zum Hauptinhalt

Kultur: Matisse und Legér: Die Fenster geöffnet!

Hat da jemand gesagt, dem Berliner Kunstmarkt fehle die Internationalität? Unmöglich, wir müssen uns verhört haben.

Hat da jemand gesagt, dem Berliner Kunstmarkt fehle die Internationalität? Unmöglich, wir müssen uns verhört haben. Schließlich gibt es viele Anzeichen für das Gegenteil. Man muß nur hinschauen. Zum Beispiel in die Versteigerungskataloge der Villa Grisebach, die ab dem 23. November ihre dreitägige Herbstauktion durchführt. Das Staunen gilt Henri Matisse und Fernand Léger. Erstmals in ihrer Geschichte bietet die Villa Grisebach zwei bedeutende Ölbilder der großen französischen Maler an, wie sie sonst nur in London, Paris oder New York versteigert werden. Die beiden Gemälde, geschätzt auf jeweils drei bis vier Millionen Mark, könnten bei aller Meisterschaft unterschiedlicher kaum sein. In Etretat, an der Küste der Normandie, malte Matisse 1920 das "Fenêtre ouverte: Etretat", einen Fensterausblick auf Strand und Meer, dessen heller, gedämpfter Farbklang die koloristische Begabung des Künstlers hervorragend zum Ausdruck bringt. Bezwingend ist der einfache, fast symmetrische Bildaufbau mit dem leicht aus der Mittelachse gerückten offenen Fenster. Wer eine solche Form wählt, muss nicht mehr mit Kunststückchen brillieren. Formal äußerst kompliziert ist die herrliche Komposition "Le trois figures" (1921) von Léger, ein rhythmisch verschachteltes, vom Kubismus inspiriertes Patchwork aus abstrakten und gegenständlichen Formen, die im Bild zu einer vollkommenen Einheit verschmelzen. Die utopische Idee einer Harmonie von Mensch, Maschine und moderner Technik klingt an, jenes Generalthema, das Léger später auch in großen Wandbildern zu beschwören suchte.

Das Angebot der Villa Grisebach ist umfangreicher denn je. Zu den üblichen vier Katalogen mit Kunstwerken des späten 19. und des 20. Jahrhunderts sowie der mittlerweile qualitäts- und mengenmäßig beeindruckend gewachsenen Foto-Abteilung gesellt sich diesmal ein eigener Katalog für die zeitgenössische Kunst ab etwa 1960. Auch wenn dieser eine Reihe beeindruckender Stücke bereit hält, stammen die besten Werke doch wie immer aus der ersten Jahrhunderthälfte. Zeitlich noch weit davor liegt die virtuose, überaus sensible Pastellzeichnung, die Adolph Menzel um 1848/50 von seiner Schwester Emilie anfertigte und die Menzels Rang als bedeutendster deutscher Zeichner des 19. Jahrhunderts auf eindrucksvollste Weise bekräftigt (Taxe 120 000 Mark). Äußerst ungewöhnlich und in ihrer Drastik atemberaubend sind die 1930 von Felix Nussbaum gemalten "Sargträger", die allerdings mit einer knappen halben Million Mark möglicherweise gar zu optimistisch angesetzt sind. Stücke von musealer Qualität finden sich ferner unter anderem von Jawlensky, Macke und Schmidt-Rottluff. Besonders erwähnt sei das elegante, aus glänzendem Amarantholz geschnitzte "Stehende Pferd" von Ewald Mataré aus dem Jahr 1931, für das mindestens 150 000 Mark erwartet werden. Opulent vertreten innerhalb der Nachkriegskunst ist vor allem Ernst Wilhelm Nay, etwa mit seinen "Wirbelnden Rhythmen in Blau" von 1958 zu 300 000 Mark.

Auch die Fotografie kann sich sehen lassen. Constantin Brancusi, Imogen Cunningham, Gisele Freund, Peter Keetman, Edward Steichen, Alexander Rodtschenko und viele andere sind mit teils hervorragenden Vintages dabei. Die höchsten Schätzpreise liegen um die 15 000 Mark. Die vergangenen Foto-Auktionen haben jedoch gezeigt, dass man gerade in diesem preislich noch langeausgereizten Bereich auf so manche Überraschung gefasst sein darf.

Markus Krause

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false