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Kultur: Marathon: Kilometer 42

Vielleicht ist Kultur nichts anderes als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Wie der Sport: Der erste Marathon-Läufer der Geschichte war ein Bote.

Vielleicht ist Kultur nichts anderes als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Wie der Sport: Der erste Marathon-Läufer der Geschichte war ein Bote. Und Überbringer der guten Nachricht: Die Griechen hatten die Perser besiegt in der Schlacht bei Marathon, 42 Kilometer von Athen entfernt. Der Läufer war todgeweiht. Seine Lebenskräfte reichten gerade so lange aus, bis er das Ziel erreichte, Meldung machte, und zusammenbrach. Marathon-Laufen ist Überleben - und ein symbolischer Akt, trotz der übermäßigen Anstrengung. Die Berliner Marathon-Teilnehmer laufen heute mit Trauerflor, zum Gedenken an die Terroropfer von New York. Auch der New York Marathon soll diesen Herbst gelaufen werden, nicht trotz der Septemberanschläge, sondern im Angesicht der Ruinen, aus denen Tausende Tote nie geborgen werden können. Laufen ist Leben. Die Berliner Volksbühne lädt zu einer 24-Stunden-Lesung von Einar Schleefs "Gertrud". Eine Erinnerung an den genialen Theaterkünstler, der im Sommer gestorben ist. Über sein monumentales Buch "Gertrud" sagte Schleef: "Ich habe meiner Mutter eine Pyramide gebaut. Einfach Schotter übereinander für eine deutsche Familientragödie." Schreiben ist Leben. Wie das Lesen auch: Als Heiner Müller starb, vor bald sechs Jahren, war das Berliner Ensemble Tag und Nacht mit Menschen überfüllt, die zuhörten, wie Schauspieler die Texte des toten Dichters vortrugen. So war er nicht tot. Der Kulturbetrieb, oft als Event-Maschinerie verschrien, provoziert die Sehnsucht nach der langen Strecke. Dreizehn Stunden Shakespeare bei den "Schlachten!", zweiundzwanzig Stunden "Faust" bei Peter Stein. Ars longa, vita brevis: Es scheint, als habe der Langstreckenlauf auch im Theatersessel eine lebensverlängernde Aura.

Und dies sind 42, 195 Zeilen. Beinahe.

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