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Max Beckmann: Der Weltenrätsler

Drei große Ausstellungen feiern den Maler Max Beckmann. Dabei hat jede ihren eigenen Schwerpunkt: Leipzig zeigt Porträts, Basel Landschaften und Frankfurt am Main konzentriert sich auf die Werke aus seiner Amerika-Zeit.

Nicht immer sind es kalendarische Anlässe, die den Ausstellungsbetrieb beflügeln. Max Beckmann beispielsweise feiert in diesem Jahr kein Jubiläum. 1884 in Leipzig geboren, 1950 in New York gestorben, auch die wichtigsten Lebensstationen runden sich nicht 2011. Und doch wartet dieser Herbst mit gleich drei Beckmann-Ausstellungen auf, in Leipzig, Basel und Frankfurt am Main. Eine vollgültige Retrospektive wie zuletzt zum 100. Geburtstag des Malers 1984 ersetzen sie nicht, und doch reichen sie darüber hinaus, indem sie Teilbereiche des gewaltigen Œuvres beleuchten, die bislang nicht vollends ausgelotet waren.

Das Leipziger Museum der bildenden Künste, das die übrigens unabgesprochene Ausstellungstrias eröffnete, zeigt unter dem Titel „Von Angesicht zu Angesicht“ Beckmann als Porträtisten, das Kunstmuseum Basel stellt „Die Landschaften“ vor, und das Frankfurter Museum Städel konzentriert sich unter dem Titel „Beckmann & Amerika“ auf die letzten drei Lebensjahre des Malers ab 1947. Der vom Amsterdamer Exil befreite Künstler verbrachte sie voller Energie in den USA. Es gibt also kein verbindendes Element, und doch ergänzen, kommentieren und bestärken die drei Ausstellungen einander so sehr, dass eine Rundfahrt sich lohnt.

Und das nicht nur für denjenigen, dem Beckmann ohnehin ein Fixstern am künstlerischen Firmament des 20. Jahrhunderts ist. Dabei muss man immer auf der Hut sein, um die kraftvoll vorgetragene Selbstinszenierung nicht für die bare Münze seines Werks zu nehmen. Beckmann ist ein Verkünder, der hinter demonstrativen Feststellungen über Welt und Leben eine anrührende Verletzlichkeit verbirgt. Vor allem das schiere Entsetzen, das ihn 1915 an der Westfront in Flandern packt und seither nicht mehr losließ. Der Dämonen, denen er in der Maske des Weltmanns samt Dinnerjacket, Champagnerglas und Zigarette entgegentritt, weiß er sich nur zu erwehren, indem er sie in seinen mythologischen Bildern wieder und wieder herbeizitiert. Und sei es, wie er selbst sagte, als „Schicksal in Gestalt des Liftboys“ , den der Hotelliebhaber Beckmann in seinen glücklichen Frankfurter Jahren bis zum Rausschmiss als Professor an der Städel-Schule 1933, oft genug hat beobachten können.

Etwas Großsprecherisches haftet den mythologischen Kompositionen ungeachtet aller Tiefgründigkeit denn auch immer an. Es ist, als ob Beckmann den Betrachter nicht überzeugen, sondern überrumpeln wollte. Und er reagierte höchst empfindlich, wenn er den Eindruck gewann, sein Gegenüber verstehe die Bilder nicht. Berühmt die Briefstelle, in der er an seinen rührigen New Yorker Galeristen Curt Valentin schreibt: „Wenn’s die Menschen nicht von sich aus aus eigener innerer Mitproductivität verstehen können, hat es gar keinen Zweck, die Sache zu zeigen.“

Lesen Sie auf Seite 2, wie New York das Werk des Künstlers beeinflusst hat.

