zum Hauptinhalt

Mauergedenkstätte: Aus der Geschichte lernen

Vor einer Woche polemisierte Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm gegen den Ausbau der Berliner Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße. Eine Erwiderung von Kulturstaatssekretär André Schmitz.

Man weiß gar nicht, welches Missverständnis man zuerst ausräumen muss bei Dieter Hoffmann-Axthelms Polemik (Tsp. vom 2. 12.), bevor man zur sachlichen Kontroverse kommen könnte.

Fangen wir bei den Zahlen an: Das Mauergedenkkonzept wird nicht neun Millionen Euro teurer als vom Senat 2006 kalkuliert. Wenn wir jedoch all das hinzurechnen, was bereits vor der Verabschiedung des Konzepts zur Erinnerung an die Mauer auf den Weg gebracht wurde – den Mauerweg zum Beispiel –, dann kommen wir auf diese Zahl.

Die Bernauer Straße wird im dezentralen Gedenkkonzept der zentrale Ort sein, an dem an die Teilung erinnert und der Opfer auf würdige Weise gedacht wird. Sie ist mit jährlich 265 000 Besuchern die meistbesuchte Gedenkstätte zur DDR-Geschichte. Ab 2011, wenn das Areal fertiggestellt ist, erwarten wir mehr als 450 000 Besucher. Voraussetzung dafür ist, dass der Gedenkort entsprechend gestaltet und ausgestattet ist. Davon lassen sich der Bund und Berlin bei ihrer Planung leiten.

Die Behauptung, dass es „einen objektiven Bedarf und ein gedenkpolitisches Bedürfnis an der Bernauer Straße“ nicht gebe, verkennt die Realität. Nach den vorliegenden bauhistorischen Recherchen ist dies der Ort mit der höchsten Dichte an materiellen Resten und Spuren der Mauer – und der Ort mit der dramatischsten Ereignisgeschichte, wie die vielen geglückten oder tragisch geendeten Fluchten oder die Tunnelbauten zeigen. Anders als am Brandenburger Tor oder am Checkpoint Charlie hat die Mauer das Alltagsleben der Berliner hier besonders tief geprägt und sozial wie stadträumlich die größten Verwüstungen angerichtet.

Abwegig wird Hoffmann-Axthelms lokalpolitischer Streifzug, wenn er die Wurzel der Gedenkstätte im Grünflächenbedarf der Bewohner sieht. Hier sollten vielmehr Wohnbauten entstehen. Diese Pläne hat der Senat 2004 gestoppt. Und das nicht, weil er etwa dem damaligen Senator Thomas Flierl auf den Leim gegangen wäre, sondern weil Flierl ein überzeugendes Gedenkkonzept vorgelegt hat, das dem wachsenden Wunsch nach Erinnerung an die Mauer und Gedenken an die Opfer am authentischen Ort entsprach.

Die Wurzeln dieser Gedenkstätte führen zu Pfarrer Fischer und seinen hartnäckigen Appellen, einmal Abstand zu nehmen von einem fatalen „Hau weg“-Zeitgeist, der nahezu die gesamten Grenzanlagen binnen weniger Monate gründlich beseitigte. Ein Zeitgeist übrigens, gegen den Hoffmann-Axthelm vor 30 Jahren selbst verdienstvoll und erfolgreich angetreten ist, als es galt, die Straßenüberbauung des Prinz-Albrecht-Geländes zu verhindern und so der Gedenkstätte Topographie des Terrors den Weg zu ebenen.

Heute, an der Bernauer Straße, findet Hoffmann-Axthelm eine solche Wertentscheidung für das Innehalten, für den Ausstieg aus dem für Berlin leider so typischen Kreislauf von Bauen, Abreißen, Umpflügen und Neubauen fantasielos. Er hält es offenbar für fantasievoller, wenn Berlin auch hier durch vollständige Bebauung des letzten innerstädtischen Mauerstreifens seine „stadtwirtschaftliche Chance nutzt“. Welche eigentlich?

Der Tourismus ist eine der wenigen wirtschaftlichen Chancen, die Berlin entschlossen zu nutzen scheint. Umfragen zufolge wird Berlin im Ausland vor allem mit der Mauer und ihrem Fall assoziiert, die Besucher erwarten hierzu Informationen. Viel Fantasie braucht es auch nicht, sich vorzustellen, dass eine Straßenbahn – zumal, wenn sie bis zum Hauptbahnhof führt – Touristenströme zur Mauergedenkstätte bringt und daher eine stadtwirtschaftlich sinnvolle Investition ist.

Für diesen Ort sollten jedoch nicht primär stadtwirtschaftliche, sondern kulturpolitische Prioritäten gelten. Mit der Entscheidung für die Gedenkstätte an der Bernauer Straße zieht die Stadt Lehren aus vergangenen Fehlern und bekennt sich zu ihrer Rolle als Hauptstadt der gewalttätigen Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts. Hier wird ein authentischer Ort freigelegt, der Pars pro Toto für die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West steht, der die großen weltpolitischen Geschichtslinien ebenso wie die lokalpolitischen und biografischen Narrative abbildet.

Auch die Menschen in 20 oder 50 Jahren sollten noch begreifen können, dass die Mauer kein „antifaschistischer Schutzwall“ war, sondern sich gegen die eigene Bevölkerung richtete. Und dass hier nicht nur ein in den Augen heutiger videospieltrainierter Jugendlicher fast mickriger 3,6-Meter-Betonzaun stand, sondern ein subtil gestaffeltes, immer perfekter ausgebautes, scharf bewachtes Grenzsystem, dessen scheinbar leichte Überwindung vielen Menschen den Tod brachte.

Der Autor ist Kulturstaatssekretär in Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false