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Kultur: Mein Strand gehört mir

Kino im Kanzleramt: Kosslick, Karmakar und Ballhaus diskutieren – und Schröder hört zu

Der Kanzler kann nicht lange bleiben. Sie wissen schon, die Sache mit dem Bundespräsidenten. Dabei hat er sichtlich Lust und Laune, das politische Geschäft ruhen zu lassen und sich zwischendurch mal der Kultur zu widmen. Enstpannt hockt Gerhard Schröder im Kreisrund der Skylobby und lässt sich von seinen zunehmend nervösen Mitarbeitern nicht so schnell zum Gehen überreden. Schließlich diskutieren hier der Filmemacher Romuald Karmakar, Kameramann Michael Ballhaus und Berlinale-Chef Dieter Kosslick. Und schließlich geht es bei der zweiten „Kultur im Kanzleramt“-Runde am Mittwoch um „Kino in Europa und Amerika“. Für den Film hat der Kanzler was übrig. In Amerika war er gerade. Und Europa – liegt ihm am Herzen.

Einen, der wie Karmakar in einer einzigen Einstellung die gesamte politische Verfasstheit der Gesellschaft zu zeigen verstehe, könne er gut gebrauchen. Vor allem im Wahlkampf, hatte Schröder grinsend vom Notizzettel abgelesen und sich über den Esprit seines Begrüßungsworteschreibers gefreut. Vorher hatte er die Gäste in seinen Privaträumen im Kanzleramt mit der Frage empfangen, ob nicht jemand Interesse am Bundespräsidenten-Job habe. Ein Posten, für den sich der Fassbinder- und Scorsese-Kameramann Michael Ballhaus bestens eignet: Berliner Kosmopolit, Hollywood-erprobt, höchste Herzensbildung, berühmt für Freundlichkeit, Klugheit und diplomatisches Geschick. Wenn so einer nicht Horst Köhler schlägt.

Seine Diplomatie stellt Ballhaus gleich unter Beweis, als die moderierende Kulturstaatsministerin Christina Weiss ihn fälschlicherweise als Neffen von Max Ophüls vorstellt. Nur eine entfernte Tante sei mit dem Meister liiert gewesen, korrigiert Ballhaus sachte. Aber Ophüls’ Neffe – wäre er gern.

Eine Diskussion findet an diesem Abend übrigens nicht statt. Weiss fragt ab, einen nach dem anderen. Sobald sie Konfliktstoff wittert, etwa rund um den Berlinale-Streit über Karmakars Film „Die Nacht singt ihre Lieder“, fegt sie ihn schleunigst unter den Teppich. So spielt jeder seine sattsam bekannte Rolle: Romuald Karmakar den störrischen Künstler, dessen Wahrheiten keiner hören mag und der trotzdem sagt: „Ich mache keine Filme, um Leute zu ärgern.“ Und der die „Euphorie-Blase“ angesichts der jüngsten deutschen Kinoerfolge beklagt. Ballhaus beklagt seinerseits die jammernden Deutschen und gibt den gelassenen Veteranen, der mit Fassbinder in zehn Tagen 150000 Marks-Filme drehte und sich trotzdem über die 100-Millionen-Dollarbudgets seiner US-Filme freut. Wegen der Opulenz. Aber: „Der Look ist nicht alles.“ Da ist er wieder, der Diplomat.

Währenddessen flezt sich Kosslick, als einziger nicht im schwarzen, sondern im „schlammfarbenen“ Anzug (O-Ton Kosslick) im Sessel, sorgt für die Erhöhung des Unterhaltungswerts und gibt Einblicke in „mein Leben als Sozialdemokrat“. Ein Festival machen sei wie Politik: eine Frage von Kompromissen, Taktik und Nettsein zu der Presse.

Später spielt er den – Kulturstaatsminister. Jedenfalls wirbt er so pointenreich für den Wirtschaftsfaktor Kultur, geißelt die über Steuerabschreibungen in US–Produktionen abwandernden Euromilliarden und verteidigt die Berlinale-Beiträge von Karmakar und Fatih Akin als „zwei starke Stücke Deutschland“, dass man meinen könnte, er bewerbe sich hier, beim Hausherrn im Kanzleramt, um den Posten von Weiss.

Schließlich gelingt doch noch, zur Erheiterung des Publikums (darunter Peter Schneider, Klaus Staeck, Martina Gedeck, Ulrich Mühe und dffb-Direktor Reinhard Hauff – warum keine Filmemacher?), eine bisschen Debatte um den europäischen Blick und die amerikanische Filmindustrie. Einen rührend altmodischen Streit, bedenkt Karmakar den Kinohit „Was das Herz begehrt“ doch mit Sozialkritik: Der Strand auf Long Island, an dem Diane Keaton und Jack Nicholson spazieren gehen, darf nämlich von gewöhnlichen Sterblichen nicht betreten werden. Nur von Strandvillen-Besitzern. „Ist ja kein Dokumentarfilm im klassischen Sinn“, kontert Kosslick. Und fügt hinzu, dass „Impotenz ab 65“ doch auch ein knallhartes Thema sei.

Ballhaus, der bei „Was das Herz begehrt“ die Kamera geführt hat, schweigt fein still. Den Bundespräsidenten-Job lehnt er beim anschließenden Empfang dankend ab. Er ziehe Berlin derzeit Los Angeles vor, weil er mehr leben und weniger arbeiten wolle. Europas Strände sind für alle da. Wenn das kein Trost ist.

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