zum Hauptinhalt

Kultur: Mit Bio-Siegel

Papier ist geduldig – die Natur nicht

Von Gregor Dotzauer

Deutschland, ein Musterland. Schneller als die hiesigen Verlage kann man den Abschied von ökologisch unverträglichem Papier und die Umstellung auf das mit dem Nachhaltigkeitssiegel des Forest Stewardship Council (FSC) versehene Papier kaum schaffen. Seit vor sechs, sieben Jahren FSC-Papiere in großem Umfang auf den Markt kamen, haben sich vor allem die belletristischen Verlagshäuser fast vollständig mit dem neuen Standard angefreundet. So fing etwa Kiepenheuer & Witsch 2004 mit Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“ an und versieht heute schon sein gesamtes Programm mit dem FSC-Logo.

Das Musterland dürfte, wie ganz Westeuropa, aber auch ein schlechtes Gewissen treiben. Denn weltweit wird fast jeder zweite industriell geschlagene Baum für die Papierproduktion verwendet – und mit der Quote steigt der Raubbau in den Tropenwäldern. Das derzeitige Produktionsvolumen von 367 Millionen Tonnen soll bis zum Jahr 2050 auf rund 440 Millionen Tonnen wachsen. Deutschland, so rechnet der World Wildlife Fund vor, der die einheimischen Verlage am Donnerstag zum Runden Tisch bat, verbraucht mit jährlich 20,8 Millionen Tonnen Papier mehr als Afrika und Südamerika zusammen. Nur die USA, China und Japan verhalten sich noch verschwenderischer. Auf jeden Deutschen entfallen gut 250 Kilogramm, ungefähr die Hälfte davon auf Verpackungen und Toilettenpapier. Warum also nicht für Ressourcen kämpfen, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Kriterien genügen? International tragen über 136 Millionen Hektar Wald das FSC-Zeichen und bürgen für eine Waldwirtschaft ohne Kahlschlag und Chemie, die Mehrung des natürlichen Mischwalds und eine angemessene Entlohnung.

Das alles klingt so wunderbar, dass man die Schönheitsfehler dabei leicht übersieht. Erstens gibt es mit der Pan European Forest Certification (PEFC) ein konkurrierendes, wenn auch mit geringeren Anforderungen ausgestattetes Zertifikat, das gleichfalls von einer gemeinnützigen Organisation vergeben wird. Zweitens klagen Verlage darüber, dass sie das neue FSC-Logo so groß in ihre Impressen drucken sollen, dass es bei durchscheinendem Papier die gesamte Titelseite verschandelt. Drittens, und hier liegt das massivste Problem, hat Deutschland gar nicht genügend FSC-Wälder, weder für den eigenen Bedarf noch für den Export seiner 13,4 Millionen Tonnen Papier jährlich. Die Folge ist, dass das FSC-affine Baden-Württemberg brav aus Schweizer Wäldern importiert und Zellstoff dem Vernehmen nach sogar aus marokkanischen Eukalyptusplantagen kommt. Der Unsinn ist der gleiche wie bei Lebensmitteln, die zwar das Bio-Siegel tragen, aber aus fernen Regionen eingeflogen werden. Gregor Dotzauer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false