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Kultur: Mein volles Haus

Offensive der Sammler: Drei Ausstellungen füllen in Berlin die weihnachtliche Pause der Galerien

1000 Flaschen Wodka, das klingt nach einer wilden Party. Tatsächlich liegt auf dem Boden der Kunstsaele glitzerndes Glas. Alicja Kwade hat die Flaschen pulverisieren lassen. „749,766 kg bis zum Anfang“ heißt die Arbeit der Berliner Künstlerin, die das Volumen eines LKWs auf einen Haufen Staub reduziert. Vanitas pur. Und für Patrick Majerus erste Gelegenheit, seine Erwerbung vom Art Forum 2010 komplett in Augenschein zu nehmen. Majerus’ Haus in Luxemburg wird noch umgebaut, danach ist immerhin Platz für einige Arbeiten, die er in den vergangenen Jahren gekauft hat. Überwiegend in Berlin. Womit der 35-Jährige einmal mehr belegt, dass man global begehrt, was hier entsteht.

Ein detaillierter Blick auf jene Produktion ist ab heute in den Kunstsaelen möglich. „Zu Gast“ heißt eine Serie in dem privaten Ausstellunsgraum, der vom Engagement zweier Sammler lebt. Seit März haben Geraldine Michalke und Stephan Oehmen an der Bülowstraße in Schöneberg kleine, sehenswerte Ausstellungen aus eigenen Beständen realisiert. Nun öffnen sie für andere, vielversprechende Kollektionen, um die Sicht auf ein internationales Sammlertum zu weiten. Selbst wenn der Auftakt mit Patrick Majerus fast zum Heimspiel gerät: Neben Kwade leben auch Alexej Meschtschanow, Sven Johne und Lasse Schmidt Hansen in der Stadt. Bloß Majerus nicht. Der Offizier pendelt zwischen Afghanistan, dem Libanon und Luxemburg. Nach Berlin reist er als Sammler, um anschließend etwa Meschtschanos „Buffet“ im Gepäck zu haben. Eine Skulptur von imposanten Maßen, die dank montierter Stahlrohre wie ein pseudo-medizinischer Apparat wird. Dass dieses Möbel aus einer anderen Ära niemals in sein Haus passen wird, schert Majerus nicht. Seine Faszination entzündet sich an der konzeptuellen Strenge jener Künstler, auf die er sich einlässt. Ein halbes Dutzend, von dem er „in die Tiefe“ sammelt. Dazu gehört auch Tim Berresheim, dessen riesige, verfremdete Spielkarte „Louisiana (Blonde)“ an der Wand der Kunstsaele hängt.

Während Majerus sein Portfolio öffnet und mit seiner Ausstellung perfekt in die winterliche Galeriepause passt, hat sich Thomas Olbricht eine Zeit der Konzentration verordnet. Nach der ungeordneten Eröffnungsausstellung des „me Collectors Room“ zeigt Olbricht nun allein Ouyang Chun und ermöglicht dem 1974 geborenen Maler aus Peking die erste Einzelausstellung in Deutschland. „Painting The King“ schildert in pastosem Duktus und dann wieder expressivem Stil Episoden aus dem Leben eines fiktiven Regenten. Ein ganzer Zyklus ist entstanden, von den Leinwänden leuchtet das Gold und blitzt vorgebliche Naivität, bis die Bilder ihre Hintergründigkeit entfalten. Erschließen lassen sich Details, etwa wenn „The Kings’s People“ (2008) aus einem Meer von Farbe erstehen und als winzige Gestalten eines Massenspektakels erkennbar werden. Genau wie der Frevel auf einem meterlangen Fries, wo dem kleinen König Kostbarkeiten angeboten werden. Dass eine der Frauen im Rücken schon den Dolch hält, sieht nur der Betrachter. Und während der Herrscher auf dem Gemälde „The Coronation of the Ursuper“ (2008) wenigstens auf Augenhöhe mit seinem Hofstaat rangiert, fehlt ihm ein Bein, was die Regentschaft fragil und gefährdet macht. So fügt sich Chuns Malerei perfekt in die Sammlung Olbricht mit ihrer Wunderkammer im oberen Stockwerk, wo es ebenfalls um Tod und Leben geht.

Weit mehr Geduld verlangt die zweite Ausstellung der Kienzle Art Foundation. Mit Emilio Prini hat der frühere Galerist Jochen Kienzle einen Künstler gewählt, der zwar zur ersten Generation der Arte Povera gehört, dessen öffentliche Wahrnehmung dennoch begrenzt ist. Einen spannenden Dialog mit den Aktionsfotografien und Installationen des 1943 geborenen Italieners nehmen Werke des 34-jährigen Elmar Zimmermann auf. Ein weiterer Künstler, der nicht zu den Stars des Marktes zählt, dafür aber mit Witz und Abgründigkeit Ideen der Arte Povera weiterentwickelt – zu eleganten Rauminterventionen mit Industriefilz oder „Malerlappen“ von Kollegen, die Zimmermann zu einem abstrakten, wandfüllenden Bild konzipiert.

„Mir ging es nie um Name-Dropping, immer nur um Inhalte“, erklärt Kienzle. Auch als Sammler bleibt er dem treu und setzt in seiner jungen Stiftung auf unbequeme oder vergessene Künstler, auf schräge und sperrige Positionen. „Was mich interessiert, sind die Ränder und ein gewisses Querdenken“, sagt der 1959 geborene Spross der baden-württembergischen Unternehmerfamilie.

Ebenfalls mit Prini wurde 1997 die Galerie Kienzle und Gmeiner in Berlin gegründet. Nach einem Gastspiel in der Zimmerstraße ging es nach Charlottenburg. „Gegen den Strom und gegen das Spektakuläre“, sieht Kienzle seine Entscheidung von damals, und dass sie als „Archäologen unter den Galeristen“ galten, vergessene Künstler wie Anna Oppermann, Jack Goldstein oder die italienische Konzeptkünstlerin Ketty La Rocca „ausgegraben“ haben. Dazwischen präsentierte die Galerie – aus der sich Annette Gmeiner 2003 zurückzog – immer wieder auch bekannte Positionen wie Imi Knoebel oder Franz Erhard Walther.

Letzterer bildet neben Jonathan Lasker den Kern der Sammlung, deren Schwerpunkt Kienzle, bei aller Heterogenität, in der Malerei sieht. Der Kunstmarktbetrieb habe ihn gesundheitlich regelrecht angegriffen: „Als Galerist musste ich mich dauernd rechtfertigen. Mit der Stiftung kann ich meine Thesen behaupten und diese aufgrund der Sammlung beweisen.

Kunstsaele, Bülowstraße 90; bis 29.1., Mi–Sa 11–18 Uhr. Eröffnung: 18.12., ab 20 Uhr / me Collectors Room, Auguststraße 68; bis 9.1., Di–So 12– 18 Uhr / Kienzle Art Foundation, Bleibtreustraße 54; wieder 18.1.–25.3. Mo–Fr 13–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr.

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