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Kultur: Mit dem Rücken nach vorn

Im Aufbruchsjahr 2000 halten sich die Museen mit Prognosen für die Kunst von morgen zurück - eine VorschauNicola Kuhn Mit Feuerwerk und Lichterspielen wie nie zuvor wurde das neue Jahr begrüßt. Auch die Zeitungen, Hörfunkstationen und Fernsehanstalten entfachten ein Leuchtfeuer an Rückblicken und nostalgischen Revuen.

Im Aufbruchsjahr 2000 halten sich die Museen mit Prognosen für die Kunst von morgen zurück - eine VorschauNicola Kuhn

Mit Feuerwerk und Lichterspielen wie nie zuvor wurde das neue Jahr begrüßt. Auch die Zeitungen, Hörfunkstationen und Fernsehanstalten entfachten ein Leuchtfeuer an Rückblicken und nostalgischen Revuen. Doch keine zehn Tage später scheint das alles verpufft und versendet, wären da nicht die großen Millenniumsausstellungen der Museen, die noch längst nicht am Ende ihres Marathons durch die Jahrhunderte angelangt sind. Wie kaum eine andere gesellschaftliche Institution haben die Kunsthäuser die Zeitenwende als ihr ureigenste Terrain für eine Reflektion begriffen.

In den meisten Fällen blieb es jedoch beim Blick zurück; die wenigsten trauten sich nach der Zukunft auch der Kunst selbst zu fragen: Wird sie sich vollkommen auflösen, mit Phänomenen der Alltagskultur wie Mode, Design, Musik verschmelzen? Wird am Ende ihre Funktion von Video, Internet, Cyberspace übernommen? Der von Catherine David vor zwei Jahren auf der documenta X gerittene Angriff auf den traditionellen Ausstellungsbetrieb blieb in den Museen selbst zum Jahrhundertende ohne Widerhall. Eine ästhetische Debatte steht also noch immer aus; die Museen als der genuine Ort für eine solche Auseinandersetzung halten sich furchtsam zurück, bedienen stattdessen weiterhin Altbewährtes.

Das ist auch im Jahr 2000 nicht anders, von dem man sich doch so viel Aufbruch versprach. Was an Millenniumsrevuen bis 31. Dezember noch halbwegs zeitgemäß erschien, kommt wie von vorgestern daher. Doch da muss der Ausstellungsbesucher durch. Allein im Rheinland beginnt jetzt erst richtig die "Global Art 2000"-Reihe: Die Düsseldorfer Kunsthalle wird die Rolle des Geldes seit der Antike erforschen (ab 28. Januar), die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen unter dem Titel "Ich ist etwas anderes" das Verwirrspiel um Künstleridentitäten im 20. Jahrhundert enträtseln (ab 19. Februar), und das Wilhelm-Lembruck-Museum in Duisburg schreitet mit dem Bildhauer Abraham David Christian "Die Wege der Welt" ab (ab 20. Februar).

Der Königspfad, wie den verschlungenen Fährten der Vergangenheit zu folgen sei, ist also noch immer nicht gefunden. Der hoffnungsvollen Versuche gibt es mindestens ebenso viele wie vom Millenniumsfieber geschüttelte Museen. So untersucht die Kunsthalle Hamburg das Menschenbild im 20. Jahrhundert (ab 3. März), das Architekturmuseum Frankfurt die deutsche Baukunst dieser Epoche (ab 24. März) und das Museum of Modern Art in New York das hauseigene Sammlungskonglomerat aus Malerei, Skulptur, Fotografie, Film und Design, das sich zum Jahrhundert-Mix schlechthin vereinigt hat (bis 14. März).

Ansonsten aber zeichnet sich das Ausstellungsjahr 2000 eher durch Bescheidenheit aus. Es fehlen diesmal die Meilensteine: keine Documenta, keine Biennale und auch keine spektakuläre Mega-Schau. Stattdessen leisten die Kunstinstitutionen ihre Hausaufgaben, widmen sich intensiver einzelnen Künstlerpersönlichkeiten oder knöpfen sich abseitigere Themen vor wie etwa das Zürcher Museum Bellerive, das rund 200 Gemälde, Fotos und Objekte zum Thema "Haare" verflechten will (ab 29. Februar). Selbst bei den bekannten Größen wird nach dem Besonderen gesucht. Das Kunstforum Wien etwa richtet den Fokus auf den Aspekt des Unvollendeten bei Cézanne (ab 19. Januar), und die Kunstsammlung Basel stellt den Maler Cy Twombly als Bildhauer vor (ab 14. April).

Weniger Ästhetik, mehr Ethik

Während üblicherweise die runden Geburts- und Todestage der großen Meister den Ausstellungsplan diktieren, bleibt das Jahr 2000 von solchen Pflichtübungen erstaunlich verschont. Eine Kür dürfte dennoch den Briten die große Präraffaeliten-Schau aus Anlass des 100. Todestages des Kunstschriftstellers John Ruskin sein, welche die Londoner Tate Gallery organisiert (ab 9. März). Auch Bremen ehrt einen berühmten Sohn seiner Stadt: Vor hundert Jahren wurde dort Wilhelm Wagenfeld, Pionier des Industriedesigns und "Vater der Bauhaus-Lampe", geboren (ab 30. Mai).