Im Städel ist dazu eine verblüffende Beobachtung zu machen. In den USA, wo Beckmann auf Einladung im mittelwestlichen St. Louis Quartier samt Lehrauftrag bezogen hatte, dann aber in New York lebte und mit der Metropole der Moderne schlechthin konfrontiert war, hält er an seinem Programm der großen Bild- und Weltenrätsel fest. Zugleich aber stellt er sich, mehr denn je, der Modernität seiner Zeit, bis hin zu dem gewiss nicht großartigen, aber bezeichnenden, unvollendet gebliebenen Bild „Brillenladen“. Dessen erste Skizze stammt laut Tagebuch vom 21. Dezember 1950, sechs Tage später erlitt er den Herztod am Rande des Central Parks. In diesem Gemälde ist die Kenntnis des amerikanischen Alltagsrealismus etwa eines Reginald Marsh ebenso zu spüren wie das abstrakt Expressionistische der im Entstehen begriffenen New York School. Dazwischen manches Gemälde, das in die Kategorie der Auftrags- oder Freundschaftsarbeiten fällt. Hier zeigt Beckmann als Zeitgenosse Präsenz, diesseitig, zugewandt, mitten drin im Leben, das er im Amsterdamer Versteck seit Juli 1937 in elender Furcht vor den Nazi-Verfolgern so sehr hatte reduzieren müssen.

Das herausstechende Merkmal der amerikanischen Bilder ist die Farbe. Deutlich wie nie ist im Städel zu sehen, dass der begnadete Kolorist Beckmann sich noch weiter zu steigern vermag. In der Nahbetrachtung der Gemälde treten die raffinierten Unter- und Übermalungen vor Augen, mit denen Beckmann das innere Leuchten der Farben steigert und ein in jeder Hinsicht dunkles Werk wie „Cabins“ von 1948 zu einer glühenden Vision verdichtet. Und er feiert den menschlichen Körper wie bei der „Frau mit Mandoline“, die sich so unschuldig wie lasziv auf dem Diwan räkelt.

In den USA entstehen zahlreiche Porträts: Beckmann, der so gerne den Misanthropen gibt, genießt das Gesellschaftsleben in vollen Zügen. Museumsdirektoren, Sammler, Galeristen: Beckmann malt sie alle – und verdankt ihnen unendlich viel. Es gehört zur Geschichte der Vertreibung des deutschen Geisteslebens durch die Nazis, dass die Rezeption der Exilanten und ihrer Arbeit jedenfalls in den USA früher und intensiver stattfindet als in Nachkriegsdeutschland. Beckmann wird als amerikanischer Künstler eingemeindet, zugleich verhilft das Netzwerk vertriebener deutsch-jüdischer Kunsthistoriker dem Künstler auch zu materieller Sicherheit. Die größte Beckmann-Privatsammlung entsteht in St.Louis. Wichtige Werke, von denen das Städel mit den Triptychen aus Washington und New York gleich drei Schwerstgewichte präsentiert, gelangen oft schon früh in Museumsbesitz.

Die Bildnismalerei Beckmanns ist der bislang am wenigsten betonte Aspekt seines Werkes. Die Leipziger Ausstellung führt vor, wie zeitlebens Porträts entstehen. Besonders im Frühwerk, vor der künstlerischen Radikalwende gegen Ende des Ersten Weltkriegs, als Beckmann die Historienmalerei wie die seiner merkwürdig reglosen „Schlacht“ von 1907 verwirft. Vor Kriegsausbruch als bereits arrivierter Nachwuchskönner in Berlin malt Beckmann sich gerne selbst samt (erster) Gattin Minna und kleinem Sohn Peter, der ihm später als Militärarzt eine enorme Stütze im besetzten Holland sein wird. In den Frankfurter und Berliner Jahren ab 1933 – Beckmann ist sich weiterhin selbst das liebste Modell – kommt manche Größe hinzu, wie 1935 Heinrich George. Das Großsprecherische des Schauspielers bei gleichzeitiger Empfindsamkeit kommt in dessen Familienporträt aus der Berliner Nationalgalerie als verwandte Seelenlage zum Ausdruck.

