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Kultur: Mit Lust das Maul stopfen

Gerade erst in seinem neuen Quartier in der Oberbaum City seßhaft geworden, scheint sich das Internationale Design Zentrum Berlin (IDZ) am Beginn eines neuen Aufbruchs in seiner fast dreißigjährigen Geschichte zu befinden.Nicht vor einem abermaligen Aus- und Umzug steht es (dies wäre dann der vierte seit der ersten Geschäftsstellen-Aufgabe 1983); sondern das IDZ ist im Begriff, seinem vielverheißenden Namen endlich wieder gerecht zu werden.

Gerade erst in seinem neuen Quartier in der Oberbaum City seßhaft geworden, scheint sich das Internationale Design Zentrum Berlin (IDZ) am Beginn eines neuen Aufbruchs in seiner fast dreißigjährigen Geschichte zu befinden.Nicht vor einem abermaligen Aus- und Umzug steht es (dies wäre dann der vierte seit der ersten Geschäftsstellen-Aufgabe 1983); sondern das IDZ ist im Begriff, seinem vielverheißenden Namen endlich wieder gerecht zu werden.Derzeit präsentiert es nicht nur die anregendste internationale Designausstellung, die Berlin in jüngster Zeit gesehen hat, sondern die erste überhaupt seit Jahrzehnten, die das Attribut "international" zu Recht trägt.

Münchens Neue Sammlung, das Vitra-Designmuseum in Weil am Rhein, Frankfurts Museumsadressen am Schaumankai, Bremens Fockemuseum oder das einstige Haus Industrieform Essen - mit seinem dortigen Nachfolger, der Zeche Zollverein - stehen in einer langen Tradition, der Öffentlichkeit regelmäßig, wenn nicht gar permanent, umfassende Einblicke in zeitgenössische Designtendenzen zu vermitteln.Nur in Berlin passierte Vergleichbares nicht.Da kam es in der Vergangenheit seitens des IDZ zwar zu der einen oder anderen Retrospektive (so in Würdigung der Lebensleistung des amerikanischen Pioniers Raymond Loewy vor acht Jahren) und gelegentlich zu separaten Einblicken in die Produktgestaltungsszene einzelner Länder wie Schweden (1988), Katalonien (1989) oder Finnland (1994).Komplexe Vergleichsmöglichkeiten wenigstens europäischer Entwurfsergebnisse boten sich den Berlinern aber noch nie.

Mit Richard Sappers großer Schau "Sinn & Form" parallel zum Erscheinen des Internationalen Design Jahrbuchs 1998/99, dessen Herausgeber der berühmte deutsche Produktgestalter aus Mailand diesmal ist, könnte nicht nur der erste IDZ-Meilenstein auf dem Weg heraus aus 15 Jahren senatspolitisch verordneter institutionell-wirtschaftsfördernder Regionalität gesetzt sein."Sinn & Form" - leider wurde Sapper von dieser für Berlin unglücklichen Titelidee nicht abgeraten - im neuen IDZ-Quartier am Warschauer Platz bietet auf über 1 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche einen Überblick zu gegenwärtigen Interieur- und Industrieprodukt-Gestaltungstendenzen in Europa, Asien und Amerika, wie er beeindruckender und unterhaltsamer nicht sein könnte.Die Ausstellung wurde gänzlich aus privaten Mitteln finanziert.Um die rund 200 Objekte - Mobiliar, Leuchten, Tafelgerät, Schalen, Gläser, Vasen, Raumtextilien und Türklinken, Rollstuhl und Nobelkarossen, Technik für Haushalt, Freizeit, Beruf und Verkehr - auf sich wirken zu lassen, sollte der Besucher genügend Zeit einplanen.Denn dies wird kein Kaufhaus- oder "Designmesse"-Bummel, bei dem sich das Auge an allerlei gestyltem Ramsch verliert.Die mit Muße zu genießende Objekt-Auslese aus dem Design-Jahrbuch, das auf seinen 240 Seiten etwa genauso viele Produkte sowie ihre Gestalter und Produzenten vorstellt, setzt auf den Dialog mit dem Publikum, darauf, den nicht immer gleich vordergründig erkennbaren Gebrauchs- und Genußmehrwert der Dinge zu entdecken.Wie etwa bei dem robust-knubbeligen Kofferradio, das ganz ohne Stromanschluß und Batterie über einen Aufzugmechanismus an jedem Ort der Welt in Betrieb zu setzen ist, dem Fahrradanhänger für Kinder, der sich ebensogut als Kinderwagen benutzen läßt, oder der Waschmaschine mit ihrer grinsenden Kobold-Physiognomie, der man mit Lust das Maul stopfen möchte.

Sappers im IDZ gezeigte ganz persönliche, unverhohlen subjektiv vorgenommene Auswahl aktueller Designobjekte sehr namhafter, aber auch noch international unbekannter junger, teils osteuropäischer Produkt- und Interieurgestalter des ausgehenden 20.Jahrhunderts folgt dem Credo, "daß das Leben nur mittels Phantasie, Ideen und Willen verändert werden kann", wie er im Jahrbuch schreibt: "Die Apathie ist das schlimmste Gift für eine demokratische Gesellschaft.Wir Designer sehen es als unsere Aufgabe an, Dinge zu schaffen, die unser Leben und unsere Zukunft verbessern." Sappers Design-Demonstration legt deshalb besonderen Wert auf die sicht- und fühlbare Qualität nützlicher und ästhetisch reizvoller Alltagsprodukte, "jenseits von Gags, Moden und Verfallsfristen schnellen Produktmarketings", er setze auf einen "humanen Neofunktionalismus", und auch deshalb liege der Schwerpunkt der präsentierten Objekte im Bereich des Häuslichen und Privaten als zunehmend wieder an Bedeutung gewinnendem regenerativem Rückzugspunkt in einer sich rapide wandelnden Welt.Das IDZ also wagt sich wieder in diese hinaus.

IDZ, Oberbaum-City, Rotherstraße 16/Warschauer Platz, bis 28.Juni.Di bis So 11 - 19 Uhr.Als Katalog dient "Das Internationale Designjahrbuch 1998/99", Bangert Verlag, 48 DM, im Buchhandel 98 DM.

GÜNTER HÖHNE

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