Sucht man nach thematischen Schwerpunkten für 2000, so wird es schon schwieriger. Wie in den Vorjahren schiebt sich die Architektur als Ausstellungsgegenstand zunehmend ins Feld. Die einstige Königin der Künste kehrt als ungekrönte Majestät in den Kreis der Maler und Bildhauer zurück. In Zeiten einer sich zunehmend selbst negierenden Kunst lässt wenigstens die Architektur den Museumsbesucher nicht länger im Zweifel, was denn nun der Ausstellungsgegenstand und seine Aussage sei. So hat man im vergangenen Jahr das Thema Architektur aus der Biennale di Venezia herausgelöst, um ihr eine eigene Schau unter dem Motto "Die Stadt. Weniger Ästhetik, mehr Ethik" einzuräumen (ab Mitte Juni).

Das Phänomen des Urbanen umkreist auch die große Ausstellung, mit der am 23. Juni zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel wieder der großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. In neun Kapiteln versucht der Berliner Architekt Joseph Paul Kleihues die städtebauliche Entwicklung Berlins im 20. Jahrhundert nach zu erzählen. Durch das wachsende Interesse an Architektur rückt auch die damit befasste Fotografie zunehmend in den Blickpunkt. Das Centre de Cultura Contemporánia in Barcelona versucht, anhand von Arbeiten unter anderem von Thomas Ruff und Andreas Gursky die Beziehung zwischen Architektur und Fotografie zu erhellen (ab Mitte März). Auf diesem Wege meldet sich auch die bildende Kunst wieder zurück: Die Hamburger Deichtorhallen zeigen - die Zeichen der Zeit erkennend - eine Schau zum Thema "Das Haus in der Kunst" mit Beispielen von Dan Graham bis Mario Merz (ab 11. Mai).

Zu den Highlights eines Ausstellungsjahres gehören immer auch die Museumseröffnungen, an denen es in den letzten Jahren trotz aller Einsparungen nie gemangelt hat. Die Zeit der großen Neubauten scheint jedoch mit dem Jahr 2000 endgültig vorüber; stattdessen gibt es Um- und Anbauten, die nicht weniger spektulär ausfallen. Internationale Aufmerksamkeit ist da der Londoner Tate Gallery gewiss, die sich vom Schweizer Architektenduo Herzog & de Meuron auf der südlichen Themseseite in einem stillgelegten Kraftwerk eine Dependance für zeitgenössische Kunst einrichten lässt (Eröffnung 12. Mai). Auch die Kunststadt Köln meldet sich mit einem neuen alten Museum zurück. Damit sich die Sammlung Ludwig in aller Breite im Haus am Hauptbahnhof präsentieren können, entsteht für das bislang integrierte Wallraf-Richartz-Museum neben dem gotischen "Gürzenich" ein Neubau von Oswald Mathias Ungers (Eröffnung 20. Mai). Und auch hier haben die Hamburger Deichtorhallen das richtige Gespür für ein virulentes Thema bewiesen. In ihrer Sommerausstellung präsentieren sie 25 internationale Museumsneubauten der jüngsten Vergangenheit unter dem Titel "Museen für ein neues Jahrtausend" (ab 1. Juni).

Immer wieder ist der Kunst zum Vorwurf gemacht worden, dass sie sich als Lockvogel der Tourismusbranche missbrauchen lässt. Dass die Rechnung auch umgekehrt aufgeht, zeigt das Ausstellungsprogramm der Expo 2000 und der neun europäischen Kulturhauptstädte. Geschickt haben sich die Kunsteinrichtungen Hannovers an die Weltausstellung angehängt und hoffen vom erwarteten Besucherzustrom zu profitieren. Wenn die Expo die großen Themen der Zeit verhandelt, wollen auch die Museen nicht zurückstehen. So zeigt das Sprengel-Museum "Fotografie des 20. Jahrhunderts" (ab 14. Mai), das Kestner-Museum "Das Jahrhundert des Designs" (ab 22. Juli) und die Kestner-Gesellschaft "Picasso" (ab 29. August). Zur Expo selbst wurden über zwanzig Künstler geladen, sich dort im allgemeinen Rummel bemerkbar zu machen (ab 1. Juni). Dem mexikanischen Bildhauer Gabriel Orozco dürfte dies zweifellos gelingen.

Nach dem großen Finale gilt im ersten Jahrtausendjahr also eher den Kleinmeistern und kuriosen Kulturphänomenen die Aufmerksamkeit der Ausstellungsmacher. Nur an einem Ort scheint die neue Bescheidenheit vorüber gegangen zu sein: Berlin. Dort wird im Martin-Gropius-Bau wieder geklotzt. "Sieben Hügel - Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts" lautet diesmal das ambitionierte Unternehmen der Festwochen GmbH, eine Ausstellung über zukünftige Entwicklungen des Menschengeschlechts (ab 14. Mai). Fast scheint das Thema antizyklisch gewählt, schließlich wurden diese Fragen gerade erst zum Ausgang des 20. Jahrhunderts verhandelt. Doch wer weiß? Vielleicht sind die Ausstellungsbesucher bis Jahresmitte für überraschende Aussichten wieder aufnahmebereit.

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