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Der erfolgreichste Amateurklarinettist der Welt. Woody Allen im Tempodrom. Foto: dpa

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Kultur: Mild Man Blues

Die Klarinette gilt als das menschlichste unter den Holzblasinstrumenten. Sie kann klagen, jauchzen, kreischen und lachen.

Die Klarinette gilt als das menschlichste unter den Holzblasinstrumenten. Sie kann klagen, jauchzen, kreischen und lachen. Woody Allen spielt sie seit mehr als einem halben Jahrhundert. Gut 25 Jahre davon trat der Filmemacher regelmäßig in einem New Yorker Pub auf. Mittlerweile ist er ins teure Carlyle Hotel umgezogen.

Am Montag ist er seinen Berliner Fans um gut 6000 Kilometer entgegengekommen. Es heißt, Allen verlasse eine Heimatstadt nur ungern. Die meisten Fans hat der 73-Jährige aber im alten Europa, und verglichen mit New York, wo man inzwischen einen Eintrittspreis im unteren dreistelligen Bereich berappen muss, um dem Hobbymusiker zu lauschen, sind die 50 bis 100 Euro teuren Tickets im Berliner Tempodrom geradezu moderat. Geboten wird New Orleans Jazz, gemeinhin bekannt als Dixieland. Eine Musik, die hierzulande gerne mit gewerkschaftsnahen Vormittagsveranstaltungen vom Schlage Frühschoppen assoziiert wird.

„Wir spielen hier Soul Songs, Kirchenmusik, Märsche und Musik aus den Bordellen von New Orleans“, beeilt sich Allen zu konkretisieren. In offenem Hemd und ausgebeulter Hose nimmt Allen Platz, auf dem Nasenrücken das aus Horn gefertigte Utensil, das als Markenzeichen auch die Plakate schmückt. Von der Bühne schallt das traditional „Glory Land“, das in deutschen Karnevalsregionen auch unter dem Titel „Ja, mir san mit’m Radl da“ berüchtigt ist. Die Tradition des Liedes ist freilich eine andere. Der New Yorker hat ja zur Marschmusik ein unverkrampftes Verhältnis. Das liegt auch an der Einwanderergesellschaft, in der die Parade als demokratisches Nachbarschaftsritual sämtlicher Minderheiten selbst in Millionenstädten so normal ist wie in Berlin der 1. Mai.

Das Berliner Publikum weiß all dies natürlich und spendet begeistert Applaus. Man darf davon ausgehen, dass hier nicht die Berliner Dixieland-Gemeinde das bestuhlte Tempodrom füllt, sondern eher Cineasten und New-York-Fans. Seit Barbara Kopples Dokumentarfilm „Wild Man Blues“ ist Allens Hobby hinreichend dokumentiert. Der Meister selbst gibt allerdings nicht gerade den wilden Mann und hält sich auch als Moderator zurück. Wer glaubte, der Regisseur würde in seine Lebensrolle des Neurotikers schlüpfen und ein paar Anekdoten zum Besten geben, wird enttäuscht. Eine gute Spielfilmlänge durch sitzt Allen als auratisches Zentrum des von Eddy Davis geleiteten Septetts auf seinem Sitz. In den Spielpausen von Stücken wie „Shimmy Like My Sister Kate“ oder „The Old Rugged Cross“ stützt er die Klarinette auf seinen rechten Oberschenkel wie ein Jagdgewehr. Manchmal schlägt er während des Spielens ein Knie übers andere. Allens Klarinette bemüht sich um klezmerhafte Kapriolen und ist auch gestopft zu gelegentlich trötenden Scherzen aufgelegt. Die Klarinette kann auch eine Humoristin sein – ist das die Wahlverwandtschaft zwischen Mann und Instrument? Im besten Fall klingt die Musik nach Cotton Club und Boogie Woogie. Im schlimmsten Fall nach Beerdigung. Aber auch das ist seit dem Auftritt des Funeral Ragtime Orchestra in „Der Schläfer“ (Regie: Woody Allen) Filmgeschichte.

Höhepunkte des Konzerts sind die Gesangseinlagen, die ein Musiker nach dem anderen gibt – mit Ausnahme Allens. So wenig wie er ein Giora Feidman ist, sind seine Begleiter Gesangstalente. Aber darauf kommt es beim Dixieland auch nicht an. Am besten, man stellt sich dies als Nachbarschaftskonzert im Pub vor, nur zufällig in einer zu großen Arena. Und schließlich nimmt es auch die Band mit Humor: Am Ende ertönt die Hymne des Staates Maryland. Wir kennen sie unter dem Titel „Oh Tannenbaum“. Der wohl erfolgreichste Amateurmusiker der Welt bringt abschließend noch einmal mit gespielter Demut sein Erstaunen zum Ausdruck, dass so viele Menschen gekommen seien und lässt sich zweimal auf die Bühne zurücktrampeln. Die gestopfte Trompete scheppert mit dezenter Deutlichkeit eine bekannte Schunkelmelodie. Der deutsche Refrain lautet „Auf Wiedersehen“.

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