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Beflügelt. Die rasante neue Wendeltreppe in der Eingangsrotunde. Foto: p-a/dpa

© picture alliance / dpa

Kultur: Mit den Engeln wandeln

Nicht nur in Berlin werden große Häuser saniert, auch die Tate Britain erstrahlt in neuem Glanz. Ein Londoner Museumsparcours.

116 Jahre nach ihrer Gründung ist die „Tate Britain“ wieder wasserdicht. Das ist nicht das geringste der vielen Wunder, mit denen die Londoner Museen sich von einer Ansammlung staubiger, düsterer Bruchbuden mit Pappdeckelstellwänden und bröckelndem Putz zur schönsten und beliebtesten Konstellation von Weltmuseen herausgeputzt hat.

Zur Elite zählte die Tate Britain schon lange nicht mehr. Mit „nur“ 1,5 Millionen Besuchern im Jahr lag sie abgeschlagen hinter dem British Museum, der Tate Modern, der National Gallery, dem V & Albert Museum und dem ewigen Geheimtipp, der National Portrait Gallery mit über zwei Millionen Besuchern. Zahlen übrigens, von denen deutsche Museen nur träumen können. Die 1897 als National Gallery of British Art gegründete Tate litt unter den Zweifeln am Konzept nationaler Kunstdarstellung, wurde für ihre verwirrende Hängung gescholten und war berüchtigt wegen der Löcher im Dach. Dann erfand der Londoner Museumsgott Nick Serota auch noch die neue „Tate Modern“, die dem Haupthaus die Show stahl – und die Besucher.

Nun jedoch ist die Tate Britain das Ereignis der Saison. Nach einer 45 Millionen Pfund teuren Generalsanierung ist auch das Tate Restaurant wieder offen, berühmt für exquisite Weine und die schrullige Dekoration: Rex Whistlers wohlig grünblau schimmerndes Rundum-Wandgemälde „Expedition auf der Suche nach seltenen Fleischsorten“ von 1922. Nicole Weemers für die Cafeteria entworfener „Doppel-Kaffeelöffel“ sind Sehnsuchtsobjekte für Souvenirjäger. Und Architekt Caruso St John setzte Maßstäbe mit einer Renovierung, die ein altes Museum einmal nicht mit den üblichen Stahl- und Glas-Kontrasten aufmöbelte, sondern den neoklassizistischen Bau behutsam zu sich selber zurückführte, alte Oberlichter reaktivierte, Durchblicke öffnete und den Bau mit genialen Eingriffen veredelte. Wäre da nicht die rasante neue Wendeltreppe in der Eingangsrotunde, die mit schwarz-weißen Stuckmarmorelementen die säulengefassten Nischen und Galerien dynamisiert, man wüsste gar nicht, wie so viel Geld verbaut werden konnte.

Zum Wallfahrtsort wird die Tate Britain aber aus einem anderen Grund. In dieser frischen, luftigen, lichten, erhebenden Umgebung kann man einen der aufregendsten Museumsparcours der Stadt absolvieren, den „BP Walk through British Art“, der wie fast alles in der Tate nach dem Supersponsor benannt ist. Am Ende der Duveen Skulpturenhalle wendet man sich entweder links durch die Tür zu „1540 bis zur Gegenwart“ und beginnt mit Holbeins „Dame mit dem Eichhörnchen“, oder rechts zur „Gegenwart bis 1540“ und wandert von der jüngsten Anschaffung der Tate, der Darstellung eines Schwarzen im Ringelhemd von Turner- Preis-Kandidatin Lynette Yiadom-Boakye, zurück bis ins 16. Jahrhundert. Was davor kam, fiel dem reformatorischen Eifer von Heinrich VIII. zum Opfer.

Strikte Chronologie ersetzt die kulturhistorischen Klassifizierungen nach Kunstbewegungen, Schulen und Stilen. Wo früher akkurate Wissenschaft das Marginale vertrieb, ist nun Platz für vieles, was nicht in die alten Ordnungen passte. Auch für eine erstaunliche Vielzahl von Künstlerinnen wie Mary Beale, im 17. Jahrhundert die erste Berufsmalerin Englands, deren intime Ölskizzen ihres Sohnes bisher noch nie gezeigt wurden.

Wunderbare Ausblicke ermöglicht die große Galerie „1840 –1890“ mit den Viktorianern, eine aufregende Mischung widerstrebender Kunstbemühungen in „viktorianischer Hängung“. So entstand Edward Burne-Jones’ „Goldene Treppe“ mit den musizierenden Engelsgestalten in antiken Gewändern fast zur gleichen Zeit wie Théodore Rousells „Reading Girl“, eine nackte Leserin, die mit ihrem fashionablen Kimono gleich den ganzen Japonismus an den Stuhl hängt. Und das Beste ist, dass man durch die Duveen Galerie zur Ostseite hinübersehen kann, wo die Kunst ab 1960 hängt, Francis Bacon, David Hockneys „Bigger Splash“ und eine bahnbrechende rot gesprühte Stahlskulptur von Anthony Caro.

Die assoziationsreiche Hängung offenbart, wie sehr die britische Kunst von Sonderlingen und Einzelgängern lebt, die ebenbürtig neben die Reynolds, Gainsboroughs oder Constables gehören. Dazu gehören Solitäre wie der Apokalypsenmaler John Martin, der rätselhafte William Blake oder auch der von Sex und Auferstehung besessene Stanley Spencer. Eingestreut in die Chronologie sind Schwerpunkträume für Giganten wie Henry Moore – und wechselnde „Spotlight“-Galerien mit bislang fast Vergessenem.

Man kommt für eine halbe Stunde, um sich von Kunst zivilisieren zu lassen – auch für dieses britische Museum muss man keinen Eintritt zahlen – und bleibt einen halben Tag: beflügelt vom Ambiente, freundlich aufgenommen von der Gastronomie. Was in Deutschland unvorstellbar wäre: Von den 45 Millionen Pfund Sanierungskosten stammen nur 5 Prozent aus öffentlichen Fördertöpfen. Den Rest finanzierten Wohltäter, auch 97 000 Mitglieder, die nun über neue, schicke Member Rooms verfügen. Einmal mehr sieht man, was Museen gelingt, wenn sie als Projekte der Zivilgesellschaft gesehen werden und nicht als Dienstleistungen des Staates.

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