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Kultur: Mit der Musik durchgebrannt

An guten Tagen, wenn ihre Augen es erlauben, fährt sie mit ihrem Rollstuhl den Flur entlang und hebt Staubfusseln vom roten Teppich auf.Dann wieder kann sie noch alle vier Treppen zu ihrer Wohnung in der Marburger Straße hochsteigen.

An guten Tagen, wenn ihre Augen es erlauben, fährt sie mit ihrem Rollstuhl den Flur entlang und hebt Staubfusseln vom roten Teppich auf.Dann wieder kann sie noch alle vier Treppen zu ihrer Wohnung in der Marburger Straße hochsteigen.Oder sie redet mit angriffslustiger Energie davon, daß in der Durchführung eines Sonatensatzes plötzlich alle Themen "aufmarschieren".Irgendwie ist zu spüren, daß Grete von Zieritz, klein und zierlich wie sie da im Rollstuhl sitzt und ihr langes Leben erzählt, aus einer österreichischen Offiziersfamilie stammt.Energie und Disziplin haben ihr wohl geholfen, ihr nicht immer leichtes Leben bis ins hundertste Jahr zu meistern und unbeirrbar ihre Ziele zu verfolgen.Dabei war sie gleichzeitig immer eine ausgeprägte Individualistin, die sich nichts und niemandem unterordnete.

Ein Phänomen ist Grete von Zieritz nicht allein dadurch, daß sie als Zeugin dieses gesamten 20.Jahrhunderts auftreten kann, sie ist darüber hinaus nicht nur Deutschlands älteste Komponistin, sondern eine der ersten Frauen überhaupt, die in dieser Männerdomäne der "Ernsten Musik" die "Tonsetzerei" zu ihrem Hauptberuf und Lebensunterhalt machte.Früh von der Mutter, einer Malerin, gefördert, machte sie in Schülerkonzerten als Wunderkind am Klavier von sich reden, die pianistische und kompositorische Ausbildung am Steiermärkischen Musikverein schloß sie mit Auszeichnung ab."Das war ein Examen vor zwölf unheimlich scharfen Prüfern", erinnert sie sich heute, "einer von ihnen war noch ein Freund von Hugo Wolf gewesen, hatte ihn zum Sterben ins Krankenhaus gebracht - ein ganz fanatischer Kritiker.Die fragten mich aus bis zum letzten - aber ich konnte alle Fragen beantworten."

In Berlin bei Martin Krause - einem Schüler von Franz Liszt und selbst Lehrer des weltberühmten Pianisten Claudio Arrau - sollte die angehende Leiterin einer Klavier- klasse in der steiermärkischen Provinz den letzten Schliff erhalten.Auch die Leitung eines Männerchores war der jungen Musikerin als eher exotische Perspektive angeboten worden.Die couragierte junge Frau besann sich nicht lange, kehrte nach den vorgesehenen drei Monaten nicht nach Hause zurück, überwarf sich mit dem Vater, verdiente ihren Lebensunterhalt allein.

Gewissermaßen ein "Durchbrennen" nicht mit einem Liebhaber, sondern mit der Musik.Davon schwärmt sie heute noch: "An Berlin faszinierte mich die kulturelle Vielfalt so sehr, daß für mich, obwohl ich doch gebürtige Wienerin bin, keine andere Stadt mehr in Frage kam." Auch wenn sie heute ihre Wohnung nur noch verläßt, "wenn ich etwas nicht zu Hause abhören kann", ist sie eine scharfe Beobachterin des Musiklebens geblieben - "aber vieles, was man heute hört, ist keine wirkliche Musik mehr, vermittelt keine Erlebnisse und bleibt im Experiment stecken." Eine Hundertjährige, die nie gewinnträchtigen Moden nachlief, aber andererseits für ihre Werke immer ihr Publikum suchte, muß wohl so urteilen.

Vermittelt hat ihr diese Haltung Franz Schreker, bei dem sie von 1926 bis 1931 an der Berliner Musikhochschule Komposition studierte.Schreker, das war damals der Guru der Opernszene schlechthin, seine Werke - "Der ferne Klang", "Die Gezeichneten", "Die Schatzgräber" - faszinierten durch unerhörte, rauschhafte, farbige Klangwelten und wurden gleichzeitig wegen ihrer unterschwelligen Erotik heftig angegriffen.Die Nazis verjagten ihn als "entartet", und bis heute ist er aus dieser Versenkung nicht mehr so richtig aufgetaucht.Grete von Zieritz lud er förmlich zum Studium ein, nachdem er ihre nicht minder exotisch glühenden "Japanischen Lieder" gehört hatte.

Eigentlich hatte sie ein schweres Leben, resümiert sie heute - "ich bin damit überhaupt nicht zufrieden".Einerseits hat sie sich als "weiblicher Komponist" gewiß durchsetzen können.Ihre zahllosen Kammermusikwerke, Lieder, Orchesterstücke wurden aufgeführt und für gut befunden.Andererseits fehlte immer die Konzentration, ein wirklich großes Werk, eine Sinfonie etwa, zu schaffen - "ich gab ständig Konzerte, entweder als Klavierbegleiterin von Sängern oder als mitgestaltende Kammermusikpartnerin.Wenn man dann noch Solostücke haben wollte, spielte ich meine eigene Musik, und die mußte ich ja noch üben!" In der Tat sind eine frühe, romantisch ausladende Klaviersonate und eine Klaviersuite von 1926 horrend schwer.So blieb sie auch nach kurzer Ehe, aus der sie eine Tochter hat, allein, lebte nur für die Musik.Dabei mußte alles "wahrhaftig" und "persönlich sein" - den aufmüpfigen Hindemith, den avantgardistischen Schönberg, den expressiven Alban Berg kannte sie wohl, ließ sich aber nicht davon beeinflussen.Eigenartigerweise half ihr das auch durch die Nazizeit.Doch so einfach setzt sich wohl auch das Gute im Musikbetrieb nicht durch, denn gerade nach dem Krieg schwamm sie, die an einer freien, unterschiedliche Traditionen aufgreifenden Schreibweise festhielt, gegen den Strom.In der Blütezeit formaler Experimente wurde sie immer inhaltlicher: etwa mit den vor der Kriegsgefahr warnenden "Kassandrarufen" 1986, oder mit ihrem letzten Werk, dem Klarinettensolo "Ein Mensch erinnert sich", das zum fünften Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe uraufgeführt wurde.

"Das war kein gutes Jahrhundert", sagt Grete von Zieritz."Die Kriege verhinderten immer wieder den kontinuierlichen Aufbau von Kreativität.Aber vielleicht gibt es jetzt einen neuen Anfang!"

Der 100.Geburtstag von Grete von Zieritz wird unter anderem am 31.März im Konzerthaus gefeiert: Kultursenator Radunski selber lädt ein.Im Kleinen Saal stehen dann um 19.30 Uhr Lieder und Kammermusik der Komponistin auf dem Programm

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