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Kultur: Mit Schwung ums Eck

Neues Bauen in Berlin: Zwei Häuser von Armand Grüntuch und Almut Ernst machen Leben und Arbeit transparent

Straßenecken besitzen ihre eigene Magie. Sie durchbrechen den ruhigen Fluss der Blockrandbebauungen und bieten die Chance, Akzente im Stadtraum zu setzen.

Dass Eckgebäude sogar den ganzen Straßenverlauf in Bewegung setzen können, beweisen die Berliner Architekten Almut Ernst und Armand Grüntuch mit einem ihrer Neubauten an der Kreuzung zwischen Oranienburger Straße und Monbijouplatz in Mitte. Ihr Eckhaus nimmt einen kurzen Anlauf, wölbt sich wie eine sanfte Welle in die Oranienburger Straße und schwingt dann wieder leicht zurück. Derart in Bewegung gekommen, besitzt der Bau genügend Schwung, um schließlich in einem weiten Zirkelschlag die Straßenecke zum Monbijouplatz zu umrunden. So entsteht ein höchst eleganter und dynamischer Akzent, mit einem Baukörper, der gleichsam wie auf Taille geschnitten wirkt.

Nur einen Katzensprung ist das neue Wohn- und Geschäftshaus von dem ersten Berliner Meisterstück des Architektenpaares entfernt, dem gläsernen Wohn- und Geschäftshaus neben den Hackeschen Höfen. Und genau wie bei diesem besticht auch der abgerundete Neubau am Monbijouplatz durch die Klarheit von Form und Struktur. Die hochrechteckigen Fenster mit ihren silbrig schimmernden Aluprofilen werden durch schmale gläserne Schwerter zusätzlich rhythmisiert. Zwischen den Stockwerken spannen sich lediglich schmale Geschossbänder mit hellgrauen Mosaikfliesen.

In seiner technisch-kühlen Gestalt und dank der großen Offenheit erinnert das Haus an die eleganten Berliner Bauten der Sechzigerjahre, als Paul Schwebes das filigrane DeFaKa-Warenhaus gegenüber der Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche schuf und das Kiepert-Haus an der Hardenbergstraße.

Doch trotz seiner traumhaften Lage am Park barg das Grundstück auch seine Tücken. So war es durch die Grundstückstiefe nicht einfach für die Architekten, Grundrisse zu entwickeln, die genügend Tageslicht in das Innere des Gebäudes kommen lassen. Das war weniger ein Problem für die Etagen mit den Geschäftsräumen als für die Wohnungen in den Staffelgeschossen. Doch Grüntuch und Ernst haben auch dafür eine Lösung gefunden: Gleich hinter den Wohnungstüren schließt sich ein Bereich für Nebennutzungen an. Dicht nebeneinander gestellte Wände bieten dort die Möglichkeit, begehbare Schränke und Garderoben einzurichten. Durch diesen Kunstgriff wird der tote Raum nutzbar gemacht und die großzügigen Wohnräume werden zusätzlich funktional entlastet. So können sie ganz ihrer eigentlichen Rolle dienen, denn dank der Glasfront und dem vorgelagerten schmalen Austritt bieten sie ihren Bewohnern einen traumhaften Blick auf Museumsinsel und Oranienburger Straße.

Ohnehin scheint das Quartier rund um den Hackeschen Markt für Grüntuch und Ernst zu einem besonders erfolgreichen Pflaster geworden zu sein – auf ihrem Weg, sich erfolgreich im Berliner Baugeschehen zu etablieren.

Spätestens seit dem Büro- und Geschäftshaus neben den Hackeschen Höfen besitzen sie Heimvorteil in „ihrem“ Quartier. Denn zeitgleich mit dem Eckgebäude haben sie nur wenige Meter entfernt noch ein weiteres Gebäude am Monbijouplatz errichtet. Dort ging es allerdings nicht um eine Ecklösung, sondern darum, eine Lücke in der Straßenflucht zu schließen. Auch die Nutzung unterscheidet sich. So steht bei diesem zweiten Projekt das Wohnen im Vordergrund. Lediglich der doppelgeschossige Sockelbereich des Gebäudes ist als Ladenlokal gewerblicher Nutzung vorbehalten.

Ein Raster aus Blaustein – einem hellen Naturstein, der bereits bei Grüntuch und Ernsts Haus am Hackeschen Markt sparsame Verwendung fand – rahmt den kubischen Neubau und gibt ihm seine klare Gliederung. In dieses Natursteinraster sind die überwiegend als Maisonettes ausgeführten Wohnungen eingefügt, die wie gläserne Schubladenkästen wirken. Durch die Fassadenstruktur wird die Eigenständigkeit jeder Wohneinheit unterstrichen.

So entsteht der Eindruck, als wären kleine gläserne Einzelhäuschen in einem Regal übereinander gestapelt worden. Und da die Wohnungen hinter den Rahmen aus Blaustein zurückspringen, gibt es auch jeweils genügend Platz für eine Loggia, die eine familienfreundliche Großzügigkeit besitzt. Ergänzt werden sie durch kleine Balkonaustritte auf der oberen Wohnetage. Schmale Lamellen als Sichtschutz schotten Teile der Loggien ab und beleben die Fassadenstruktur.

Diesem differenzierten Spiel zwischen den unterschiedlichen Fassadenschichten an der öffentlichen Straßenseite steht die private Rückseite des Wohnhauses gegenüber. Sie wurde fast vollständig in große Glasflächen aufgelöst, die sich zum Hof hin öffnen.

Mit ihren beiden neuen Gebäuden am Monbijouplatz ist dem Duo Grüntuch und Ernst ein weiterer Beleg dafür gelungen, dass transparente Architektur ganz selbstverständlich einen städtischen Charakter besitzen und sich gleichwohl vorzüglich in die gewachsene Umgebung eines historischen Quartiers einfügen kann.

Jürgen Tietz

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