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Kultur: Mein lieber Euro

Was ist bloß aus den krummen Preisen geworden? Und wo bekommt man die Münzen des Vatikan? Tagebuch einer Währung auf Bewährung

1. Januar Das neue Geld ist da. Es fühlt sich widerlich an und sieht eklig aus. Da steckt weder Aura drin noch Patina dran noch verströmt es Charisma – in einem Wort: zu neu, das Ganze. Und viel zu bunt. Aber im Grunde ist es egal, wie Geld aussieht. Im Ausland nimmt man die Peseten-, Dukaten- oder Piasterscheine auch nicht tagelang unter die kulturkritische Lupe. Hauptsache, man kriegt was dafür. Man muss an solche Sachen pragmatisch und mit philosophischer Gelassenheit rangehen.

Unsere Kinder werden sich also nur noch ganz schwach an die D-Mark erinnern, so wie unsereins an Brigitte Bardot (eigentlich schade) oder an die Kernseife. Nur die Ostdeutschen tun mir Leid. Ihr Armen, schon wieder müsst ihr euch an neues Geld gewöhnen. Die internationale Währungsgeschichte knallt euch eine Herausforderung nach der anderen vor den Latz. Wenn ihr es im Euro-Westen mit den ganzen Euro-Westlern nicht mehr aushaltet, könntet ihr im Kontaktanzeigenblatt für Völker einen neuen Partner suchen, ungefähr so:

„Sympathisches, flexibles Teilvolk, robuste Gesundheit, beim Wetter nicht wählerisch, hohes Bildungsniveau , besonders erfahren mit Währungsreformen, sucht neue Herausforderung in lieber, großzügiger und zärtlicher Weltgegend mit bescheidenen, höflichen Bewohnern. Alter und Topographie der Region egal, Herzensbildung entscheidet. Man sagt mir oft, dass ich gut aussehe. Kochen kann ich leider nicht. Wenn Dich diese Anzeige anspricht, bitte schreib mir, dann können wir vielleicht schon bald die nächste Währungsreform gemeinsam erleben!"

4. Januar

Erste Gewöhnungsprozesse, man könnte es auch „Verrohung" nennen. So hässlich sind die neuen Scheine auch wieder nicht. Aber man rechnet jeden Preis im Kopf um. Das wird ziemlich lange so bleiben. Alte Franzosen zum Beispiel denken bis heute immer noch in Alten Francs … ach nein, die Franzosen haben inzwischen ja auch den Euro. Es gibt bei uns, vereinfacht gesagt, zwei Fraktionen. Die einen trauen sich nicht mehr, Geld auszugeben. Man kauft nur das Nötigste und dreht jeden Euro dreimal um - man kann eben noch nicht einschätzen, was das Ding wert ist und wie viele von den Dingern man im Monat zur Verfügung hat. Diese Menschen sind weise und werden eines Tages von einer höheren Macht belohnt werden. Die anderen gehen mit dem Euro so um wie früher mit der Mark. Sie denken im Maßstab eins zu eins. Diese Menschen werden vom Schicksal bestraft werden.

Die Bemerkung über die Ostdeutschen vor einigen Tagen war falsch und muss zurückgenommen werden. Im Grunde ist für die Ostdeutschen ein aus der alten Zeit vertrauter Zustand zurückgekehrt, die krummen Preise. Das fand man früher in der DDR exotisch – im Westen kosteten die Dinge klar und einfach „9 Mark 95“ oder „99 Mark 90“, in der DDR dagegen gab es so avantgardistische Forderungen wie „53 Pfennig“ oder „eine Mark 17“. Das ist neuerdings überall so.

