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Kultur: „Meine Fotos lügen etwas weniger“

Prominente in der Nahdistanz: Eine Ausstellung zeigt Martin Schoellers spektakuläre Porträts

Herr Schoeller, was war das für ein Gefühl, als sie im Jahr 2000 Bill Clinton, damals noch der mächtigste Mann der Welt, mit Ihrer Kamera bis auf wenige Zentimeter nahe kommen konnten?

Es war einer der aufregendsten Fotoshoots meines Lebens. Als er noch Präsident war, ließ Clinton sich vielleicht einmal im Jahr auf eine Fotosession ein. Mein Türöffner ins Weiße Haus war der „New Yorker“ als Auftraggeber. Wir hatten zwanzig Minuten Zeit. Neben den Closeups hatte ich mir noch einen Gag für ein zweites Motiv überlegt: Ich hatte GolfSchläger zwischen meinen Stativen versteckt und habe den Präsidenten dann auf dem Teppichboden Golf spielen lassen. Der Secret Service ist fast aus den Socken gekippt, als ich die Schläger hervorzog. Anfangs hat Clinton so posiert, wie jeder Politiker posiert, der weiß, wie er sich am vorteilhaftesten präsentiert: in staatsmännischem Dreiviertelporträt, mit einem dezenten Grinsen im Gesicht. Um ihn aus der Routine zu reißen, habe ich viel mit ihm geredet und ständig Anweisungen gegeben: Nase bisschen nach rechts, Kinn etwas hoch. Nach einiger Zeit hörte er dann auf zu grinsen. Um diese Zwischenmomente geht es mir: Momente, in denen der Porträtierte scheinbar vergisst, dass er gerade fotografiert wird.

Sie warten auf den Augenblick der Wahrheit, in dem die Inszenierung zerbröselt?

Natürlich kann ein Foto nie wahr sein, es kann allenfalls eine kleine Seite eines Menschen zeigen. Aber ich versuche in der klassischen Tradition der Porträtfotografie zu arbeiten: Mir liegt daran, die Inszenierung zu durchstoßen und wenigstens ein kleines Stück der Persönlichkeit zu zeigen.

Auf dem Bild legt Clinton den Kopf in den Nacken und kneift seine Augen zusammen. Er scheint Ihnen trotzen zu wollen.

Mir ist es gelungen, ein bisschen die Arroganz der Macht in ihm einzufangen. Vielleicht habe ich zu viele Anweisungen gegeben, und er hat in dem Moment gedacht: Was will dieser Freak von mir? Es war eine sehr komische Situation. Ich habe ständig gesagt: Mr. President, schauen Sie nach rechts, nach links und so weiter – und im Hinterkopf dachte ich: Oh Gott, du gibst dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Kommandos.

Als Richard Avedon, Ihr legendärer Vorgänger als Vertragsfotograf des „New Yorker“, Henry Kissinger fotografierte, sagte er zu ihm: „Seien Sie nett zu mir“. Macht das die Qualität eines Porträtisten aus: Diese Bitte auszuschlagen und stattdessen die ungeschminkte Wirklichkeit zu zeigen?

Das ist jedenfalls mein Anliegen. Heutzutage ist der Großteil der Porträtfotografie von Mode beeinflusst. Die meisten meiner Kollegen machen nette Bilder von Prominenten, auf denen sie zehn Jahre jünger und zehn Kilo leichter aussehen. Die Fotos sind oft so überretuschiert, dass man die Dargestellten gar nicht mehr erkennt, sie werden austauschbar. Hübsche Klamotten, tolle Farben, alle sehen super aus: Es ist eigentlich immer wieder dasselbe Bild. Jedes Foto lügt. Aber meine Fotos sollen ein bisschen weniger lügen.

Sie arbeiten mit gnadenlosem Neonlicht, retuschieren nicht und zeigen jede Falte im Gesicht des Porträtierten. Müssen die Menschen, die Sie fotografieren, Masochisten sein?

Mein Neonlicht finde ich gar nicht so gnadenlos, es hat die Farbtemperatur von Tageslicht. Natürlich sieht man jede Hautunreinheit, wenn man nahe an eine Person herangeht, aber die Falten werden bei mir auch nicht hervorgehoben. Das Licht ist großflächig und füllt anders als Blitzlicht die Schatten. Cindy Sherman zum Beispiel ist auf meinem Porträt erkennbar eine Frau von 45 Jahren, aber doch auch höchst attraktiv. Mir geht es darum, eine Art Plattform zu schaffen, auf der alle Menschen gleich fotografiert werden, egal ob es ein Obdachloser ist, den ich in New York auf der Straße anspreche, oder ein Hollywood-Star. Mit diesem fast katalogartigen Ansatz stehe ich wohl in einer sehr deutschen Tradition, von August Sander bis zur Wasserturmfotografie der Bechers.

