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Kultur: Mittelweg

„Moses und Aron“ beim Musikfest Berlin.

„Driven into paradise“ fühlt sich Arnold Schönberg 1934 in Amerika, dankbar, heimatlos, sprachlos. Zurück liegt der Brief, in dem Max von Schillings dem „Kollegen“ vermeldet, dass er von seiner Meisterklasse an der Akademie der Künste „beurlaubt“ sei. Hatte Schönberg das Amt noch unter dem Signum „evangelischer Religion“ angetreten, so ist er nun in Berlin zunehmend „entschlossen, Jude zu sein“ und kehrt in Paris in die jüdische Glaubensgemeinschaft zurück.

„Ins Paradies vertrieben“ sagt er im Exil, wo der junge John Cage bald eine schwärmerische Bewunderung für ihn hegt. Schönbergs unvollendetes Meisterwerk „Moses und Aron“ fügt sich ambivalent in dieses USA-betonte Musikfest, denn entstanden ist es in Berlin. „Er hat uns auserwählt vor allen Völkern“, singt der Chor in der bekenntnishaften Dichtung des Komponisten. Der dramatische Ansatz lautet: Wer führt das geknechtete, wankelmütige Volk in das gelobte Land, wo Milch und Honig fließen? Moses,des Gedankens mächtig, ein Denker, aber kein Redner, oder Aron, der mit Wundern taktiert, mit sichtbaren Zeichen? Geisteszwist der Brüder. Schönbergs Libretto reicht vom Luther-Zitat bis zur dämonischen Orgie mit Blutopfern.

Wer einleitend zum Konzert in der Philharmonie die Kritikerrunde mit Peter Hagmann, Stephan Mösch, Max Nyffeler, Michael Stegemann und Olaf Wilhelmer erlebt hat, der wurde in seiner Neigung zu dem zwölftönigen Werk beflügelt. Ehrfürchtig und streitbar ging es dort um Beispiele unter Boulez, Solti, Gielen, Scherchen, Kegel im Vergleich erwählter Momente. Wie würde nun Sylvain Cambreling mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg sich dem „Moses“ nähern? Die Enttäuschung heißt: auf einem gestalterisch trüben Mittelweg.

Um Klavier, Harfe, Celesta, viel Schlagzeug, Bogenholz der Streicher, Sing- und Sprechchor ist der Klangkörper bereichert. Doch inspiriert die Musik Cambreling weder zu geheimnisvollem Espressivo noch zu erhellender Analyse. Er betont die polyphone Dichte und dramatischen Phasen: „Wir werden frei sein!“

Im „Tanz um das Goldene Kalb“ entbehrt auch die Europachorakademie der Präzision. Eine prägnante Stelle wie „Die letzten Augenblicke, die wir noch zu leben haben“ geht ausdruckslos unter. Franz Grundheber ist ein Moses alter Schule, Autorität in der Sprechrolle, Andreas Conrad ein scharfzüngiger Aron mit sicherem Tenor. Wenn der berühmte einstimmige Gesang der Geigen zu den Schlussworten des verzweifelten Moses erklingt, ist in dieser Aufführung die Spannung längst dahin. Sybill Mahlke

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