10. Januar.

Am schwierigsten: das Trinkgeldgeben. Die Schlaumeier sagen: Gib einfach im Restaurant zehn Prozent, wie früher. Aber heute mittag waren es auf der Rechnung 9 Euro 40. Da wäre es entschieden zu poplig, „zehn“ zu sagen. „Elf“ dagegen finde ich zu großzügig. „Zehnfünfzig“ aber hat etwas zutiefst Peinliches, Kleinliches, obwohl es ungefähr zehn Prozent sind, wie von den Schlaumeiern vorgeschrieben. Das habe ich am Ende auch brav gemacht. Zehn fünfzig, bitte. Dieser Blick der Kellnerin! In das Lokal werde ich aus Scham nie wieder gehen. Dem Friseur habe ich immer drei Mark gegeben. Den Friseur möchte ich auf keinen Fall wechseln. Ein Euro 50, schon wieder so eine kleinkarierte Korinthenkackerzahl. Gut, dann sollen es eben zwei Euro sein. Am einfachsten ist es noch bei den Taxifahrern. Seit Jahren habe ich vor, nur noch den wenigen höflichen und freundlichen Taxifahrern Trinkgeld zu geben, diesen Gebenedeiten aber so reichlich, dass ihnen die Tränen kommen. Das Projekt wird jetzt endlich umgesetzt.

5. Februar

Die Maßstäbe stimmen nicht mehr. Fünfzig Cent sind eine Mark, also richtiges Geld. Aber man denkt immer, es sei ganz wenig. Früher hat man sogar 50 Pfennig ernst genommen, vor allem wegen der auffälligen Silberfarbe der Münze. Und heute? Alles unter einem Euro wirkt wie Kleinkram. Der Sprung von 20 Cent zu 50 Cent ist außerdem zu groß. Kein realistisch denkender Mensch wird der Toilettenfrau 50 Cent geben wollen, aber 20 Cent sind wieder zu wenig und werden mit dem messerscharfen Zehnfünfzig-Blick beantwortet, den ich aus der Gastronomie bereits kenne. 50 Pfennig waren für die Toilettenfrau genau richtig. Auch das Fünf-Mark-Stück, der Heiermann, wie es in manchen Gegenden hieß, war ein guter Maßstab. Fünf Mark, damit fing die Zone des Wertvollen an. Diese schönen alten Namen: ein Pfund, ein Groschen, ein Sechser...Ganze Eichenwälder an sprachlichen Nuancierungs- und Anspielungsmöglichkeiten sind gefällt worden. Es dauert mindestens hundert Jahre, bis so etwas nachgewachsen ist. Und wo bleibt das Gute? Obwohl man denkt, dass niemand den Euro liebt, dass zwischen dem Euro und uns, den Euroausgebern, ein reines Zweckverhältnis besteht, erliegen weite Teile der Bevölkerung zur Zeit einer neuen Form der Münzsammel-Leidenschaft. Vor allem in Kinderkreisen will man die kompletten Euros aus allen Ländern haben. Die Goldmünzen, 100 oder 200 Euro, sind ebenfalls hoch begehrt. San Marino-, Vatikan- und Monaco-Euros sind das Größte überhaupt. Ein Satz Vatikan-Euros kostet angeblich schon 500 Mark, unter Brüdern.

28. Februar

Heute endet die Übergangsphase, ab heute werden in den Geschäften nur noch Euros angenommen. Das Kind fragt, ob es eines Tages eine einzige Währung auf der Welt geben wird, und ob dieses Geld dann „Welto“ heißt. Leider ist in einer Welt wie der unseren nicht einmal das ganz auszuschließen.

5. Juli

Ankunft auf Formentera. Der Taxifahrer schimpft auf den Euro, die Vermieterin, der Kellner, der Typ im Supermarkt, alle. Ganz Spanien schimpft auf den Euro, es steigt von dort eine dunkelrote Schimpfwolke auf. Die Preise seien stark gestiegen, jeder wisse das, die Regierung aber behaupte hartnäckig, die Preise seien stabil. Wir sagen: Genau wie bei uns! Der Typ im Supermarkt sagt: Das Volk wird eben immer und überall betrogen. Plötzlich spüren wir ganz stark unsere gemeinsame europäische Identität, wir und der Typ im Supermarkt. Mehrfach erklären wir langwierig das deutsche Wortspiel „Euro – Teuro“. Die Spanier finden es toll, wie die Deutschen aus allem gleich ein politisches Gedicht machen. Die Deutschen hätten eben trotz allem ein gewisses Niveau, das sei der Hauptunterschied zu den Engländern.

