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Kultur: Mehr Volk wagen

Wenn Beton schwebt: Zaha Hadid hat in Wolfsburg das Science-Center „Phaeno“ gebaut

Augen links, hieß es bisher auf der ICE-Strecke Hannover-Berlin. Das langgestreckte VW-Werk entlang des Mittellandkanals, dann die aufwändig gestaltete „Autostadt“, schließlich die Volkswagen-Arena: Wolfsburgs Attraktionen lagen jenseits des Kanals und der Bahntrasse, gegenüber der Stadt. Nun ist, seit einigen Monaten deutlich zu erkennen, Konkurrenz erwachsen: Rechts der Trasse, im Niemandsland zwischen Bahnhof, Parkplatz und Stadtring, erhebt sich Zaha Hadids neues Wissenschaftsmuseum „Science Center“. Und wie: ein mächtiger Bug, scharfkantig, dem vom Bahnhof Kommenden entgegengereckt: Er bietet dem Betrachter die Stirn. Ein Schiffsmotiv, passend zum benachbarten Kanal, und gleichzeitig ein Ausrufezeichen für die Zukunft: futuristisch erscheint das Gebäude, „Ufo“ heißt es im Volksmund, und „Phaeno“ soll es sein: Phaenomen und Phaenotyp.

Es ist ein selbstbewusster Entwurf, den sich die Stadt hier leistet: ein organisch geschwungenes, monolithisches Fantasiegebäude gegenüber der rationalen, monumentalen Kamm-Struktur der Volkswagenwerke, ein Lob der Wunder der Natur gegenüber der alles bestimmenden Automobilindustrie. Rund 80 Millionen Euro hat sich Wolfsburg die Sache kosten lassen, nicht ohne Hintergedanken: Wolfsburg soll im 21. Jahrhundert nicht mehr Industrie- und Werkstatt sein, wie seit der Gründung 1938, sondern Wissenschafts- und Touristenstadt. Die hohen Schornsteine haben lange genug geraucht. Und wo das VW-Werk durch Betriebsskandale und Arbeitskämpfe in die Schlagzeilen geriet, setzt man diesseits des Kanals auf Vermittlung, Spiel und Spaß – und auf die Anziehungskraft spektakulärer Architektur. Was Herford sein „MARTA“ von Frank O. Gehry, ist Wolfsburg Zaha Hadids „Phaeno“: Für diese mittelgroßen Städte sehr luxuriöse Architekturskulpturen, oft mehr Selbstzweck als Zweckbau.

Es gilt, eine Stadt neu zu erschaffen, die jahrzehntelang eine gesichts- und trostlose Schlafstadt für VW-Arbeiter war. Zaha Hadid ist nicht die Erste, die auszog, Wolfsburg durch Architektur zu heilen. Hans Scharoun und Alvar Aalto bauten hier in den Sechzigerjahren. Anfang der Neunziger kam das rege, für eine 120 000-Einwohner-Stadt recht überdimensionierte Kunstmuseum hinzu, das mit Blockbuster-Ausstellungen auch überregional Besucher anlockt. Doch erst die Wende machte die Bahnhofsgegend für Architekten interessant. Erst 1998 wurde die Bahntrasse wiederbelebt, nachdem die Autostadt jahrzehntelang nur per Autobahn zu erreichen war. Jetzt fährt der Zug in einer Stunde nach Berlin, und aus dem einstigen Hinterhof um den Bahnhof ist, wie der Projektleiter und langjährige Kulturdezernent Wolfgang Guthardt es nennt, das Schaufenster der Stadt geworden.

Und das Schaufenster soll zugleich ein Erlebnisort sein. Einem Urstromtal gleich sind auf ebener Erde Bodenwellen, sanfte Hügel, Nischen, Felsen aus Beton entstanden. Der Bau selbst, ein sanft geschwungener Riegel, gegliedert durch rombenförmige Fenster, Lüftungsklappen und Reliefs in der Fassade sowie großzügige Panoramafenster, schwebt ein Stockwerk über dem Boden, auf schweren Säulen, in denen sich Aufgänge, Versammlungsräume, Cafés und Museumsshops verbergen. Ob dieses Untergeschoss, jenseits aller Naturmetaphorik, jemals mehr sein wird als ein zugiger Durchgang zur Stadt oder ein Paradies für Skater, wird sich erweisen. Es ist vor allem eine Feier des Betons.

