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Szene aus Marcel Gislers "Rosie"

© Kool Film

Marcel Gislers Hommage „Rosie“: Die widerspenstige Zähmung

Es ist eine Hommage an seine vor Jahren verstorbene Mutter: Marcel Gisler gibt mit "Rosie" dem eigensinnigen weiblichen Altern auf der Leinwand ein frisches Gesicht.

Das Gretchen hat sie gespielt und die Blanche, Hedda Gabler und Antigone. Auf den Bühnenbrettern von Basel, Kiel, Kassel, Essen, Düsseldorf, Freiburg und – vor allem – des Staatstheaters Hannover hat sie gestanden. Mitunter auch agierte sie in Nebenrollen für deutsche Fernsehkrimis. Jetzt stellt Sibylle Brunner erstmals das Zentrum eines ganzen Spielfilms – und muss sich nicht einmal den heimischen Zungenschlag verkneifen. In der Schweiz wurde sie dafür mit dem nationalen Filmpreis als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet - zu Recht. Denn ihre Neuinterpretation des Rollenfachs „unwürdige Greisin“ lässt alle Facetten eines sich gegen Entmündigung und Krankheit aufbäumenden Lebens funkeln: von lallend bis pointiert witzig, von anrührend bis abgeklärt, einsam, exaltiert und zart.

Dabei hätten die Erwartungen des Regisseurs durchaus auch eine gestandene Darstellerin lähmen können. Marcel Gisler – auch er geborener Schweizer, doch in Berlin lebend – will den Film ausdrücklich als „um größtmögliche Authentizität bemühte“ Hommage an die vor vielen Jahren verstorbene eigene Mutter verstanden wissen. Und hat sich selbst in der Sohnesrolle ins Drehbuch geschrieben: Ein in Berlin lebender, einigermaßen erfolgreicher midlifekriselnder Schriftsteller (Fabian Krüger) reist zu seiner alten Mutter in die Schweiz, um – im Clinch mit der Schwester – nach einem Sturz institutionelle Betreuung einzuleiten. Doch Rosie verteidigt ihr eigenständiges, von reichlich Alkohol geprägtes Leben in der Messie-Wohnung hartnäckig und setzt dabei auch die Nachbarn zwecks Hilfestellung ein. Dazu gehört auch der schöne Mario: In der Interpretation durch den Theateramateur Sebastian Ledesma bringt er den anmutigen Charme Pasolini’scher Vorstadtjungen in den Film – und Lorenz’ Lebensplanung ziemlich durcheinander.

Die Liebesgeschichte spiegelt sich in Ahnungen der verheimlichten Homosexualität des früh verstorbenen Vaters, die ein neues Licht auch auf Rosies Lebensleistung werfen. Auch dieses Element ist autobiografisch inspiriert. Gedreht wurde in Gislers aller Heidi-Idylle entbehrendem ostschweizerischen Heimatort Altstätten. Zwischen 1986 und 1998 (zuletzt „Fögi ist ein Sauhund“) hatte der Regisseur vier erfolgreiche Kinofilme realisiert, danach Serien für das Schweizer Fernsehen geschrieben und parallel gelehrt – seit 2009 an der Berliner dffb.

„Rosie“ ist sein erster Film seit 15 Jahren, doch die Idee gärte schon lang. Diese Reifezeit sieht man dem Ergebnis an. Gestaltet mit der intimen Kamera von Sophie Maintigneux, lässt der Film sich ohne Sentimentalität auf große Gefühle ein und gibt dem weiblichen Altern auf der Leinwand mit viel Humor ein neues, erfrischend wenig weichgezeichnetes Gesicht.

Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Moviemento; OmU: Hackesche Höfe und Xenon

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