandoebene der EZLN mit drei Gitarren und hat einen Song gespielt, dann waren wir an der Reihe. Ein wunderbarer Wettkampf", erinnert sich Chao.

Nach drei Jahren ist Chaos zweites Solo-Album erschienen, "Próxima estación: Esperanza" (Nächster Halt: Hoffnung), benannt nach einer Metro-Haltestelle in Madrid, das nahtlos an seinen Vorgänger anknüpft. Im Grunde sind sie ein einziger, langer Song. Chao ist wieder Babylonier, singt auf Spanisch, Französisch, Englisch, Portugiesisch, Arabisch und Portuñol (eine Mischung aus Spanisch und Portugiesisch, die in Grenzgebieten gesprochen wird). Anders als der Vorgänger wird "Esperanza" jedoch heftig beworben. Und plötzlich sind auch die Medien geil auf Chao. Wer ihn schon vor drei Jahren (und vor dem leeren Gerede vom "Bongoman") mochte, den beschleicht dabei ein ungutes Gefühl. Denn hier wird einer gegen seinen Willen zum alternativen Helden aufgebaut. Vielleicht weil er echt ist? Wer ihn kennen lernt, ist erstaunt über das schmächtige Männchen, das da in Fußballtrikot und abgewetzten Turnschuhen vor einem steht. Chao ist nicht der intellektuelle Globalisierungskritiker, für den viele ihn halten. Seine Haltung pendelt eher zwischen Party und Protest. "Solange ich genug Geld zum Reisen habe, ist mir egal, wie oft sich ein Album verkauft", sagt er und zieht an der Marlboro.

Manu Chao hat mit zwei Platten geschafft, wovon andere ein Musikerleben lang träumen: einen eigenen, unverwechselbaren Sound zu schaffen, der nirgendwo zu Hause ist. Da ist der Reggae-Rhythmus, der alle Stücke wie ein Bummelzug durchfährt. "Bob Marley ist mein bester Lehrer", sagt Chao, "seine Songs sind so simpel, zwei Akkorde und trotzdem klingen sie immer noch frisch und neu." Andererseits ist Chaos Werk wie eine große, bunte Collage, zusammengesetzt aus den akustischen Fundstücken seiner Reisen. Ihn faszinieren die Geräusche des Alltags: Zeitansagen aus Havanna, Straßengeräusche in Lima, Wind in der mexikanischen Wüste. Mit einem kleinen Aufnahmestudio im Gepäck fängt Chao die Töne wie Schmetterlinge ein. "Homens" (Männer) ging aus einem solchen Fundstück hervor: Manu wohnte bei einer Familie in Rio de Janeiro. Deren Tochter Valeria hatte das Talent zur Rapperin, aber keinen Beat. Also packte Chao das Sample von "King of the Bongo" aus, und das Mädchen legte los, erzählte, wie Frauen von Männern behandelt werden wollen, nämlich mit Respekt und Zärtlichkeit. Fertig war der bezaubernde musikalische Brief aus Rio an den Rest der Welt.

Seit ein paar Jahren tourt Manu Chao mit einer zehnköpfigen Band um die Welt, die sich Radio Bemba (Buschtelefon) nennt. Wer Chao einmal mit diesem feuersprühenden Ensemble Bemba erlebt hat, weiß, dass seine Konzerte in dreistündige, ausgelassene Tanzveranstaltungen ausarten. Eine Liebeserklärung an die bunte neue Welt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false