Denn mehr als Natur ist „Phaeno“ Skulptur: ein Monolith mit scheinbar meterdicken Wänden. Zaha Hadid, gebürtige Irakerin, in London lebend, galt lange Zeit als Spezialistin für unbaubare Bauten. Eine Feuerwache für Vitra in Weil/Rhein, ein Info-Gebäude für die dortige Landesgartenschau, zuletzt eine Schischanze, das BMW-Hauptgebäude in Leipzig sowie Museen in Cincinnati und Kopenhagen gehören zu ihrem schmalen ausgeführten Werk. Für „Phaeno“ hat man sieben Jahre geplant, viereinhalb Jahre gebaut, und ein Ergebnis erhalten, das in der Tat einzigartig ist. Aus „selbstverdichtendem Beton“ sei das Haus gegossen, darauf ist man in Wolfsburg stolz und hofft, für diese Technik wegweisend zu werden. Den Betrachter beeindruckt eher das Handwerkliche: die schmalen Schalungsbretter, noch deutlich erkennbar, die wuchtigen Pfeiler und weichen Schwünge, die spiegelnde Glätte des Bodens in der oberen Halle. Man sieht dem Bau seine Gewagtheit an, an kleinen Macken, die sich jetzt schon im Beton zeigen, und erlebt in jeder Minute das Irreale dieses Bauwerks: tonnenschwerer Beton, der schwebt.

Der Zugang zur Halle im eigentlichen Ausstellungsgeschoss führt durch eine schmale, gut versteckte Pforte in einem der Pfeiler, dann per Rolltreppe aufwärts. Ungegliedert, unhierarchisch erstreckt sich eine weite Ebene, schwingt sich sanft zu Hügeln auf, lässt Krater klaffen, leitet den Besucher ellipsenförmig um die Pfeiler, die immer wieder mit geschwungenen Durchgängen versehen sind und die Halle in ein Labyrinth verwandeln. Einzig die Decke, ein kräftiges Stabwerk aus 4700 Gitterstäben, erscheint zu dominant, zu technisch für diese organisch weiche Wohlfühlwelt.

Hier nun, auf 9000 Quadratmetern, soll das spielerische Entdecken regieren, das Staunen, das Selbst-Ausprobieren. Ein Museum zum Anfassen wünscht sich Kurator Joe Ansel, der das in anderen Ländern schon verbreitete Modell eines Science Centers nun nach Deutschland transportiert. Ein Themenpark, für den nicht zuletzt die Hannover Expo Pate gestanden haben dürfte. 250 Experimentierstationen, lose verteilt, laden ein zum Knöpfedrücken. Phänomene wie Nebel- und Wolkenbildung, Schwerkraft, Magnetismus, Licht und Schatten, Elektrizität und Klang kann man im Eigenexperiment erfahren. Man kann auf einem fliegenden Teppich sitzen oder das Echo durch eine lange Röhre testen, seinen eigenen Schatten steuern oder die Körperwärme auf Thermobildern sehen. Sanddünen bilden sich, Geysire oder Feuertornados, in einer Telefonbox wird die eigene Stimme verfremdet (wahlweise spricht man wie ein Roboter, hört die Worte rückwärts, klingt traurig oder „gregorianisch“, und auf Projektionen tanzt man mit Seifenblasen oder wird von Buchstaben berieselt, die man fangen und zu Wörtern zusammenstellen kann.

Man wirbt mit Sprüchen wie „Ohne Fragen gibt es keine Antworten“ (Cage) oder „Das Schönste, was wir entdecken können, ist das Geheimnisvolle“ (Einstein). Und natürlich ist es schön, und geheimnisvoll, wie eine riesige Luftblase in einem mit Wasser gefüllten Zylinder nach oben schwebt. Wie sich eine Wasserwolke erst pilzförmig aufbaut und dann zu einem kreisenden Ring entwickelt, bevor sie gen Decke entschwebt. Doch was am Ende überwiegt, Staunen oder Verstehen, bleibt die Frage. Zwar sind die Phänomene knapp und verständlich erklärt, doch liest man bald nicht mehr, sondern drückt und spielt. 180 000 Besucher pro Jahr peilt das „Phaeno“ an. Die Architekturfans werden darunter wohl in der Minderheit sein. Doch gerade sie kommen hier auf ihre Kosten.

Phaeno Wolfsburg, Willy-Brandt-Platz 1, ab 25.11., Di bis So 10 bis 18 Uhr, Eintritt 11 Euro. Informationen: www.phaeno.de

Christina Tilmann

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