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Tückischer Teppich. „Die spanische Fliege“ an der Volksbühne, in der Regie von Herbert Fritsch.

© picture alliance / Eventpress Ho

Nach der Wahl: Berliner Kulturpolitik: Mit Fidel Castorf im Ring

Ob Monika Grütters für die CDU oder André Schmitz für die SPD - oder doch wieder Wowereit: Wer immer im neuen Senat das Kulturressort übernimmt, auf den warten eine Menge Personalprobleme.

Fünf Jahre lang, gefühlt erheblich länger, ist Kultur Chefsache gewesen. Der Regierende Bürgermeister und sein Staatssekretär haben die Chose im Griff – und da und dort auch nur laufen lassen. Jetzt bildet sich ein rot-schwarzer Senat, und es wird nach wie vor eher kühl gerechnet als wild spekuliert. Klaus Wowereit will die Kultur eigentlich abgeben. Die Zahl der Senatorenposten ist auf acht begrenzt, André Schmitz (SPD) kann also nicht Kultursenator werden, aber vielleicht Kulturstaatssekretär bleiben, wenn Wowereit wider Erwarten doch auch das Kulturamt behält.

Oder läuft es auf Monika Grütters (CDU) hinaus, die sich für ein Doppelressort Wissenschaft und Kultur empfiehlt? Dann allerdings müsste sie ihre Ambitionen im Bund aufgeben. Grütters wie Schmitz wären eine gute Wahl. Dass zwei profilierte Politiker für das Amt des Kultursenators oder Staatssekretärs infrage kommen, zeigt, wie sehr die kulturelle Entwicklung der Stadt an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewonnen hat. Bis Mitte November soll die neue Senatskoalition ausgehandelt sein.

Stuttgart und Wien haben mehr Geld

Die Neue (oder der Alte) steht dann sogleich vor einer Reihe wegweisender personeller Entscheidungen. Knall auf Fall hat Armin Petras, der Intendant des Maxim Gorki Theaters, vor einigen Wochen seine Demission angekündigt. Er will Berlin verlassen und 2013 ans Staatsschauspiel Stuttgart wechseln, weit vor der Zeit. Sein offensichtlich übereilt verlängerter Vertrag als Gorki-Boss läuft bis 2016. So klein das Maxim-Gorki-Theater ist, Petras reißt eine große Lücke. Das gilt auch für Shermin Langhoff, die zuletzt so erfolgreiche Leiterin des Ballhaus Naunynstraße. Sie geht, allerdings ohne Vertragsbruch, zu den Wiener Festwochen. Jeder weiß: Es sind vor allem diese Häuser, die Berlins Theater weiterbringen, die national und international so weit ausstrahlen, dass man erfinderische Leute wie Langhoff und Petras aus der Hauptstadt wegkauft. Es ist in Berlin eben nicht alles auskömmlich finanziert, oder andersherum: Gerade die prekären Spielorte bewirken kreative Schübe, wie einst in der freien Szene. Wenn man das so haben will, wenn das so bleiben soll, wird es immer wieder bittere Abgänge geben. Stuttgart und Wien haben mehr Geld. Und das künstlerische Arbeiten in der Hauptstadt verschleißt schneller als anderswo.

Doch es gibt auch das große Gegenmodell, die Volksbühne. Dort hält Frank Castorf seit 1992 die Intendantenstellung. Er hat bisher alles überstanden – glorreiche Zeiten, traumhafte Erfolge, lange Phasen der Agonie, massive Einbrüche und Veränderungen im Ensemble. Zur Zeit geht es am Rosa-Luxemburg-Platz etwas besser. Herbert Fritsch, einst Führungsspieler bei Castorf, hat mit seiner Inszenierung der „Spanischen Fliege“ einen Riesenhit geschafft, Martin Wuttke soll jetzt ebenfalls Regie führen, und Castorfs „Der Spieler“ hat auch wieder Qualitäten.

Machterhaltungseminenz Castorf

Wenn es schon schwer ist, das Maxim Gorki Theater und das Ballhaus Naunynstraße neu auszurichten, wie problematisch dürfte sich dann erst die Volksbühnenfrage gestalten – sofern man sie stellt. Castorfs Vertrag läuft bis 2013. André Schmitz wollte sich mit der Verlängerung oder Nicht-Verlängerung nicht mehr beschäftigen, schließlich hat er in den Neunzigern, in der heute legendären Zeit, bei Castorf als Verwaltungsdirektor gearbeitet. Und es ist auch objektiv eine reichlich undankbare Aufgabe, hier eine Ära zu beenden, mit allem, was daran hängt, zumal sich keine Alternative anbietet. Der Name Armin Petras geisterte als VolksbühnenGerücht durch die Foyers, aber das war vor seiner Entscheidung für Stuttgart. Oder will er da nur eine Kurve drehen, um sich für größere Aufgaben in Berlin zu empfehlen, womöglich für das Berliner Ensemble? Und was ist mit Matthias Lilienthal, der nach dieser Spielzeit das Hebbel am Ufer an Annemie Vanackere abgibt? Das HAU ist bestellt, immerhin.

Lilienthal hört nach neun Jahren auf, so hat er es immer gehalten. Auch damals, als er Chefdramaturg bei Castorf an der Volksbühne war (und eigentlich viel mehr). Typisch Lilienthal: Irgendwann ist für ihn Schluss, wenn er glaubt, an einem Ort alles erreicht und ausgeschöpft zu haben. Über diesen Punkt ist Castorf Äonen hinaus. Vom Revolutionär, der das Theater nach der Wende (und davor, in der späten DDR) aus den Bunkern heraus sprengte, zur Machterhaltungseminenz: Frank Castorf ist der Fidel Castro von Berlin. Nach ihm die Yankees, die Sintflut.

Kann man in Bayreuth inszenieren und gleichzeitig die Volksbühne leiten?

Nun zeichnet sich ein Ausstiegsszenario ab. Castorf soll 2013 den „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth inszenieren. Der Vertrag ist noch nicht unterschrieben, beide Seiten zeigen sich optimistisch. Es bleibt auch nicht mehr viel Zeit. 16 Stunden Oper, Richard Wagners vierteiligen Weltenzyklus stemmt man nicht eben mal so auf dem Grünen Hügel. Zumal Castorf gerade erst am Bayerischen Staatsschauspiel einen Horváth hingelegt hat. Wie will einer das schaffen in nicht einmal zwei Jahren: Wagners „Ring“ neu erfinden und nebenbei noch ein Haus in Berlin leiten, das dringend eine starke Intendanz braucht? Heikel bis unmöglich sieht das jetzt schon alles aus, und natürlich könnte er mit der Castorf’schen Lässigkeit sagen: Im Sommer 2013 bin ich mit Wagner fertig, danach kann ich mich wieder um die Volksbühne kümmern ...

Wenn er aber doch nicht Castro sein will, dann vielleicht Wotan. Der Götterchef inszeniert im „Ring“ seine Dämmerung, den eigenen Unter- und Abgang, zum Wohle der Menschheit, wie es heißt. Mit der Symbolik wird Castorf sich auseinandersetzen müssen. Den „Ring“ als spätkapitalistisches Endspiel hat bereits 1976 Patrice Chéreau spektakulär in Bayreuth kredenzt. Es gab allerdings einen Theaterintendanten, der auch schon beides schulterte: Wagners Monsterepos und eine Intendanz. Das war Jürgen Flimm, im Jahr 2000. Nach dem Bayreuth-Abenteuer gab er, nach immerhin auch 15 Jahren, die Leitung des Thalia-Theaters Hamburg ab. Heute ist er Intendant der Berliner Staatsoper.

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