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Kultur: Mein Star gehört mir

Stellen Sie sich vor, Sie feiern Geburtstag, im kleinen Kreis zu Hause, und einer der Gäste erscheint in Begleitung von, sagen wir mal, Julia Roberts. Der große Star, bescheiden in Jeans und Blümchenbluse, in Ihrer kleinen Wohnung, in der es nach angebranntem Essen riecht und die Klotür nicht richtig schließt.

Stellen Sie sich vor, Sie feiern Geburtstag, im kleinen Kreis zu Hause, und einer der Gäste erscheint in Begleitung von, sagen wir mal, Julia Roberts. Der große Star, bescheiden in Jeans und Blümchenbluse, in Ihrer kleinen Wohnung, in der es nach angebranntem Essen riecht und die Klotür nicht richtig schließt. Nicht auszudenken, was passiert, wenn dann einer Ihrer Freunde, ein Unternehmensberater und notorischer Kino-Hasser, dem Star plötzlich überlegen Tips zur Karriereplanung gibt. Oder, noch schlimmer, wenn Ihre liebe, aber etwas durchgeknallte Schwester sich plötzlich als Roberts-Fan entpuppt und Sie beide mit ihrer aufdringlichen Anhänglichkeit in Grund und Boden blamiert.

Stellen Sie sich nun vor - etwas schwieriger schon, zugegeben, Sie selbst seien Julia Roberts. Medienprinzessin, Covergirl, berühmtester Filmstar, schönste Frau der Welt. Überall umgeben von Fotografen, Fans, PR-Fritzen und Agenten. Kein Schritt, der nicht genauestens beobachtet und anschließend gründlich durchgehechelt wird in der Regenbogenpresse. Keine Minute, die Sie einmal Zeit hätten, einfach nur das zu tun, was Sie wollen. Etwa: In einer ramschigen Buchhandlung ungestört in alten Reiseführern wühlen. Oder einmal so richtig fett Hamburger essen, ohne Rücksicht auf Diät und schlanke Linie. Einmal alte Jeans tragen und den ganzen Tag die Haare ungekämmt lassen. Oder nachts über einen Gartenzaun steigen, um Blumen zu pflücken.

Von diesen beiden Phantasien erzählt einer der unbeschwertesten, heitersten, liebenswertesten Filme der letzten Zeit. Von der unmöglichen Liebe zwischen Anna Scott, dem berühmtesten Filmstar der Welt, und William Thacker, dem erfolglosesten Buchhändler Londons. Von den unzähligen Mißverständnissen, Hoffnungen, Tiefschlägen und Irrtümern und, natürlich, vom Happy-End mit Hochzeit, Flitterwochen und Wickelkommode. Wobei zwischen dem englischen Szene-Stadtteil Notting Hill, der stark an Popularität gewonnen hat, seit "Notting Hill" in Großbritannien und Amerika in die Kinos kam, und dem fernen Beverly Hills mehr als sieben Hügel liegen. Und mindestens sieben Täler, die Anna und William durchschreiten müssen, um am Ende glücklich zueinander zu finden.

Erstes Tal: ein Zusammenstoß auf der Straße. Ein verschüttetes Glas Orangensaft, ein großer Fleck auf der neugekauften Bluse, der Zorn eines verwöhnten Stars und die Verlegenheit eines gewöhnlichen Sterblichen. Zweites Tal: das schmutzige Geschirr auf dem Tisch bei ihm zu Hause und sein schmieriger Mitbewohner, der sofort mit obszönen Witzen aufwartet. Drittes Tal: ihre nicht minder schmierigen Presse-Agenten, die jedes Tête-à-tête mit Zwischenfragen stören. Viertens: ihr eifersüchtiger, arroganter Freund. Fünftens: seine nervige Familie. Sechstens: die allgegenwärtigen Paparazzi. Und siebentens das eigene Mißtrauen und die ewige Angst, verraten zu werden im Spiel, das Liebe heißt.

Wobei die Regeln des Spiels, das Roger Michell leichthändig inszeniert, nichts Neues sind. Natürlich muß die erste, schüchterne Begegnung schieflaufen, natürlich sehnt sich auch ein Star nach ganz gewöhnlicher Liebe, natürlich sind die wohlmeinenden Freunde eher hinderlich, natürlich muß fast alles schiefgehen, bis die beiden in einer wilden Verfolgungsjagd quer durch London doch noch zueinanderfinden, auf einer blitzlichtumwitterten Pressekonferenz. Und natürlich hat der Zuschauer bei jedem Tiefschlag die beruhigende Gewißheit, daß es danach wieder aufwärts geht im schönen, bunten Kinoleben.

"Notting Hill", geschrieben und gedreht vom britischen Erfolgsteam von "Vier Hochzeiten und ein Todesfall", ist der Prototyp einer sophisticated comedy. Ein Film, dessen Handlung bis in die letzte Verwicklung vorhersehbar ist und der trotzdem in jeder Minute unterhält durch seinen Dialogwitz, seine Situationskomik, die hervorragend besetzten Nebenrollen (Rhys Ifans als walisischer Mitbewohner Spike oder Emma Chambers als Schwester Emmy) und, natürlich, durch das zentrale Traumpaar Julia Roberts / Hugh Grant. Wobei der britische Beau mit sympathischem Allerweltsgesicht für das englische Understatement steht, den trockenen Witz, während "Pretty Woman" Julia, wenn auch reifer und vernünftiger inzwischen, zum ersten Mal wieder das kleine Mädchen mit großem Herzen sein darf, verletzlich, zart und hinreißend schön.

Hier die zierliche, rehäugige Prinzessin auf der Flucht, dort der schüchterne, unbeholfene, gutaussehende Kerl, einer, der langsam spricht und fast zu spät begreift, und am Schluß, bei einer großen Pressekonferenz, der Einbruch des Lebens und der Liebe in die übrige, exakt geregelte Medienwelt: ein Déjà-vu beinahe. 1953 bezauberten Audrey Hepburn und Gregory Peck in William Wylers "Roman Holiday" die ganze Welt. "Notting Hill" ist eine Wiedergeburt, ein Remake im Geiste, und der gültige Beweis, daß im Kino die Zeit der Märchen nie zu Ende geht. Ein Film, in den man Großmutter und Patenkind, Eltern und kleine Geschwister, Mitbewohner, liebe Freunde und anspruchsvolle Liebhaber getrost mitnehmen kann. Er wird ihnen allen gefallen.

Auf 28 Berliner Leinwänden; Originalfassung im Cinemaxx Potsdamer Platz und in der

Kurbel, untertitelte Version im Odeon

CHRISTINA TILMANN

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