zum Hauptinhalt

Kultur: Mit den Ohren sieht man besser

Schall und Raum: der Klangkünstler William Engelen im Berliner Haus am Waldsee

Für William Engelen ist der Alltag eine Jukebox. Wenn es in der Küche plötzlich von der Decke tropft – Wasserschaden –, dann stellt er Schüsseln auf und nimmt das blecherne Tropfen auf. Dazu ein wenig Magenknurren und das Brummen des Kühlschranks. Später spielt er ein paar Töne auf der koreanischen Flöte, mischt die Spuren und legt alles übereinander, nebeneinander. Diese Werk, sein neuestes, ist derzeit in der Ausstellung „Music Box“ im Berliner Haus am Waldsee zu hören. Lümmelnd am besten, auf einer großen Liegelandschaft, die Engelen aus Dämmschaumstoff für die Besucher gebaut hat.

Überhaupt gibt es in dieser Schau, die einen Überblick über das Schaffen des holländischen Künstlers gibt, mindestens genauso viel zu hören wie zu sehen. Schon seit vergangenem Jahr steht im Garten des Ausstellungshauses am Zehlendorfer Waldsee die Wetterstation „Meteophon“. Je nach Wetterlage erklingt in einem Bauwagen eine andere Musik. Parameter sind Feuchtigkeit, Temperatur, Windgeschwindigkeit. Hochs und Tiefs entscheiden. In der aktuellen Ausstellung wird sein Werk nun in die Tradition experimenteller Musik seit den sechziger Jahren eingebettet, so erscheint William Engelen als Nachfolger von John Cage und Morton Feldman.

Seine Soundcollage „Fräulein Grosch“ setzt sich aus einer Umfrage zusammen, in der Mitmenschen ihre ersten Erfahrungen mit Klavierunterricht schildern. In einem Nebenraum wuchern Monstera deliciosa-Pflanzen, die umgangssprachlich auch „Fensterblätter“ genannt werden. Ein Exemplar davon hat Engelen auch zu Hause. Und weil er offensichtlich eine persönliche Bindung zu der immergrünen Kletterpflanze aufgebaut hat, heißt sie bei ihm „Jochen“, genauso wie diese Arbeit, die Komposition und Installation in einem ist.

Auf einem Notenständer kann man Zeichnungen durchblättern. Mal sind es abstrahierte Strukturen eines Blattes, mal die Löcher im Blatt, mal der Stamm der Pflanze – und es sind Noten. Jochens Bestandteile werden zur Partitur. Der Musiker muss nur noch vom Blatt spielen, was in diesem Zusammenhang eine schöne Doppeldeutigkeit erhält. Das hört sich alles schräg und skurril an, ist es auch. Aber Engelen, geboren 1964, ist kein Humorist, an seinen Kompositionen arbeitet er mit tiefem Ernst.

Der Künstler ist tief verwurzelt in der Szene der neuen und experimentellen Musik. Er schreibt seine Werke für befreundete Musiker, regelmäßig arbeitet er mit dem Berliner Kammerensemble Neue Musik zusammen, das zur Ausstellung seine Komposition „Portraits“ im Haus am Waldsee aufgeführt hat. Ursprünglich kommt der in Berlin lebende Engelen aber aus der Malerei. Und das sieht man auch.

Seine Notationsformen erfindet Engelen immer wieder neu, grafische Mittel, mit denen er festhält, wie seine Stücke vom Blatt zu spielen sind. Wenn der Musiker nicht das spielt, was er soll, „dann sind meine Notationen eben schlecht“, sagt Engelen. Er ist ein äußerst korrekter Grafiker, einer, dem es nicht nur um die Musik geht, sondern auch um die Kommunikation darüber. Und der seine Notenblätter auch gerne an der Wand hängen sieht. Sie sind Kunst. Deshalb passen sie auch an diesen Ort, das Haus am Waldsee, das Engelen mit „Musicbox“ seine erste institutionelle Ausstellung in Berlin beschert.

Alles ist Zeichen. Ob es sich nun um das Gekrakel handelt, das der Künstler mal locker, mal dichter aufs Papier gesetzt hat, um etwa die Dynamik des Geigenbogens anzuzeigen. Oder ob er Notenblätter faltet und knüllt – und so den Musikern dreidimensionale Anweisungen für Spiel, Tempi und Volumen gibt. Die Ausdrucksmittel scheinen unerschöpflich. So öffnet die Ausstellung eine Tür in die reiche, versponnene Welt eines mit allen Sinnen arbeitenden Künstlers.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 6. November, Di-So 11-18 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false