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Kultur: Maria Turner macht einen Tag lang nur Dinge mit B

Leviathan heißt das Hauptwerk des englischen Staatsphilosophen Thomas Hobbes (1588-1679), in dem er den "Krieg aller gegen alle" ausruft - und zum Schutz vor diesem den absoluten Gehorsam gegenüber dem Staat fordert."Leviathan" heißt aber auch ein Roman des amerikanischen Schriftstellers Paul Auster aus dem Jahr 1992.

Leviathan heißt das Hauptwerk des englischen Staatsphilosophen Thomas Hobbes (1588-1679), in dem er den "Krieg aller gegen alle" ausruft - und zum Schutz vor diesem den absoluten Gehorsam gegenüber dem Staat fordert."Leviathan" heißt aber auch ein Roman des amerikanischen Schriftstellers Paul Auster aus dem Jahr 1992.Darin treten zwei Schriftsteller auf, von denen der eine normal und gehorsam ist, der andere aber Freiheitsstatuen im ganzen Land in die Luft sprengt.Als dritte verbindende Person zwischen den beiden konträren Gestalten - augenscheinlich Alter egos des Autors - tritt eine gewisse Maria Turner auf.Sie ist Künstlerin und hat vor allem zwei ausgefallene Eigenschaften: Sie kocht sich jeden Tag ein Menü von einer bestimmten Farbe und betätigt sich ganze Tage nach Maßgabe des Alphabets: Einen Tag macht sie nur Dinge mit B, den anderen nur welche mit J.Mit anderen Worten: Die Person ist ganz ihren Zwangsneurosen verfallen.

In einer Notiz zu seinem Buch löst Auster das Rätsel um die merkwürdige Person.Und zwar dankt er einer gewissen Sophie Calle "für die Erlaubnis, Fakten und Fiktion vermischen zu dürfen".Wie man weiß, ist Sophie Calle französische Künstlerin ersten Ranges und wie Auster an den vielfältigen Mischverhältnissen zwischen Realität und Fiktion interessiert.Von den Smalltalk-Seiten der Magazine weiß man weiter, daß beide sich sehr schätzen und seit einiger Zeit freundschaftlich verbunden sind.Was lag also näher, als gemeinsame franko-amerikanische Sache zu machen und sich zusammen auf die Publicity-Seite zu begeben, auf der sie sich ohnehin schon befinden.

Selbstredend ist bei diesem risikolosen Experiment nicht mehr herausgekommen als eine von beiden gestaltete Selbstanzeige auf den Hochglanzseiten des internationalen Kunstbetriebes.Dabei ist Calles Idee gar nicht einmal schlecht.Anstatt Auster wegen seiner punktuellen Falschinformationen zu verklagen, macht Calle gute Miene zum bösen Spiel.Sie fügt sich der Fiktion Austers und gehorcht ihrem Alter ego Maria Turner.Sie kocht bunt und lebt nach Buchstaben.Am Tage B ergibt das "Big time Blonde Bimbo" - ein Foto von Brigitte Bardot alias Sophie Calle inmitten ihres Tierreiches.Und am Montag ißt sie Orange, das heißt Karotten, Beutel- und gekochte Melonen.

Dokumentiert wird der ganze Hokuspokus von Fotos in Halbseide (29 000 bis 47 000 Mark).Dabei droht die glamouröse Hülle der Arbeit Calles den Blick auf deren Strenge zu verstellen.Es liegt etwas sehr poetisches darin, sich der Imagination einer anderen Person zu unterwerfen, und nicht mehr die eigene Vorstellung als das Maß des Selbst gelten zu lassen.Indem Sophie Calle wirklich tut, was vorher nur Fiktion war, verschiebt sie die Koordinaten zwischen Realität und Fiktion, An- und Abwesenheit.In der Hyperrealität ihrer dokumentierten Fiktionen geht es weniger um ihr Selbst, wie es wirklich ist, sondern um die Verwandlung in die andere, die sie nicht ist.

Die Calle arbeitet nicht mit der Verschiebung zwischen realem und literarischem Ich, sie läßt die eigene Person fallen.Verführt von ihrer Doppelgängerin, erlöst von der Last, sie selbst zu sein, läßt sie geschehen, was sie sonst nur mit anderen macht: Realitäten zu Fiktionen werden zu lassen und umgekehrt.Indem sie andere Leute die Neurosen erfinden läßt, die die Calle jahrelang umtrieben haben, wird sie zum Bild ihres eigenen Antriebs.Die Calle hat diesmal aus ihren neurotischen Motivationen kein Bild gemacht, sondern ein Bild dieses Antriebs herstellen lassen.Auf diese Weise wird sie, um es mit Nietzsche zu sagen, zu der Person, die sie ist.

Und doch umgibt ihre Arbeit, die vorher bereits im Centre National de la Photographie in Paris und im Camden Arts Centre in London zu sehen war, etwas süßliches, salonhaft-gelangweiltes.Ein Spiel im Raum der Kunst.Vorbei das Risiko ihrer früheren Aktionen, wo sie fremden Männern scheinbar grundlos nachstieg.Verweht das Geheimnis der gefundenen Adreßbücher, aus deren anonymen Nummern sich die Calle wirkliche Dramen rekonstruierte.Sophie Calle macht heute keine Erfahrungen mehr.Heute macht sie nur noch Kunst.Es ist ein wenig, als würde das reale Leben für Sophie Calle heute nur noch auf den Hochglanzseiten des Kunstbetriebs stattfinden - und es ist vielleicht das ehrlichste, dies einfach nur zuzugeben, statt den Chimären des Realen weiter nachzuspüren.

Galerie Arndt & Partner, Auguststraße 35, bis 10.Juli; Dienstag bis Sonnabend 12 - 18 Uhr.

KNUT EBELING

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