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Maurice Jarre: Der Schiwago-Mann

Seine berühmteste Partitur war die zu „Doktor Schiwago“, obwohl sie seinem Ruf geschadet hat. Zum Tod des Filmkomponisten Maurice Jarre.

Der Preis fürs Lebenswerk auf der jüngsten Berlinale war überfällig – für den Preisträger und für den Berufsstand. Große Filmkomponisten wie Bernard Herrmann oder Nino Rota wurden von den A-Festivals ignoriert; auch die Ehrung Maurice Jarres hätte üppiger ausfallen können. David Leans „Lawrence von Arabien“ (1962) war bereits Bestandteil der Breitwand-Retrospektive; da wurde Jarre eben gleich einmal mehr als der Lean-Komponist gefeiert, als der Mann fürs Monumentale – dabei hatte er auch ein Faible für Kammerspiele mit sparsamem Einsatz. Als er den Ehrenbären entgegennahm, beeindruckte vor allem die rüstige Erscheinung des 84-Jährigen. Umso überraschender kommt die Nachricht von seinem Tod.

Seine berühmteste Partitur wird wohl die zu „Doktor Schiwago“ (1965) bleiben, obwohl sie seinem Ruf geschadet hat. Der Produzent bestand auf einem massiven Einsatz des Lara-Themas, das auch noch zu einem Schlager verarbeitet wurde: „Weißt du, wohin?“ sang Karel Gott im deutschsprachigen Raum. Jarre stritt oft mit Regisseuren, die erwarteten, dass er Liebesszenen mit Musik zukleisterte. Eine anspruchsvollere Aufgabe stellte ihm David Lean bei „Reise nach Indien“ (1984): Wie vermittelt man dem Publikum, dass die altjüngferliche Protagonistin sexuelle Gefühle entwickelt? Lean erklärte Jarre, die Musik müsse aus dem Unterleib kommen. Der Komponist hat das Problem meisterhaft gelöst.

Ihm eigentlicher aber war die Neigung zum Thriller. Jarre hatte Schlagzeug studiert, mit einer Vorliebe für elektronische Instrumente. Zum Film kam er durch Georges Franju, dessen Psychiatriestudie „Mit dem Kopf gegen die Wände“ ebenso von seinen verstörenden Klängen profitierte wie der Horrorfilm „Augen ohne Gesicht“. Zu Jarres Lieblingsmotiven gehörte der Trommelwirbel; kein Wunder, dass Volker Schlöndorff ihn für „Die Blechtrommel“ engagierte. Mit Maurice Jarre ist ein Vielseitiger des Kinos gestorben und, sofern man dies aus seiner Musik schließen darf, ein wahrhaft Verspielter. Frank Noack

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