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Kultur: Mit doppelter Zunge

Ehren und abschieben: eine Migrantengeschichte.

Zieht die Festung Europa die Zugbrücke hoch? Da empören sich viele Deutsche über den Schweizer Volksentscheid gegen den Bau von Minaretten, während seit Jahren Tausende von Afrikanern beim Versuch, Europa zu erreichen, auf hoher See ertrinken. Gleichzeitig soll in Berlin ein junger Asylbewerber in sein von Bürgerkriegswirren erschüttertes Herkunftsland abgeschoben werden, obwohl er gerade erst für sein vorbildliches Verhalten in seiner Wahlheimat Deutschland geehrt worden ist.

Die Binsenweisheit, dass die linke Hand oft nicht weiß, was die rechte tut, wird in diesen Tagen ja auch von der schwarzgelben Koalition bestätigt, wenn sie beteuert, Haushaltsdisziplin zu üben und gleichzeitig Steuergeschenke verteilt. Im Fall von Bouba Kaba wird die solchem Verhalten zugrundeliegende Schizophrenie aber abstrus. Worum geht es?

Bouba Kaba stammt aus dem westafrikanischen Guinea und kam vor fünf Jahren mit einem von seinen Eltern bezahlten Flugticket über Brüssel nach Berlin, wo er seitdem lebt und arbeitet. Er hat sechs Geschwister, sein Vater ist Ingenieur. Als nicht anerkannter Asylbewerber erhielt Kaba eine zeitlich befristete Aufenthaltsgenehmigung, die periodisch verlängert werden muss. Er wird von den Behörden geduldet und kann doch jederzeit abgeschoben werden. Der heute 20-Jährige hat das Beste aus dieser Situation gemacht: Er lernte perfekt Deutsch und begann eine Ausbildung als Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Diese lief so gut, dass die Dillan-Stiftung für Handwerksberufe ihm ein Stipendium gab und hundert Euro pro Monat Beihilfe zahlt.

Seit vier Jahren tritt Bouba Kaba zudem als Mitglied der Lis:sanga Dance Company auf, zuletzt am Welt-Aids-Tag am 1. Dezember auf einer mit viel Beifall bedachten Solidaritätsveranstaltung am Hausvogteiplatz, wo er seine Tanzkünste vorführte. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich bei Reach Out, einer Beratungsstelle für Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt, und nimmt an Gruppentherapien für traumatisierte Menschen und Bildungsprogrammen für Einwanderer teil. In Anerkennung seines sozialen Engagements verlieh die ARIC-Stiftung ihm am 25. November ihren mit 500 Euro dotierten Preis zur Förderung des interkulturellen Dialogs.

Zwei Tage später dann lehnte die Ausländerbehörde Kabas Antrag auf unbegrenzten Aufenthalt ab und entzog ihm seinen in Guinea ausgestellten Pass. Zwar darf Bouba Kaba bis zum Abschluss der Berufsausbildung in Berlin bleiben, aber ohne gültigen Pass kann er jederzeit und ohne Begründung nach Conakry abgeschoben werden.

Wir sind schnell dabei, wenn es darum geht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wir stellen fest, dass die Schweiz mit ihren vier Minaretten nicht zur EU gehört; und auch dass die Glaubensfreiheit, die viele Moslems hierzulande mit Recht einklagen, in vielen islamischen Staaten mit Füßen getreten wird. Doch auch wenn die Ursachen für den Massenexodus vieler Afrikaner hausgemacht sind – sie fliehen vor wirtschaftlicher Not, politischer Unterdrückung und Korruption –, entlastet das Europa nicht von den eigenen Ansprüchen. Die menschenverachtende Politik der anderen ist kein Argument dafür, selbst fremdenfeindlich, korrupt oder intolerant zu sein. Genau das unterscheidet demokratische Gesellschaften von autoritären oder totalitären Regimes.

Der in Deutschland ausgebildete guineische Putschoffizier Camara ließ am 28. September mehr als 150 Menschen, die sich friedlich im Stadion von Conakry versammelt hatten, von Armee und Polizei umbringen. Die mit Bouba Kaba befassten Berliner Behörden interessiert das nicht. Und selbst wenn sie Bescheid wüssten – es würde sie nicht stören.

Hans Christoph Buch lebt als Schriftsteller in Berlin. Im Herbst erschien sein Roman „Reise um die Welt in acht Nächten“ in der Frankfurter Verlagsanstalt.

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