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Bolat Atabajew, Jahrgang 1952.

© Goethe-Institut

Meinungsfreiheit: Kasachische Theaterlegende Bolat Atabajew verhaftet

Eigentlich sollte der Regisseur und Autor im August in Weimar die Goethe-Medaille entgegennehmen. Volker Schlöndorff schreibt einen offenen Protestbrief an den Richter.

Der kasachische Theatermacher und Regimekritiker Bolat Atabajew sitzt seit 15. Juni hinter Gittern. Der 60-Jährige, der am 28. August in Weimar die Goethe-Medaille wegen seines mutigen Eintretens für demokratische Strukturen und seiner Verdienste um den deutsch-kasachischen Kulturaustausch geehrt werden sollte, wurde schon im Frühjahr wegen angeblicher Anstiftung zu sozialer Unruhe angeklagt. Er war auf Kaution auf freiem Fuß und ist mit anderen Regimekritikern nun inhaftiert worden. Medienberichten zufolge drohen ihm zwölf Jahre Gefängnis.

In einem offenen Brief an den zuständigen Richter Begaleiew forderte Regisseur Volker Schlöndorff ("Die Blechtrommel") nun, Bolat Atabajew unverzüglich freizulassen. Er kenne den Autor als "großartigen Künstler", der sich um die Bewahrung von Volksgut, von Theater- und Musiktraditionen verdient gemacht habe und von seinem ganzen Temperament her "für politische Agitation nicht disponiert oder geeignet“ sei. Auch sei er bestürzt, da die Gesundheit seines Kollegen angeschlagen sei. Bei Schlöndorffs Kasachstan-Film "Ulzhan" (2007) fungierte Atabajew als Ko-Autor.

Atabajew ist in Kasachstan eine Theaterlegende, als Gründer und langjähriger Leiter des Deutschen Theaters in Almaty (der früheren kasachischen Hauptstadt Alma Ata) und als Autor politischer Parabeln wie dem Theaterstück "Die Lawine", in dem er die Einschränkung der Meinungsfreiheit in seinem Land thematisierte. Auch andere Tabu-Themen griff der in Taldykorgan - einer Region mit vielen aus der Sowjetunion zwangsumgesiedelten Deutschen - geborene Autor in seinen Arbeiten auf. Etwa den Genozid an den Wolgadeutschen in Kasachstan im Zweiten Weltkrieg ("Muslima", 1988) oder die Diskriminierung Russland-Deutscher in der Bundesrepublik in seinem deutschsprachigen Stück "Lady Milford aus Almaty" aus dem Jahr 2000. Die Belange der vor allem in Sowjetzeiten drangsalierten Minderheit lagen ihm schon immer besonders am Herzen.

Der Regisseur, der mehrfach für Theateraufenthalte nach Deutschland reiste und mit Studenten inzwischen eine weitere Bühne gegründet hat, das Theater "Aksarai", hat auch als besonnener Regimekritiker einen Namen. Im Winter hatte er sich wie andere Oppositionelle für die streikenden Ölarbeiter in der Stadt Schanaosen eingesetzt, bei den Unruhen dort gab es 13 Tote und Hunderte Verletzte. Verhaftet wurde er nun laut Agenturberichten von "Novosti Kazachstan" gemeinsam mit dem Jugendaktivisten Zhanbolat Mamay, der bisher ebenfalls auf Kaution frei war. Beide erklären ihre Unschuld. Indem sie sich an die Ölarbeiter wandten, hätten sie lediglich ihr Recht auf Meinungsfreiheit zum Ausdruck gebracht. Erst vor gut zwei Wochen sind 34 Oppositionelle im Zusammenhang mit dem Streik verurteilt wurden, 13 von ihnen zu teils längeren Gefängnisstrafen. In einem Statement der Oppositionspartei Alga, deren Chef ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt, heißt es dazu: "Offensichtlich bricht gerade eine neue Phase der politischen Inquisition an. Die Regierung hat beschlossen, es nicht mehr bei kosmetischen Drohungen und Säuberungen zu belassen. Der neue Kurs lautet nun, alle denkbaren Störfaktoren auszurotten."

In Kasachstan regiert seit 1991 Präsident Nursultan Nasarbajew; unter seiner autoritären Herrschaft wird die Meinungsfreiheit immer weiter eingeschränkt. "Wer in Europa weiß schon, wo Kasachstan liegt? Viele verwechseln uns mit der Mongolei", sagte Bolat Atabajew schon 2006, in einem Interview mit "Zeit online": "Es gibt ein Sprichwort bei uns: Leute, die mit einem Stein nach dir werfen, sollst du zum Essen einladen."

Das Goethe-Institut wollte den mutigen Mann gemeinsam mit der litauischen Literatur- und Theaterwissenschaftlerin Irena Veisaitė und dem bosnischen Schriftsteller Dževad Karahasan auszeichnen. Alle drei seien "herausragende Persönlichkeiten aus Gesellschaften, die durch die Umwandlung und Auflösung ihrer nationalstaatlichen Gefüge zutiefst geprägt wurden." Sie seien mit Krieg, Repression, Verfolgung und Vertreibung in Berührung gekommen, treten "für eine offene Aufarbeitung nationaler Traumata ein und thematisieren auch gegenwärtige gesellschaftliche Schwierigkeiten", heißt es in der Begründung. Für seinen Glauben an die Macht des Wortes zahlt Atabajew nun einen hohen Preis.

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