Auf der Insel ist wirklich alles unerträglich teuer geworden – oder denkt man das nur, weil man plötzlich alles ganz leicht mit den deutschen Preisen vergleichen kann? Das Gefühl, auf dem Flughafen kein Geld tauschen zu müssen, ist selbstverständlich großartig. Aber wenn man in die Schweiz fährt, was eine Freundin nach langem Zögern tatsächlich getan hat, merkt man sofort, was für ein hochnäsiges und verstocktes Volk die Schweizer sind.

Die Schweizer nehmen tatsächlich keine Euros an. Mein Gott, sie sollen ja ruhig unter sich ihre Räppli, Fränkli und Pflümli behalten - aber man kann doch mal eben schnell an der Kasse eine Währung annehmen, die rund um die Schweiz in jedem einzelnen ihrer Nachbarstaaten gilt! In Basel! Die Türkei soll ruhig in die EU kommen, aber die Schweiz sollte draußen bleiben. Basel möge verfallen wie einst Karthago.

20. August

Habe zum ersten Mal nach einem Essen im Restaurant irrtümlich gedacht, dass es billig war, weil ich vergessen hatte, im Kopf umzurechnen. Das soll nicht wieder vorkommen. Die krummen Preise sind inzwischen auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Was ist aus den leckeren Magermilch-Joghurts geworden, die im Januar 53 Cent gekostet haben? Sie kosten jetzt 49 Cent, aber der Becher ist kleiner. Eigentlich ist der Becher nur noch gerade so groß, dass ein 49-Cent-Preisschild und die Aufschrift „Magermilch-Joghurt Extra Lecker“ darauf passen. Innen findet man aber keinen Joghurt, sondern ein zusammengerolltes Stück Papier. Darauf steht: „Diese Packung wird gesponsort von e-on. Neue Energie.“ In ganz kleiner Schrift steht darunter: „Probieren Sie unsere neue Großpackung zu nur 99 Cent mit 100 Prozent mehr echtem Magermilch-Joghurt.“ Überhaupt, die Cent-Münzen. Früher hatte man nie so viel Kupfer in der Brieftasche. Aber zu dem Fünf-Cent-Stück findet man kein stabiles emotionales Verhältnis, weil es einerseits braun ist, andererseits doppelt so viel wert wie das alte Fünf-Pfennig-Stück, das immerhin grün war, die etwas edlere Farbe. Als Kind dachte ich immer, die Tatsache, dass in Deutschland die billigsten Münzen braun sind, habe etwas mit dem Nationalsozialismus zu tun.

1. November

Auf Reisen. In den USA und im gesamten karibischen Raum haben wir Europäer dank der Währungsreform stark an Achtung gewonnen. Die Menschen sagen hier, auf Puerto Rico, „Eurodollar“ zum Euro. Endlich gibt es eine Währung, deren Namen der durchschnittliche Amerikaner sich merken kann. Ähnliches habe ich vor einigen Wochen in Malaysia erlebt. Wir sind wieder wer in Malaysia, endlich, dank Euro. Aber damals war der Eurodollar noch schwächer als der echte Dollar, inzwischen ist es umgekehrt, vielleicht nur für kurze Zeit. Welch ein Hochgefühl, mit 100 „Eurodollar“ an einen Bankschalter zu gehen und dort respektvoll 100 Dollar und 17 Cent ausgezahlt zu bekommen! Der ungefähre Gleichstand zwischen Euro und Dollar wird ja voraussichtlich bleiben – mal hat der Dollar die Nase vorn, mal der Euro. Die Folge: Fast überall auf der Welt kann man die Preise sofort einschätzen. Während man zu Hause in Deutschland das Gefühl hat, die Welt sei durch den Euro undurchschaubarer geworden, ist es bei Aufenthalten im Ausland genau umgekehrt.