Warum lassen sich Stars wie Angelina Jolie, Brad Pitt oder Prince, die sorgsam ihr Image kontrollieren, überhaupt auf dieses Arrangement ein?

Ich mache ja nicht nur Closeups. Bei jedem Termin bereite ich drei oder vier Aufbauten vor. Angelina Jolie habe ich zum Beispiel für „Entertainment Weekly“ mit künstlichem Blut, das aus ihrem Mund lief, fotografiert, mit einem riesigen Messer einen Apfel schälend und im Unterhemd im Regen stehend. Meine Vielseitigkeit bewahrt mich davor, dass die Prominenten oder deren Agenten gleich wissen: Schoeller, das ist der Typ mit dem unbestechlichen Blick.

Wie viele Bilder entstehen bei einem Termin?

Ich mache meistens drei Aufbauten, selten auch nur zwei, und pro Aufbau fotografiere ich zehn, fünfzehn Rollen Film mit jeweils zehn Belichtungen. Eine ganze Horde von Assistenten unterstützt mich, wir bauen oft schon vier, fünf Stunden vorher auf. Sobald der Prominente vor der Kamera sitzt, geht es zack-zack, und ich ziehe sehr schnell die Rollen durch. Trotzdem passiert es, dass nach einem Shooting unter Hunderten Bildern keines dabei ist, das mir gelungen erscheint. Seit 1996 habe ich etwa 220 Headshots von Menschen in Nahsicht gemacht, für das Buch bin ich alle Shootings durchgegangen und habe nur 75 gefunden, die mir gut genug gefallen haben.

Wen haben Sie aussortiert?

Leute, bei denen ich es nicht geschafft hatte, einen Moment der Ehrlichkeit herzustellen: Chris Rock, George Clooney, Catherine Zeta-Jones. Das sind nicht unbedingt die besseren Poser, aber mir ist es einfach nicht geglückt, sie für einen Augenblick mal nicht wie Schauspieler aussehen zu lassen.

Es gibt aber auch Prominente, die nicht mit Ihnen arbeiten wollen.

Viele Celebrities haben ihre eigenen Fotografen, die ihnen teilweise sogar das Recht einräumen, die Fotos zu sehen, bevor sie an das Magazin geschickt werden. So etwas würde ich nie tun. Das ist das Ende der Portätfotografie: Der Prominente bestimmt, wie er gesehen werden will, reine Selbstdarstellung. Für „Entertainment Weekly“ sollte ich Mariah Carrey fotografieren. Carrey wollte einen Beauty-Fotografen, das Magazin sagte: Schoeller oder keine Story. Carrey lehnte ab, und so ist in dem Blatt mit einer Auflage von acht Millionen keine Zeile über ihr neues Album erschienen.

In manchem Gesicht, das Sie zeigen, haben sich die Spuren eines langen exzessiven Lebens abgelagert. Jack Nicholson präsentiert seine Falten fast wie Trophäen. Wie war die Arbeit mit ihm?

Super. Nicholson, den ich sehr verehre, hatte mich sogar in sein Haus am Mulholland Drive in Hollywood eingeladen. Als er auftauchte, hatte er eine Clownsnase auf. Er fand die Idee unglaublich witzig, mit solch einer Nase fotografiert zu werden. Am Ende habe ich ihn überredet, das Ding abzunehmen. Seine Nicht-Eitelkeit hat mich sehr beeindruckt: Keine Make-Up-Assistentin durfte ihn anrühren, er hat sich nie das Gesicht umoperieren lassen. Und er hat sich sogar einen meiner Headshots als Promofoto ausgesucht. Nicholson hat kein Problem damit, alt auszusehen, damit ist er eine Riesenausnahme unter den amerikanischen Prominenten.

Was ist Ihr nächster Auftrag?

In Massachusetts will ich den Tiermaler Walton Ford auf einem Elefanten in einem See baden lassen, mit einem Vogel auf der Schulter. Mal sehen, was der Elefant davon hält. Anschließend fliege ich nach Rom und fotografiere den Designer Valentino. Er hat fünf, sechs kleine Hunde, ein paar Modelle kommen dazu. Das wird eine etwas barockere Inszenierung.

Das Gespräch führte Christian Schröder. Martin Schoellers Buch „Close up“ ist im teNeues Verlag erschienen (112 S., 45 €). Seine Ausstellung ist bis zum 13. August in der Galerie Camera Work (Kantstr. 149) zu sehen, Di–Sa 11–18 Uhr.

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