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Abgeführt. Die Wäscherin Maud (Carey Mulligan) im Griff der Staatsmacht.

©  Concorde Film

Meryl Streep und Carey Mulligan: "Suffragette": Das Ende der Demut

Frühe Feministinnen: „Suffragette“ von Sarah Gavron zeigt den Kampf für das Frauenwahlrecht in England. Meryl Streep und Carey Mulligan spielen die Wortführerinnen.

Sie haben keine Öffentlichkeit. Nicht nur das Stimmrecht wird ihnen verweigert, niemand hört überhaupt ihre Stimme. Wenn es etwas gibt, was dieser Film geradezu körperlich spürbar macht, dann dieses beklemmende Ignorieren der Frauen im öffentlichen Raum. Nicht in einem rückständigen Land irgendwo in der Welt, sondern in England, mitten in Europa. Damit sich das ändert, müssen sie heimlich vorgehen, sich an obskuren Orten treffen, in Hinterzimmern und Absteigen, im Schutz der Dunkelheit.

„Suffragette“ ist ein düsterer Film. Weil die Zeit so war, meist noch ohne elektrisches Licht, aber vor allem, weil die Frauen keinen Ort hatten, an dem sie ihren Kampf austragen konnten, keinen Ort außer dem Untergrund. Finsternis umgibt ihre Gestalten, wie auf einem Rembrandt-Gemälde. Oder sie verschwinden in den Nebeldämpfen der Großwäscherei im Londoner East End, in der sich Maud Watts (Carey Mulligan) abrackern muss, seit sie sieben Jahre alt ist.

Das tägliche Unrecht erträgt sie kaum mehr – und gerät an die Suffragetten; die freundliche Apothekerin (Helena Bonham Carter), die Mauds kranken Sohn behandelt, ist eine von ihnen. Als die Frauen beim Ministerpräsidenten wegen der miserablen Arbeitsbedingungen vorsprechen dürfen, wir schreiben das Jahr 1912, muss Maud kurzerhand als Rednerin einspringen. Stockend berichtet sie vom Wäscherinnen-Alltag – und der Politiker zeigt Betroffenheit und hegt Sympathien, das Wahlrecht verweigert er trotzdem. Maud ist empört.

Man vergisst das so leicht: dass Frauen noch vor 100 Jahren überall in Europa Menschen minderer Güte waren. Dass der Chef sie sich nach Belieben für schnellen Sex schnappen und sie ebenso schnell feuern konnte; miserabel bezahlt waren sie sowieso. Ausbeutung, Diskriminierung, häusliche Gewalt, alles ganz normal. „Votes for Women“ lautete der Slogan der zunächst gewaltfreien Bewegung in England, Emmeline Pankhurst aus Manchester war die Wortführerin. Im Film ist es Meryl Streep, die eine Balkonrede hält und die kleine Wäscherin beeindruckt. „Wir wollen keine Gesetze brechen, sondern sie machen“, sagt Pankhurst: keine Eiserne Lady, sondern eine charismatische Feministin – bis die Versammlung von der Polizei brutal aufgelöst wird. Wieder zeigt die britische Regisseurin Sarah Gavron („Brick Lane“) die Schutzlosigkeit und Ohnmacht der Frauen in Szenen von hoher physischer Intensität.

Die friedlichen Demos, der Gesang der Frauen, das Vorsprechen im Parlament, es nützt alles nichts. Erst als die Suffragetten gewaltsame Aktionen starten, Hydranten zerstören, Briefkästen sprengen und Telegrafendrähte kappen, verschaffen sie sich ein wenig Gehör. Maud wird mehrfach verhaftet, mit anderen Aktivistinnen. Sie verliert ihren liebevollen Mann (Ben Wishaw), ihr Kind wird zur Adoption freigegeben. „Wenn das Gesetz sagt, ich darf meinen Sohn nicht sehen, dann muss das Gesetz geändert werden“, sagt sie tapfer; sie zahlt einen hohen persönlichen Preis. In Carey Mulligans Gesicht spiegelt sich die Zerrissenheit ihrer Figur, ihr Blick mal verängstigt, entschlossen, wütend, schwankend, wagemutig.

Violett, grün, weiß - die Filmbilder spiegeln die Farben der Bewegung

Suffragette – von „suffrage“, englisch für Stimmrecht – war damals ein Schimpfwort. Bis heute klingt es nach Blaustrumpf und Hysterie. Die 45-jährige Filmemacherin hält solidarisch dagegen, in einem Kostümfilm-London à la Charles Dickens und in meist konventionellen, in den Farben der Bewegung gehaltenen Bildern, violett, grün, weiß. Aber sie schafft dabei eine Atmosphäre, setzt eben jenes Klandestine auf beiden Seiten ins Bild, das einen begreifen lässt, warum eine einfache Arbeiterin radikal wird: weil ihr nichts anderes übrig bleibt.

Der wachsende Furor der Frauen, er ist die verzweifelte Reaktion auf die staatliche Aggressivität, mit der ihnen ihre Rechte vorenthalten werden – wider besseres Wissen. Warum sonst wird ausgerechnet der Geheimdienst auf sie angesetzt, mit den neuesten Techniken der Terrorismusbekämpfung und modernsten Fotoapparaten? Auch der Staat agiert buchstäblich in der Dunkelkammer: Brendan Gleeson verkörpert den irischen Polizisten, der die Frauen bespitzelt und Maud ihrerseits für Spitzeldienste anzuwerben versucht. Selbst diesen Topagenten ereilen Skrupel, als die hungerstreikenden Frauen im Gefängnis brutal zwangsernährt werden. Eine wenig bekannte Facette der Frauenbewegung: wie sehr die Politik wusste, dass sie im Unrecht ist.

Als es die erste Tote gibt, berichten auch die Medien

Im Juni 1913 gibt es eine Tote, Emily Wilding Davison, nach einer misslungenen Aktion beim Derby in Anmer, das ist historisch verbürgt. Endlich berichten die Medien ausführlich; Gavron integriert Originalaufnahmen vom Beerdigungszug in die Spielfilmhandlung, mit tausenden Frauen in weißen Kleidern am helllichten Tag. Das Bild hellt sich auf: 1918 wird den Frauen das Wahlrecht erteilt, wenn auch zunächst nur eingeschränkt.

Helena Bonham Carter ist übrigens die Urenkelin jenes Ministerpräsidenten, der das Ansinnen der Suffragetten abschmetterte. „Es war bizarr, eine Art posthume Konversation mit meinen Vorfahren zu führen“, sagte die Schauspielerin dem britischen Magazin „Red“. Zum Set kam auch die Ur-Enkelin von Emmeline Pankhurst und deren Tochter, als Beraterinnen und für kleine Nebenrollen. Carter hat sich bei ihnen entschuldigt.

Blauer Stern, Capitol, Cinemaxx, Delphi, FaF, International; OV: Cinestar SonyCenter; OmU: Cinema Paris, Yorck, Kulturbrauerei und Passage

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