10. Dezember

Im Radio, beim SWR, haben sie mit dem Euro den Waschtest gemacht. Ergebnis: Wenn ein Zehn-Euro-Schein bei 40 Grad plus Schleudergang mitgewaschen wird, verfärbt er sich leicht und der Sicherheitsstreifen kriegt schlechte Laune. Gut zu wissen! Bei AOL wurde daraufhin ein Zehn-Euro-Schein in die Mikrowelle gelegt. Ergebnis: Er war hinterher angekokelt. Interessant! Wer seinen Namen in der Wissenschaft unsterblich machen möchte, könnte als nächstes Experiment einen Zehn-Euro- Schein in ein gut angeheiztes Kaminfeuer werfen. Was dann passiert, ist noch völlig unerforscht.

15. Dezember

Allmählich wird überall Euro-Bilanz gezogen. Die Deutschen mögen das neue Geld immer noch nicht. Das ZDF hat eine Umfrage gemacht, die Zustimmung zum Euro ist seit dem Sommer sogar von 46 auf 41 Prozent gefallen. Die Vermischungsquote liegt angeblich bei sechs Prozent. Das heißt, in einer durchschnittlichen Geldbörse stammen sechs Prozent der Scheine und Münzen aus anderen Euro-Ländern. Habe mich mit einem schwäbischen Unternehmer über seine persönliche Euro-Bilanz unterhalten. Er sagte: „Wenn früher der Heinz Kluncker“ – das war ein 300 Kilo schwerer, Kapitalistenblut saufender Gewerkschaftsführer aus Mittelerde – „für seine ÖTV acht Prozent Lohnerhöhung ’rausgeholt hat, dann hat im nächsten Monat Bundeskanzler Brandt mal wieder unauffällig die Mark abgewertet, und die Sache war im Lot. Deutschland wurde in Wirklichkeit mithilfe der Währungspolitik international konkurrenzfähig gehalten, verstehen Sie?“ Ich antwortete: „Nicht ganz.“

Der Unternehmer erzählte, wie toll an den D-Mark-Abwertungstagen früher immer die Abwertungspartys im kombinierten Luftschutz-, Wein- und Partykeller des Bundesverbandes der Deutschen Industrie gewesen sind. Offenbar war es so, dass man wegen der Abwertungen seine BDI-Sachen draußen in der Welt immer billiger verkaufen konnte, obwohl der nimmersatte Arbeitnehmer daheim immer mehr verdiente.

Zu den DM-Abwertungspartys kam regelmäßig die gesamte Elite des Landes – Bully Buhlan, Freddy, Peter Frankenfeld, die wieselfllinken Wirtschaftskapitäne Jahn und Neckermann, die stets lustige Beate Uhse, der Schriftsteller und „Tagesschau“-Sprecher Karl-Heinz Köpke, die Sportasse Martin Lauer und Karl Mildenberger. Um Mitternacht tauchte meistens Heinz Kluncker auf. Dann stießen sie alle mit Sieben-Minuten-Pils auf die D-Mark und den Siegeszug der deutschen Exportwirtschaft und die nächste Lohnerhöhung an. Wenn sie alle einen im Tee hatten, bot Heinz Kluncker dem Innenminister meistens seine berühmte Tarifwette an. „So viele Pils, wie ich trinken kann, bis du drei Mal ohne Versprecher ,Europäische Wirtschaftsgemeinschaft’ gesagt hast, so viele Prozent Tariferhöhung im Öffentlichen Dienst gebt ihr uns das nächste Mal!“ Erst, wenn es solche Geschichten über den Euro gibt, ist der Euro in den Herzen angekommen, und man rechnet nicht mehr jeden Preis um.

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