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Plötzlich hat sich die hässliche Alte in eine schöne Fee (Stacy Martin) verwandelt.

© Concorde Film

Matteo Garrones Film "Das Märchen der Märchen": Es wäre einmal

In „Das Märchen der Märchen“ kombiniert Matteo Garrone drei Traktate aus der Märchensammlung Giambattista Basiles - und verliert sich in einer superbunten Retro-Fantasie.

Italien heute, das ist in Matteo Garrones Filmen die düstere Kehrseite mediterraner Schönheit. „Gomorrha“ (2008), seine Verfilmung von Roberto Savianos literarischem Mafia-Report, führt in die schäbigen Hinterhöfe und Vorstädte von Neapel, in lauter Zonen realer Gewalt und Ausbeutung. „Reality“ (2012) erzählte von einem Fischhändler, der sein Leben dem alltäglichen Wahnsinn einer der Fernsehshows widmet, die in Fellinis einstiger Kino-Traumkulisse Cinecittà heute ihre bizarren Blüten treiben.

Die Wucht menschlicher Obsessionen reizt Matteo Garrone auch in „Das Märchen der Märchen“, einem völlig anderen Genre-Entwurf, mit dem der 46-jährige ehemalige Kunstmaler und Kameramann im Mai das Filmfestival von Cannes in Erstaunen versetzte. „Lo cunto de li cunti“, die Märchenerzählungen des aus Kampanien stammenden Dichters Giambattista Basile aus dem frühen 17. Jahrhundert – einem Vorbild der Gebrüder Grimm – inspirierten ihn zu einem historischen Fantasy-Film von monströser Delikatesse. An die Stelle aktueller düster-greller Bildräume nun Pracht und Elend einer liebevoll rekonstruierten archetypischen Märchenwelt, in denen sich Könige und Untertanen, Gaukler und Monster, Arm und Reich, Männer und Frauen in Bewährungsproben verstricken.

Monumentale Staufer-Burgen, weite süditalienische Landschaften und moosig grüne Zauberwälder sind die magischen Orte des Films, wunderbare Kostüme und Szenerien versprechen taktile Genüsse, und internationale Stars wie Salma Hayek und Vincent Cassel polieren auf ihre Weise den Glanz der farbintensiven Bilder. Und doch legt sich die Schönheit wie eine Fessel auf dieses filmische Liebesobjekt des Regisseurs.

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Drei Traktate aus der Märchensammlung Giambattista Basiles vereint Matteo Garrone zu einem Episodenreigen. Gaukler auf Stelzen führen zu Beginn an den Hof eines unglücklichen Königspaars (Salma Hayek und John C. Reilly); dort können selbst die Späße der Vagabunden nicht davon ablenken, dass die Königin unter ihrer Kinderlosigkeit leidet. Sie bringt ihren Gatten dazu, der Weissagung eines herbeigerufenen Magiers zu folgen und das Herz eines Seeungeheuers zu erbeuten. Matteo Garrone lässt sich, anders als es die heute so gängige Hektik der Special-Effects-Märchen vorschreibt, viel Zeit für die Suche unter Wasser, bei der die Sicht des in einem urtümlichen Tauchanzug gefangenen Königs getrübt wird und das mechanische Monster rätselhaft undeutlich bleibt.

„Das Märchen der Märchen“ spielt mit der Schaulust. Die Monsterwesen des Films verleugnen ihre Plastik-Körperlichkeit nicht, während andererseits reale Schauplätze und Requisiten – etwa eine rote Decke, in einer anderen Episode des Films der Ort der Verjüngung einer alten Frau – in surreale Farbeffekte verwandelt werden.

Salma Hayek, die Königin, erfüllt sich ihren Kinderwunsch, indem sie – dem Orakel folgend – das blutige Herz des Ungeheuers verzehrt und dem im Kampf getöteten König keine Träne nachweint. Das Herz findet nach dem Mahl jedoch eine zweite Esserin. Nicht nur die Königin bekommt einen Sohn, sondern auch die arme Untertanin. Und der Prinz wird – Moral von der Geschicht’ – die Mutter verlassen, um sein Ebenbild zu finden.

Fliegenhaut, unsichtbare Frauen und die ewige Jugend

Die zweite Episode erzählt von einem König (Toby Jones), der sich in eine Fliege verliebt und sie wie ein Schoßtier mästet. Nie würde jemand das Geheimnis erraten, glaubt er, und präsentiert die Fliegenhaut nach dem unglücklichen Tod seines Lieblings den Heiratskandidaten seiner Tochter. Ausgerechnet der gruseligste unter ihnen, ein Oger, der in einem Adlerhorst lebt, gewinnt die von ihrem Vater verratene Prinzessin, indem er die Fliegenhaut erschnuppert. Die Prinzessin (Bebe Cave) muss sich mit List und Tücke bewähren, um sich vor der Besitzergreifung zu retten.

Und die dritte Episode? Ein Wüstling (Vincent Cassel), der von den Orgien am Hof genug zu haben scheint, sucht eine Gattin. Seine Wahl fällt auf eine unsichtbare Frau, deren Stimme ihn betört. In Wahrheit verbirgt sich hinter der Tür einer Arme-Leute-Hütte ein altes Schwesternpaar, das nun mit aller Macht versucht, den Aufstieg an den Hof zu erringen. Doch es fällt dem veritablen Ekel des Königs vor einer gleichaltrigen oder gar älteren Geliebten zum Opfer.

Besessene Kinderwünsche, neurotische Haustierliebe, die Sehnsucht nach ewiger Jugend – arg deutlich sind denn doch die aktuellen Botschaften Garrones geraten. Nichts gegen Kunstgewerbe, aber seine Märchen verlieren sich in Dekoration.

Cinemaxx, Colosseum, FaF, Passage, Kant, Kulturbrauerei; OmU im Babylon Kreuzberg, Hackesche Höfe, International

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