Lesen Sie auf Seite 3, was Max Beckmanns Malereien auszeichnet.

Bleiben die Landschaften, denen sich das Baseler Kunstmuseum widmet. In ihnen muss Beckmann nichts beweisen. Mancher Kritiker sieht darin lediglich Fingerübungen, ja „fast belanglose Gelegenheitsarbeiten“. Was für ein Irrtum! Der Umstand, dass Odysseus & Co., die Beckmann in seinen großen Kompositionen immer wieder herbeiruft, in den Landschaften nicht auftauchen, kann doch den Blick auf die Landschaften nicht verstellen. Denn Beckmann sagt es nicht nur so dahin, zu den Schülern seiner amerikanischen Sommerkurse etwa, dass nach der Natur zu arbeiten das unverzichtbare Rüstzeug des Malers sei.

Er selbst ist ein wunderbar genauer Beobachter. Nicht nur, dass er Topographie und markante Einzelheiten der von ihm besuchten Orte – er war ein begeisterter Reisender – präzise erfasst. Er verdichtet sie zugleich zu poetischen Aussagen wie in der unheimlichen, flaschengrünen Stadtansicht von Genua 1927 oder der mit hellgelben Lichtpunkten besetzten Perspektive der „Promenade des Anglais“ in Nizza 20 Jahre später. Beckmann liebt das Meer, er fährt immer wieder an die Küste, ob in Südfrankreich oder Holland. Und wer die melancholische Morgenröte in seinem „Scheveningen“-Bild von 1928 betrachtet, der ahnt, dass das Meeresrauschen ihm nicht etwa Ruhe schenkte.

Bedrohlich wetterleuchtet es auch über dem Tiergarten mit dem Komponistendenkmal, einem der allerletzten Bilder, die Beckmann in Berlin vor seiner Flucht im Juli 1937 malt. Wie so manches Bild in den drei Ausstellungen ist auch dieses eine Entdeckung, wird in Privatbesitz aufbewahrt und war bislang nicht öffentlich zu sehen. Auch das erstaunlich genug.

Seit der damalige Städel-Direktor Klaus Gallwitz 1981 mit der Präsentation von neun der zehn Triptychen einen Paukenschlag setzte, im Vorfeld zu den Feiern des 100. Geburtstags 1984, hat es nicht wenige Beckmann-Ausstellungen und Einzeluntersuchungen gegeben. Max Beckmanns Malerei, das bestätigt sich jetzt erneut, nutzt sich nicht ab, sie gewinnt im Gegenteil immer mehr hinzu, nicht nur die Facetten der Porträt- und Landschaftsmalerei.

Hier wird ein Künstler in voller Größe sichtbar, dessen Werk auch nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mühelos in der Wirklichkeit verankert bleibt. In einer Realität, an der rings um ihn eine ganze Generation verzweifelt. Beckmann spielt eher mit der Verzweiflung, die ihn doch seit jeher bedrängt.

An Stephan Lackner, seinen jüngeren Mäzen und Sammler, schreibt er zwei Tage vor seinem Tod einen letzten Brief und berichtet von der Fertigstellung des „Argonauten“-Triptychons. „Na nun hab ich’s hinter mir. – Puh.“ Dieses Lebenswerk, dieses „Puh“ steht nun zu großen Teilen in den drei Ausstellungen in Frankfurt, Leipzig und Basel vor Augen.

Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstr. 10, bis 22. Januar, Katalog 39,80 €. www.mdbk.de;

Städel-Museum, Frankfurt/Main, Schaumainkai 63, bis 8. Januar, Katalog 34,90 €. www.staedelmuseum.de

Kunstmuseum Basel, St. Albangraben 16, bis 22. Januar, Katalog 48 SFr. www.kunstmuseumbasel.ch

Alle Kataloge im Verlag Hatje Cantz, Stuttgart, im Buchhandel 49,80/44/49,80 €

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