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Kultur: Meer ist mehr

Europas größtes Schifffahrtsmuseum: Das Museo del Mare in Genua, Europas Kulturhauptstadt 2004, eröffnet mit einer opulenten Transatlantik-Ausstellung

Der Wind heult, hohe Brecher schlagen über den Bug. Mühsam kämpft sich das Schiff durch die schwere See. Es will schneller sein als andere. Die italienische „Rex“ ist schneller als die deutsche „Bremen“, die britische „Queen Mary“ schneller als die französische „Normandie“. Es geht um Ehre, Nationalstolz und eine Auszeichnung. Es geht um das Blaue Band.

Doch was für eine Enttäuschung: Das Blaue Band, mit dem die schnellste Atlantiküberquerung zwischen Europa und Amerika ausgezeichnet wird, ist ein kitschiger, rund 80 Zentimeter hoher Goldpokal, um den ein Band aus vergoldeter Emaille gelegt ist. Bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts hinein hat der Schnelligkeitswettbewerb der Passagierschiffe die Öffentlichkeit fast so begeistert wie heute etwa die Formel Eins. Dieser Pokal, der nun auf der „Transatlantik“-Ausstellung zur Eröffnung des neuen Galata-Museums des Meeres am Hafen in Genua ausgestellt wird, spiegelt in seiner Geschmacklosigkeit wider, wie schnell sich im Massentransport die Zeiten ändern. Denn wer würde heute noch auf ein Schiff steigen, um möglichst schnell von Hamburg, London oder Genua nach New York oder Buenos Aires zu kommen?

Auf zeitgemäße, ganz unnostalgische und internationale Art nähert sich Genua jetzt diesem historischen Thema. Da ist zunächst das „Galata Museo del Mare“, das neue Schifffahrtsmuseum in einem alten Werftgebäude aus dem Jahre 1590. Der Name „Galata“ geht auf die Verbindung zwischen Genua und Istanbul zurück. Der spanische Architekt Guillermo Vasquez Consuegra hat dem Komplex aus Stahl und Glas, durch den der alte Baukörper durchscheint, gleichsam ein neues Hemd gegeben. Im November stellte ein Unglück durch fehlerhafte Gerüste, bei dem ein Arbeiter ums Leben kam, die rechtzeitige Fertigstellung des Projektes in Frage. Mit drei Monaten Verspätung ist es Genua, der Kulturhauptstadt Europas 2004, dennoch gelungen, sein ambitioniertes „Museo del Mare“ einzuweihen – auch wenn noch so manche Feinarbeit nötig ist.

In 17 großen Sälen mit mehr als 6000 Quadratmetern Ausstellungsfläche wird nun die Geschichte der Seefahrt erzählt, ausgehend vom Hochmittelalter und unter anderem mit einer fantastischen Kartensammlung bestückt. Natürlich wird dann auch der Genueser Christoph Columbus besonders gewürdigt. Der aktuelle Clou des Museums ist jedoch die Ausstellung „Transatlantici“. Sie versucht, die Entwicklung der Schifffahrt zwischen Alter und Neuer Welt vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum vorläufigen Ende in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts als eine Art gesamteuropäische Geschichte darzustellen, die auf nationalistisches Triumphgeheul verzichtet. Zum Beispiel weist sie auf die Vielsprachigkeit etwa bei den Auswanderungswellen von Europa nach Amerika hin. Der melting pot, der Amerika groß machen sollte, begann bereits in den europäischen Hafenstädten – und auf den Schiffen, die unter zum Teil unvorstellbaren hygienischen und sozialen Bedingungen Menschen über den Atlantik brachten.

