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Foto von Alfons Henne

© Copyright Martin Roemers, Delft

Martin Roemers' Kriegsporträts "The Eyes of War" im DHM: Der blinde Blick

Was heißt es, "kriegsversehrt" zu sein? Der Fotograf Martin Roemers hat Opfer des Zweiten Weltkriegs porträtiert. Die ungeschönten Arbeiten sind in der Ausstellung "The Eyes of War" im Deutschen Historischen Museum zu sehen.

Kriegsversehrt. Ein Wort, das nach Bohnerwachs, Nierentisch und Adenauers Parole „Keine Experimente!“ klingt. Vor dem inneren Auge tauchen Beinamputierte auf, die sich auf Krücken durch die zerbombten Städte schleppen, und Einarmige, die in Hinterhöfen Streichhölzer verkaufen. Filmszenen sind das inzwischen, nicht mehr Alltagserlebnisse. Die Nachkriegsjahre liegen weit zurück, sind Teil einer längst abgeschlossenen Epoche.

Falsch. Der Krieg ist nicht vorbei, die Opfer leben noch immer mitten unter uns. Sagt jedenfalls der niederländische Fotograf Martin Roemers. Er meint nicht die Afghanistan-Veteranen und auch nicht die Rückkehrer aus den Balkankriegen. Nein, es geht um die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs, in deren Gesichter sich die Spuren der großen europäischen Katastrophe ähnlich tief eingegraben haben wie in die Fassaden mancher Häuser, die noch heute Einschusslöcher tragen.

„The Eyes of War“ heißt die Ausstellung, die 40 von Roemers’ Porträtfotografien im Deutschen Historischen Museum versammelt. Weit aufgerissen oder auf ewig verschlossen sind diese Augen des Krieges. Ihr irritierender Blick geht stets am Betrachter vorbei, er richtet sich still nach innen oder in imaginäre Fernen. Denn alle Männer und Frauen, die Roemers in Großbritannien, Russland, den Niederlanden oder Deutschland aufgenommen hat, haben ihr Augenlicht durch den Zweiten Weltkrieg verloren.

Martin Roemers macht die Schrecken des Krieges spürbar

Gnadenlos rückt der Fotograf den Gesichtern im Close-Up nahe und zeigt jede Falte, jedes Härchen, jede Pore. So wird klar, was es heißt, „kriegsbeschädigt“ zu sein. Die Beschädigung manifestiert sich in tiefen Kerben, leeren Augenhöhle, entstellenden Narben. Noch im Erschrecken des Betrachters sind die Schrecken des Krieges zu spüren.

Schon das heruntergedimmte Licht vermittelt die sakral anmutende Atmosphäre der Ausstellung. Auf dunklen, mannshohen Stelen sind an den Front- und Rückseiten die überlebensgroßen Porträtfotos zu sehen. Daneben finden sich Aussagen aus Interviews mit den Porträtierten und kleine Konsolen mit den Nummern der Hörstation. Die Präsentation ist selbstverständlich blindengerecht gestaltet, es gibt ein taktiles Leitsystem und Ausstellungsführer in Brailleschrift. Die Besucher reagieren bewegt bis erschüttert, Gespräche werden nur flüsternd geführt.

Foto von Sieglinde Bartelsen
Sieglinde Bartelsen wurde 1945 bei einem Bombenangriff verletzt. Als sie sich das letzte Mal im Spiegel sah, war sie 15 und sehr mager.

© Copyright Martin Roemers, Delft

Angeregt zu seinem Langzeitprojekt „The Eyes of War“ wurde Martin Roemers, als er 2004 bei der Jubiläumsfeier zum D-Day-Gedenktag dem britischen Veteranen Frederick Bentley begegnete. Bentley war bei einer Patrouille in der Normandie durch eine deutsche Handgranate an den Augen verletzt worden, was ihm aber keineswegs die Lebensfreude nahm. „Ich habe 33 Jahre als Maschinenbautechniker gearbeitet“, sagt er. „Ich habe Maschinen kontrolliert, indem ich sie mit den Händen abtastete. Ich hatte Arbeit, bin verheiratet und habe vier Kinder. Nach dem Krieg hatte ich ein gutes Leben.“

Diese Mischung aus Pragmatismus und Optimismus – vielleicht eine Grundbedingung, um zu überleben – ist nicht untypisch für die vom Krieg gezeichneten Menschen, mit denen Roemers gesprochen hat. Sieglinde Bartelsen, die 1945 nach einem Bombenangriff erblindete, bilanziert: „Als ich mich das letzte Mal im Spiegel gesehen habe, war ich 15 und sehr mager. Jetzt bekomme ich regelmäßig Komplimente für mein Aussehen. Kürzlich sagte ein Mann zu mir, dass ich eine hübsche Frau sei. Ich bedankte mich für das Kompliment. Er sagte: Das ist kein Kompliment, das ist eine Feststellung.“

"Der Krieg war ein spannendes Abenteuer"

Der Brite Norman Perry, der 1942 in Libyen in eine „Dusche von Granatsplittern“ geriet, scheint bis heute über sein neues, blindes Leben zu staunen: „Es ist verrückt, aber ich sehe meine Frau noch immer vor mir als das 18-jährige Mädchen von früher. Ich habe ein Bild von jedem Menschen vor meinem geistigen Auge. Eine Frauenstimme ist immer ein hübsches Mädchen.“ Und Alfons Henne, der nicht nur seine Sehfähigkeit, sondern auch eine Hand einbüßte, fand durch die Behinderung zur Musik: „Ich singe als Tenor in einem Chor und spiele Trompete, Panflöte und Keyboard. Mit einer Hand Keyboard zu spielen ist gar nicht so einfach, aber es macht mir viel Freude.“

Henne gehört zur Mehrheit der Protagonisten, die als Kind zu Opfern des Krieges wurden. Er war zehn Jahre alt, als ein Freund ihm in einem Keller eine Handgranate gab und den Zünder abzog. Der Holländer Peter Witteveen versuchte mit sieben Jahren ein Munitionsteil mit einem Nagel zu öffnen. Es explodierte, doch er sagt nun trotzdem: „Der Krieg war ein spannendes Abenteuer. Ich habe immer noch gute Erinnerungen daran.“ Edith van der Meulen, ebenfalls aus den Niederlanden, wurde 14-jährig mit ihrer Schwester von Splitterbomben getroffen. „Später war sie tot, und ich war blind. Ihr Weinen konnte ich lange nicht vergessen.“

Die Vergangenheit ist nicht vergangen, ihr Schatten reicht bis in die Gegenwart. Anja Stupp, damals zwölf, wurde 1982 bei einer Explosion verletzt, als ein Spielkamerad etwas öffnen wollte, was wie eine Spieldose aussah. In Wirklichkeit war es eine Panzermine, 1945 von deutschen Soldaten auf der Flucht zurückgelassen. Vier Kinder starben. „Krieg dem Kriege!“, so hat der Pazifist Ernst Friedrich ein Buch genannt, in dem er Fotos von Verstümmelten des Ersten Weltkriegs präsentierte. Der Slogan könnte auch die Botschaft der Ausstellung von Martin Roemers sein.

DHM, bis 4. Januar, täglich 10–18 Uhr. Begleitbuch (Hatje Cantz Verlag) 35 €

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