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Kultur: Maximierte Tanzbarkeit

Der Mann hatte Wagemut und Stil: Als Alexander von Humboldt vor 200 Jahren zu seiner Südamerika-Exkursion aufbrach, galt es zunächst, den Atlantischen Ozean zu überwinden - einen "nicht sehr breiten Meeresarm", wie er befand. In Venezuela angelangt, stellten auch schroffe Gebirge, Urwälder oder brüllendes Getier scheinbar kein echtes Hindernis für den preußischen Universalisten dar, der die Zeit der Stagnation daheim mit dem persönlichen Sprung nach vorn vertauschte.

Der Mann hatte Wagemut und Stil: Als Alexander von Humboldt vor 200 Jahren zu seiner Südamerika-Exkursion aufbrach, galt es zunächst, den Atlantischen Ozean zu überwinden - einen "nicht sehr breiten Meeresarm", wie er befand. In Venezuela angelangt, stellten auch schroffe Gebirge, Urwälder oder brüllendes Getier scheinbar kein echtes Hindernis für den preußischen Universalisten dar, der die Zeit der Stagnation daheim mit dem persönlichen Sprung nach vorn vertauschte. Mit ähnlicher Unbekümmertheit und - finanzieller - Risikofreude durchstreiften in den letzten zehn Jahren auch die Macher der "Heimatklänge" die Kontinente bei der Gestaltung ihrer renommierten Berliner Weltmusik-Reihe.Nach der Vertreibung des Tempodroms aus dem Tiergarten ins nüchterne Ostbahnhof-Areal müssen die "Heimatklänge" jedoch nochmals einen Sprung ins kalte Wasser wagen und nunmehr ihre wahre Zugkraft beweisen. Getreulich den Spuren des großen Alexander folgend starten sie "Humboldts Reise" in Venezuela und taten einen echten Glücksgriff: Für den popmusikalischen Golfstrom, der in den letzten Dekaden Lateinamerika, die Karibik und Europa verband, ist ein trefflicheres Crossover-Ensemble als die Gruppe Desorden Público aus Caracas wohl gar nicht denkbar. Nachdem sich die einst butterweich wippenden Dub-Grooves des Reggae unter europäischem Einfluß zum Ska beschleunigt und durch die britischen Specials oder UB 40 Hit-Status erreicht hatten, gelang Desorden Público dessen Fusion mit traditionellen Latino-Spielarten wie Salsa, Merengue oder Cumbia.Im hübsch häßlichen Industriebrachen-Ambiente des neuen Tempodrom-Platzes läßt das Oktett die sonnigen Urklänge seiner Heimat genüßlich auf die hechelnde Unrast des weit jüngeren Ska treffen. Doch sonderbar: selbst in dem adaptierten Specials-Hit "Ghost Town" scheinen auch die härtesten Rhythmen und brachialsten Bläser-Breaks ausschließlich gesteigerter Fröhlichkeit und maximierter Tanzbarkeit zu dienen, will sich gespenstische Atmosphäre partout nicht einstellen. Das Publikum muß also nicht lange animiert werden und ist bald ebenso zahlreich versammelt wie in besten Tiergarten-Zeiten.

Noch einmal heute, 16 Uhr.

JOCHEN METZNER

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