Einer, der sich auch für die Verbesserung der Bedingungen an Bord einsetzte und zugleich den Preis für die Überfahrt senkte (von 120 auf 80 Mark für einen Oberdeckplatz), war der Hamburger Reeder Albert Ballin. Er legte damit Ende des 19. Jahrhunderts den Grundstock für seine Amerikalinie und Luxusschiffen wie „Imperator“ oder „Bismarck“, in denen er die Idee des Grand Hotels auf Kiel setzte. Briten, Franzosen und später auch die Italiener folgten seinem Beispiel. Jedes neue Schiff sollte die Vorgänger übertrumpfen: größer, schneller, luxuriöser. Albert Ballin war eine tragische Figur. Im ersten Weltkrieg wurden seine Schiffe versenkt oder einfach von der Kriegsmarine konfisziert. Im November 1918 nahm er sich mit einer Überdosis Schlafmittel das Leben.

Die Geschichte der Transatlantikschifffahrt ist, wie jedermann sofort beim Namen „Titanic“ einfällt, eine Abfolge von Tragödien. Ein deutscher Unterseeboot vom Typ U-20 versenkte zum Beispiel im Mai 1915 vor der irischen Küste den britischen Ozeanriesen „Lusitania“, der mit rund 2000 Menschen, darunter vielen Frauen und Kindern, von New York nach Liverpool unterwegs war. Und mit 4000 Tonnen Munition im Schiffsrumpf. Dieses einst viel diskutierte Kriegsverbrechen (beider Seiten) ist heute fast vergessen. Genua erinnert auch an solche Kapitel in der vielschichtigen Geschichte der Überseefahrt.

Schiffsglocken, Modelle, Nachbauten von Kabinen, Gemälde, Dekorationsgegenstände – es ist gar nicht so leicht, eine Historie zu vergegenwärtigen, deren Hauptdarsteller längst verschrottet sind. Deshalb hat man „Transatlantici“ vor allem als Multimedia-Show konzipiert: als ein Film in vielen Episoden, zu dem international bedeutende Museen aus London, Stockholm, Barcelona oder Hamburg beigetragen haben. Es sind vor allem Bild- und Tondokumente, die den Besucher den Champagner-Geschmack der Luxuskabinen nachspüren machen. Und den der salzigen Luft, wenn die Wellen über dem Bug zusammenschlagen.

Mit dieser Ausstellung hat die zweite Phase im Programm des Jahres als europäische Kulturhauptstadt begonnen, nachdem man sich bislang mit Kunstausstellungen und der Öffnung von Stadtpalästen auf die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts, als Genua die reichste Stadt Europas war, konzentriert hatte. Die jetzige zweite Phase endetet im Oktober mit einem Festival der Wissenschaften und einem Stadtfest auf Straßen, Plätzen und am Hafen, bei dem von der Genforschung bis zur Informatik wissenschaftliche Themen populär aufbereitet werden.

Höhepunkt und Ausklang des Jahres soll schließlich eine Ausstellungsreihe über den Zusammenhang von zeitgenössischer Kunst, Architektur, Film und Theater werden, die der frühere Biennale-Leiter Germano Celant unter anderem im Palazzo Ducale inszeniert. Bella figura, würde man in Italien sagen: Selten hatte eine Stadt im Rahmen des europäischen Kulturmetropolenprogramms so viel Qualität zu bieten.

DIE AUSSTELLUNG „Transatlantici. Scenari e sogni di mare“

inszeniert Zeitreisen

zwischen dem alten

und dem neuen

Kontinent an der Seite von Abenteurern und Emigranten. Genua zeigt sie im Rahmen der Veranstaltungen als europäische Kulturhauptstadt bis 9. Januar 2005, jeweils dienstags bis sonntags.

KATALOG

Der Katalog, erschienen beim Mailänder Verlag Skira, kostet 50 Euro.

DASGALATA

MUSEO DEL MARE

liegt am alten Hafen

von Genua und vereint

historische Bausubstanz mit Zeitgenössischem. Der Architekt

ist Guillermo Vàzquez Consuegra.

INFORMATIONEN

über das Museum unter www.galatamuseo-

delmare.it und

www.genova-2004.it

Johannes Baum

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