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Kultur: „Mein Leben hat sich komplett geändert“

Simon Rattle über Kids und Klassik, seinen Umzug nach Berlin und die schwere Suche nach einem Philharmoniker-Intendanten

Sir Simon, am Donnerstag startet in den Kinos „Rhythm is it“, die Dokumentation eines Projektes, bei dem 250 Jugendliche und die Berliner Philharmoniker gemeinsam „Le sacre du printemps“ erarbeiten. Wie wichtig ist Jugendarbeit für Sie?

Bei dieser Arbeit kann man das Ergebnis nicht sofort sehen. Es stürmen nicht Hunderte von Jugendlichen allabendlich den Saal – andererseits fallen mir in letzter Zeit immer wieder Familien auf, bei denen es so aussieht, als hätten die Kinder ihre Eltern in die Philharmonie mitgenommen. Bei der Jugendarbeit geht es darum, die Saat auszubringen und dann zu beobachten, wie sie langsam wächst. Darum müssen wir aufpassen, dass es nicht bei einzelnen spektakulären Aktionen bleibt, und dass das Erlebnis sich für die Teilnehmer des EducationProgramms fortsetzt. Es ist für mich absolut faszinierend, mit den Jugendlichen zusammenzutreffen, zu erleben, wie eloquent sie sind. Das würde ich mir manchmal auch für unsere Politiker wünschen.

Was können die Philharmoniker bewirken?

Wir können etwas Schönheit ins Leben der Menschen bringen. Nach dem 11. September 2001 fragte mich das Orchester: Sollen wir jetzt die seit langem geplante Tournee nach New York absagen? Da habe ich den Musikern erzählt, was ich von meinen Freunden vor Ort wusste: In den ersten Tagen nach der Katastrophe waren in den gesamten USA die Museen plötzlich überfüllt, weil die Menschen nach etwas suchten, das ihnen positive Werte vermitteln kann. Also, habe ich gesagt, fahren wir nach New York, bringen wir den Leuten unsere Konzerte als Geschenk. Wir haben eine moralische Verpflichtung als Musiker.

Seit zwei Jahren ist der Intendantensessel der Berliner Philharmoniker unbesetzt. Wer schreckt die Bewerber ab – Sie oder das Orchester?

Die Suche gestaltet sich in der Tat äußerst schwierig. Wir hatten mit mindestens drei Personen Kontakt, die ideal für den Posten gewesen wären, aber die wollten, aus diversen Gründen, ihre aktuellen Jobs unbedingt weitermachen. Wir sind nicht unbedingt so komplizierte, unsympathische Menschen, dass keiner mit uns zusammenarbeiten kann, aber ein großer Teil dessen, was normalerweise zu den angenehmen Aufgaben des Intendanten gehört, wird bei uns von den Musikern selber wahrgenommen. Wir brauchen also jemanden, der Lust hat, in dieser Demokratie der Philharmoniker mitzumachen. Zudem soll es jemand sein, der mit dem Blick von außen das Orchester begleitet, weil wir Musiker dazu tendieren, die Probleme von Tag zu Tag zu lösen und dadurch manchmal die große Linie vergessen. Diese Person ist irgendwo da draußen, ich weiß es genau!

Ab 2005 soll es in Kooperation mit den Berliner Festspielen ein Herbstfestival geben, bei dem sich neben den Philharmonikern Orchester aus aller Welt präsentieren.

Es ist wichtig, dass die Leute in Berlin ihr Gehör schulen, indem sie auch die großen Orchester der anderen Städte hören. Wenn Sie sehen, wer in Amsterdam oder Köln auftritt und dann feststellen müssen, dass diese tollen Ensembles in Berlin nie Station machen, dann kommt einem das schon absurd vor. Ich bin sicher, wir können in den kommenden Jahren etwas aufbauen, auch in Zusammenarbeit mit anderen Künsten. Ich diskutiere zum Beispiel gerade mit der Künstlerin Rebecca Horn über ein Projekt für 2006.

Sie sind gerade mit Ihrer neuen Lebensgefährtin, der Sängerin Magdalena Kozena, nach Berlin gezogen.

Mein Leben hat sich komplett geändert. So war es nur folgerichtig, aus London wegzugehen. Berlin ist eine der interessantesten Städte der Welt – und es ist der unschätzbare Vorteil der Zugezogenen, das Spannende zu sehen, während die Leute von vor Ort oft nur die Probleme wahrnehmen. Das ging mir in London übrigens ebenso.

Wie haben Sie die Stadt bei Ihrer Wohnungssuche erlebt?

Magdalena und ich haben vieles angeschaut, auch in Vierteln, die jetzt vielleicht noch etwas unwirtlich wirken, sich aber bald enorm entwickeln werden. Die Leute, die ich kenne und die im Zentrum wohnen, leben ein sehr schnelles Leben, sind immer in Aktion, bis sie dann ganz raus aus der Stadt müssen, um sich zu entspannen. Wir haben gleich die Balance gesucht und uns darum letztlich für etwas Ruhiges in Nikolassee entschieden. Die Schlüssel haben wir schon, jetzt brauchen wir eine komplett neue Einrichtung. Das allerdings scheint mir ein fast unüberwindbares Problem.

Wie gehen Sie damit um, dass die Trennung von Ihrer Frau in der britischen Presse für Schlagzeilen sorgte?

Es gab Momente, da war ich dankbar, dass ich nicht David Beckham bin! Aber auch wenn man so einen Job wie ich hat, lässt es sich eben nicht ganz vermeiden, dass die Medien über Privates berichten, was besser privat bleiben sollte. Andererseits war die yellow press uns bei vielem sehr hilfreich, was wir jenseits der puren Klassikprogramme gemacht haben. Über die Boulevardpresse erreichen wir neue Publikumsschichten, das ist auch wichtig. Na ja, da muss man dann auch mit der anderen Seite der Medaille klarkommen.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

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