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Kultur: Miezen und Milizen

Buchmessen-Schwerpunkt Russland: Selbstbewusste Frauenkrimis boomen im Land der Korruption und des Turbo-Kapitalismus

Als vor zehn Jahren die ersten Krimis von Alexandra Marinina in Russland erschienen, war eine eigenartige Reaktion zu beobachten: Selbst die arrogantesten literarischen Hardliner bemerkten naserümpfend: „Das ist zwar billiger Schrott, dafür aber ist es gar nicht so schlecht.“ Bis heute sind die „Zarinnen“ der russischen Kriminalliteratur nicht wirklich in den Olymp aufgenommen worden, aber selbst die Literaturkritik zollt ihnen Respekt. Und das nicht nur wegen ihrer Millionenauflagen.

Autorinnen wie Alexandra Marinina, Polina Daschkowa, Viktoria Platowa oder Darja Donzowa haben innerhalb der russischen Literatur einen Bereich weiterentwickelt, der äußerst verkümmert war: die gediegene Unterhaltungsliteratur. Die Sympathien der Leserinnen fliegen ihnen aus mehreren Gründen zu. Ihre Hauptfiguren sind keine Superheldinnen, sondern starke, selbstbewusste Frauen. Bei ihren Recherchen (entweder als Kripobeamtin oder als „Ermittlerin wider Willen“) bewegen sie sich meist in den Kreisen der Reichen und Schönen, die sich als brutal, korrupt und skrupellos erweisen – bewährtes Erfolgsrezept vieler Fernsehserien. In einer Welt, die die alten Werte über den Haufen geworfen hat, sind diese Frauen mit Tugenden wie Wahrheitsliebe, Bescheidenheit und Ehrlichkeit ausgestattet. Dass sie damit auch noch erfolgreich sind, muss ihren Leserinnen einfach Hoffnung machen.

Hier liegt auch das Erfolgsgeheimnis der Marinina. Ihre Kommissarin Anastasija Kamenskaja arbeitet bei der Kriminalpolizei in Moskau. Sie raucht, trinkt viel zu viel starken Kaffee, handelt immer wieder auf eigene Faust und bringt dadurch nicht nur sich selbst in Gefahr. Aber gerade diese Schwächen und Fehler machen sie sympathisch, ermöglichen eine Identifikation mit der kombinationssicheren Figur. Anastasija ist bislang die einzige hauptamtliche Kommissarin in den russischen Frauenkrimis, die innerhalb der Milizstrukturen ermittelt und das Bild der redlich bemühten staatlichen Behörden vermittelt (Alexandra Marinina war selbst bis 1997 Major der Moskauer Miliz).

Bei Polina Daschkowa und Viktoria Platowa müssten sich die Frauen eigentlich gar nicht mit der Aufklärung von Mordfällen beschäftigen, sie rutschen in die jeweiligen Geschichten durch Zufall hinein. So muten diese Krimis eher wie gut gebaute Gegenwartsromane mit raffinierter Krimihandlung an. Lena Poljanskaja in Polina Daschkowas Roman „Die leichten Schritte des Wahnsinns“ ist Journalistin und keineswegs von Berufs wegen mit dem kriminellen Milieu verbunden. Sie will einfach nicht an den Selbstmord ihres Freundes Mitja glauben und kommt erst über ein paar Details, die der Kripo nicht aufgefallen sind, dem Mörder auf die Spur. Ihre Suche führt sie in die eigene Vergangenheit, in die Siebzigerjahre, als sie mit einer Journalistengruppe in Sibirien unterwegs war. Ein damals junger Komsomolfunktionär hat auf ominöse Weise nach der Wende Karriere gemacht und ist heute einer der einflussreichsten Musikproduzenten Russlands. Als Lena seinen perversen sexuellen Neigungen auf die Spur kommt, droht sein gesamtes Imperium unterzugehen.

In der Verwurzelung von Karrieren in der jüngeren Umbruchsgeschichte liegt ein weiterer Reiz dieser Romane. Die Neuen Russen, diese superreiche Oberschicht der heutigen russischen Gesellschaft, hat ihre Milliarden keineswegs auf redliche Weise verdient. Oft genug waren es die alten Funktionäre, die besonders gut an die Pfründe herangekommen sind und bei der Privatisierung des staatlichen Eigentums kräftig abgesahnt haben. Noch vor kurzem haben sie am lautesten über Sozialismus und Gerechtigkeit gepredigt, jetzt müssen sie ihren neuen Reichtum verteidigen und verbünden sich zwangsläufig mit Berufskriminellen. Wo die Leute eigentlich herkommen, die sich jetzt mit Mädchenhandel, Pornofilmen, Drogenschmuggel oder Schutzgelderpressung befassen, wird in den besten dieser Krimis nebenbei miterzählt. Das Genre besinnt sich auf eine gute Tradition aus sowjetischen Zeiten. Schon damals konnte man hier mehr über die politischen Verhältnisse erfahren als aus den vermeintlich „ernsthaften“ Romanen des sozialistischen Realismus.

Letztlich bleibt aber bei aller sympathischen Realitätsnähe ein anderes Kriterium für die Qualität und den Erfolg eines Krimis ausschlaggebend - er muss spannend sein. Gewiss scheiden sich an dieser Anforderung die Geister. Dem einen sind die traditionelleren Kriminalfälle der Alexandra Marinina näher als die extravaganten, temporeichen und ausgeflippteren Romane von Viktoria Platowa oder die spitze Zunge der Satirikerin Darja Donzowa. Aber allen ist eines gemeinsam: Ihre Geschichten stecken voller Überraschungen, sind ausgesprochen intelligent gebaut und nicht so brutal wie die Thriller ihrer männlichen Schriftstellerkollegen. Das macht wohl auch ihren wachsenden Erfolg im Ausland aus. In den Büchern der russischen Krimidamen agieren Menschen mit Leidenschaften und keine gesichtslosen Monster. Natürlich schwimmen auf der Erfolgswoge auch talentlose Fische mit, und nicht jeder deutsche Verlag hat das rechte Händchen bei der Suche nach seiner Krimi-Zarin, aber diese Wahl treffen die Leser mit umso sichererem Griff.

Polina Daschkowa: Club Kalaschnikow (2002); Russische Orchidee (2003) – alle aus dem Russischen übersetzt von Margret Fieseler und erschienen beim Aufbau Verlag.

Darja Donzowa: Ein Hauch von Winter (2003); Der unschuldige Mörder (2003) – aus dem Russischen von Judith Elze, erschienen bei btb Goldmann.

Alexandra Marinina: Der Rest war Schweigen (1999); Tod und ein bisschen Liebe (2000); Die Stunde des Henkers (2001); Der gestohlene Traum (2003) – aus dem Russischen von Natascha Wodin, erschienen im Argon Verlag.

Viktoria Platowa: Die Frau mit dem Engelsgesicht (2002, aus dem Russischen von Olga Kouvchinnikova und Ingolf Hoppmann); Ein Püppchen für das Ungeheuer (Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt, 2003); – erschienen im Aufbau Taschenbuchverlag.

Christina Links

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