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Kultur: Mein Chef, der Zauderer

KAMMERKONZERT

Es war ein merkwürdiger Konzertschluss. Dass ein Dirigent am Ende eines Werks in gespannter Pose verharrt, um Stille zwschen Werk und Applaus zu erzwingen, ist nicht selten. Daniel Reuss, der nüchterne neue Chefdirigent des RIAS-Kammerchors , ließ die Arme am Ende von Sofia Gubaidulinas „Jetzt immer Schnee“ durchaus entspannt am Körper hängen. Aber bitte, schauen Sie auf ihre Uhr, um nachzuvollziehen, was 20 Sekunden ruhig atmender Stille vor einem mächtigen Applaus für ein großartiges Kompliment sind. - Einerseits ein Kompliment an Gubaidulinas Werk: Die Stille, mit der sie darin spielt, ist keine Lücke, sie gleicht jenem weitmaschigen Netz, dass die unauffällig im Kammermusiksaal verteilten Solisten und ihre Klangrufe untereinander knüpften. Der Versuch, prägenden Einflüssen auf Gubaidulina nachzuspüren, war stringent und feinsinnig durchgeführt. Jedes Werk, von Rachmaninoffs Vespermesse, die ausgerechnet im stupend inszenierten Moment der Ekstase die traditionelle Tonalität verlässt, über Weberns Orchesterstücke zu Ligetis Hölderlinvertonungen erkundete man den Grenzbereich zwischen Spiritualität und Klangkontrolle: Der Abend konnte sogar den Humor von Alexander Wustins neuer Komposition „To Sofia“ vertragen, in der eine schwere Volksliedmelodie entschlackt, aber nicht dekonstruiert wird.

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