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Kultur: Mauselöcher im Käse Dieses Buch gehört Friedrich Hebbel:

„Maria Magdalena“ am Maxim Gorki Theater

Erste Neuerung in der zweiten Spielzeit von Armin Petras’ Maxim Gorki-Theater: Es gibt wieder Programmhefte, nicht mehr nur die Besetzungsstreifen zum schnellen Überfliegen. „Maria Magdalena“ und „Friedrich Hebbel“ steht nun auf dem altrosa Umschlag des schmalen Heftes zu dem Abend von Jorinde Dröse. Drinnen findet man nicht nur kitschige Fotos von einer weinenden Maria und einen lustigen Comic von Kalle P.T.Wolters. Es findet sich gleich auf der ersten Seite auch der Satz: „Dieses Buch gehört: ... .“ Darunter kann der Zuschauer auf gestrichelten Linien Namen, Anschrift und Datum eintragen. Womit wir bei der zweiten Neuerung wären, die gar keine Neuerung ist, sondern nur die konsequente Fortführung und Steigerung einer Tendenz, die schon in der letzten Spielzeit zu beobachten war. Das Maxim Gorki-Theater versteht sich immer mehr als Theater für Schüler, das Stücke weniger interpretieren, sondern mehr bewerben möchte.

Schöne Musik, ein bisschen Bewegung und lebendige, wandlungsfähige und mit dem glühenden Drang zur „wahren Empfindung“ ausgestattete Schauspieler, die kurzweilig eine Geschichte runterspielen. Hier geht es nicht um große Kunst, sondern um das Erweckungserlebnis fürs Medium als solches: auf dass die Jugend ihre Begeisterung fürs Theater (wieder-)entdeckt. Das ist nicht nur löblich, sondern – zumindest wenn Armin Petras hinterm Regiepult steht – auch charmant und erfrischend.

In diesem schülerorientierten Sinn kam man die Inszenierung von Jorinde Dröse durchaus als halb gelungen bezeichnen. Gelungen, weil die Regisseurin mit ihren Einfällen so punktgenau auf einen Deutschkurs 11. Klasse zielt, dass man die Unterrichtsszenerie nach dem Theaterbesuch förmlich vor Augen hat. Lehrer: Warum haben denn die Schauspieler so oft nach oben geguckt? Schüler: Weil sie Gott gesucht haben, aber der ist bei Hebbel stumm. Lehrer: Und warum haben sich die Schauspieler in den Zwischenszenen nicht bewegt? Schülerin: Ich glaube, das war eine Traumebene, in die sich die Figuren geflüchtet haben, weil ihr Leben so trostlos ist. Lehrer: Und warum ist ihr Leben so trostlos? Schüler: Weil (wirft einen schnellen Blick ins Programmheft) der „entfesselte Kapitalismus“ verhindert, dass die Figuren sich wirklich lieben.

Wohl auch, weil bei so viel Schielen auf die pädagogische Wirkung das Erfrischende, der Rhythmus und die Schauspielerführung zu kurz kommen. In dem zum Stück passenden klaustrophobischen, nur wenige Meter tiefen dunkelbraunen Holzraum, der statt Türen nur Fensterlöcher hat (Bühne und Kostüme: Susanne Schuboth), bewegt sich die Familie des Tischlermeisters Anton anfangs so ungelenk, dass man sich eher in einer Off-Produktion wähnt. Die Hilflosigkeit der Schauspieler verliert sich später, die unbeholfene Regie nicht.

„Maria Magdalena“, Hebbels größter Erfolg aus dem Jahr 1844, ist ein gar trauriges Stück. Es spielt in enger Kleinbürgerwelt, in der das Gefühl des Einzelnen nichts, die Meinung der anderen viel und die Schande alles gilt. Das Verschwinden des Geliebten, eine Affäre aus Not inklusive Schwangerschaft, der Schatten des Diebstahlverdachts auf dem Bruder, der Schwur dem strengen Vater gegenüber – schon findet sich Klara in einer Zwickmühle, aus der ihr nur der Weg ihn den Freitod bleibt. Das Schicksal des Einzelnen interessierte Hebbel nicht, dafür die den Einzelnen zermalmende Mechanik des Ganzen, weshalb er sich mit sadistischer Zufriedenheit über das tödliche Ende äußerte. „Jetzt sind alle Mauselöcher ausgestopft...“.

Dröse will das Drama erzählen, ohne den Zuschauer durch Schmerz zu verschrecken. Deshalb müssen die Schauspieler, sobald am Horizont so etwas wie Eindringlichkeit auftaucht, sofort einen Fluchtschritt ins Humoristische machen, die Beine spreizen bis zum Spagat, an der Wand entlang rutschen oder die Sätze fünfmal wiederholen. Auch was die Hebbel’sche Gefühllosigkeit angeht, drückt Dröse ein Auge zu und überzieht die Beziehungen mit einer Puderzuckerschicht aus Hoffnung: so sind die Eltern bis zum Tod der Mutter (Ruth Reinecke) ein glückliches Paar. Das ist zwar – wenn man an die spätere Sturheit des Vaters (Andreas Leupold) denkt – unglaubwürdig, aber süß anzuschauen. Für das Dunkle sollen dagegen Traumbilder zuständig sein, in denen die Schauspieler auf völlig untraumhafte Weise in der Bewegung verharren.

Der Rest ist Schauspielerei. Gunnar Teuber gibt den Kindsvater Leonhard als gnadenlosen Korinthenkacker mit Chaplin-Anleihen, Julian Mehne schenkt dem Sekretär die Hysterie des zottelköpfigen Hagerlings, während Jörg Kleemann als ewiger Sohn melancholisch die Ukulele zupft und dabei einen Hauch von Atmosphäre aufkommen lässt. Anika Baumann ist eine kindlich ungestüme Klara, die erst schmollend mit den Augen rollt, um im abschließenden Bittmonolog beim Rechnungen sortierenden Leonhard ahnen zu lassen, welche Verzweiflungstiefen noch in ihr schlummern. Dann, geht sie, die Holzwand ist inzwischen hochgefahren, Richtung Brandmauer dahin. Jubel. Wie lautete der letzte Satz des Meister Anton? „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“

Wieder am 13. und 21. 9. sowie 4. 10.

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