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Kultur: Modewelt: Am laufenden Band

Er saß auf dem Fahrrad und ist zur Schule gefahren, als die Bombe vom Himmel fiel. Ein paar Kilometer entfernt war er.

Er saß auf dem Fahrrad und ist zur Schule gefahren, als die Bombe vom Himmel fiel. Ein paar Kilometer entfernt war er. Issey Miyake ist 1938 in Hiroshima geboren und wie er denn jenen Tag sieben Jahre später erlebt hat, das ist die letzte Frage, die einem in den Sinn kommt beim Blättern durch seinen Ausstellungskatalog; und ob er sich an seiner Mode irgendwie ablesen lässt, der Zynismus. Der Geburtsort steht drin im Katalog, hinten im Textteil, das mit dem Schulweg nicht, und auf den Seiten weiter vorn sind Kleiderfotos abgedruckt.

Es ist absurd, sich der Miyake-Mode mit dem Hiroshima-Reflex zu nähern. Es funktioniert nicht, es sei denn, man assoziiert sich um Kopf und Kragen. Doch wenigstens ein Klischee stimmt: Miyake, der als einer der größten Mode-Ideenhaber des 20. Jahrhunderts gilt, als Inspirierter, präsentiert sich zurzeit in einer Ausstellung im Vitra Design Museum eben nicht als Designer, sondern als Tüftler. Der Meister des Faltenwurfs und der bis an die Grenze des Tragbaren konstruierten Architektur-Kleider zeigt im Museum in Prenzlauer Berg wie es zugeht in seiner Werkstatt in Tokio. So stellt Miyake nicht Kleider aus, sondern einen Herstellungsprozess.

"A-poc Making" heißt die Schau und die lange Museumshalle, in der die Bewag einst Transformatoren gewartet hat, hängt voller Stoffschläuche. Drei Dutzend flach gebügelte Stoffschläuche, türkis, grün, rot, alle Farben. Sie hängen entlang der glasierten Backsteinwände von der Decke bis zum Boden, wo sie an einem Ende auf ein verzinktes Eisenrohr gewickelt sind. Am anderen Ende, an der Hallenwand gegenüber, sind die Stoffe Plastikpuppen übergestülpt - aus den Schläuchen sind Kleider geworden.

A-poc ist eine Abkürzung, a piece of cloth steckt in dem Wort, und sie spielt auch mit dem Klang von epoch. Denn Miyake und sein junger Kollege Dai Fujiwara glauben, etwas gefunden zu haben, was das Kleider-Entwerfen und das Tragen gründlich verändern wird: eine Maschine, die aus einem einzigen Faden komplette Röcke, Hosen, Jacken stricken kann. Sie stand unbenutzt in einer südjapanischen Textilfabrik herum, weil niemand dort wusste, was man mit ihr anstellen sollte. Miyake hatte die Idee die keine war: die Strickmaschine, die Kleider aus einem einzigen Faden nähen kann, das auch tun zu lassen.

Die Maschine kann sogar mehrere Kleider aus einem Faden nähen, das sind die Stoffschläuche, die von der Hallendecke hängen. Zuschneiden ist nicht mehr nötig, Zusammennähen auch nicht. Die Konturen der nahtlosen Stücke sind in die Stoffbahn eingestanzt und wie Abrisskanten perforiert. Entlang dieser Linien kann man sie heraustrennen - wie eine Briefmarke, die aus einem Block gerissen wird. In einigen Bahnen stecken komplette Garnituren, inklusive Geldbörse, Handtasche und Mütze.

Es gab in den letzten Jahren kaum eine Schneider-Technik, mit der sich Miyake nicht beschäftigt hat. Er spannte Stoffe auf Kleiderpuppen und behandelte sie solange mit Chemikalien, bis sie passgenau auf die Körper schrumpften. Hosen und Hemdenumschloss er mit heißem Kunststoff, Aluminiumfolie hat er auf Baumwollanzüge gepresst.

Die Idee funktioniert - in Paris und in Tokio hat Miyake bereits A-poc-Schauräume eingerichtet - bislang am augenfälligsten bei dehnbaren Stoffen, wo Konfektionsmaße keine große Rolle spielen. Miyake beschäftigt sich mit nichts anderem mehr als den Endlos-Kleidern. Seine Kollektion wird seit dem vergangenen Jahr von einem seiner Schüler betreut.

Was er da entwickelt hat, könnte einen technologischen Fortschritt bedeuten. Die Beschränkungen der klassischen Schneiderkunst, die durch die Eigenschaften von Stoff, Schnittmuster und Nähtechnik vorgegeben waren, fallen weg. Das nahtlose Kontinuum kommt der Haut so nahe wie kein Kleid zuvor, und da es weniger handwerklichen Beschränkungen unterliegt, kann der Designer seine ästhetischen Vorstellungen dem Stoff unmittelbar einprägen. A-poc ist eine nachgeholte Utopie der industriellen Revolution: Waren in endloser Folge aus einem Rohstoff herauszuarbeiten. Doch während die Fließbandproduktion den Vorgang in Arbeitsschritte unterteilen muss, suggeriert Miyake wieder eine Einheit, die den Konsumenten am Ende direkt mit einbezieht. Denn er kann an den Schlauch herantreten und sich sein Modell eigenhändig herausschneiden.

Der letzte Industrialisierungsschritt in der Modekunst ist noch jung. Als Miyake Ende der sechziger Jahre seine Heimat verließ, um nach New York zu gehen, wohnte er der Geburtsstunde der Prêt-à-Porter-Mode bei, eine Entsprechung zur Massenproduktion in der Haute Couture. Die Produktionskosten wurden plötzlich rapide herabgesetzt, gleichzeitig konnten die Designs von Saison zu Saison problemlos variiert werden.

Auf die Frage, warum er seine Röhrenkleider ausgerechnet in Berlin zeige, hat er die verblüffende Antwort parat: Weil die Stadt die modischste der Welt ist, sagt Miyake. "Und die unmodischste." Es soll ein Kompliment sein. Miyake lacht. Seine Ideen hat er sich sowieso immer von der Straße geholt oder auch vom Acker, wenn es sein musste. Der Sashiko, der Allerweltsstoff der japanischen Bauern hat ihn einmal sehr interessiert. So etwas ähnliches trägt er heute selbst, ein dunkelblaues, grobes Hemd mit hochgeschlossenem Stehkragen.

Als er wenig später erneut die nahtlosen Ausschneide-Kleider erklärt, hält ihm eine junge Frau ein Mikrofon vors Gesicht, das an die Lautsprecherboxen am anderen Ende der Trafo-Halle angeschlossen ist. Es muss lustig sein dort hinten, Miyake lacht wieder. Jedesmal, wenn er loslacht, fährt man unweigerlich zusammen. Es fängt an mit einem harten, stoßenden Ausatmer, haha, dann ist schon wieder Schluss.

Jetzt ist es still. Er malt Linien in einen Katalog, den ihm eine Frau vor die Brust hält und schreibt seinen Namen darunter. Drei Meter weiter, am Boden, hockt ein junger Mann und drückt Aufkleber an die Wände. "Bitte den Stoff nicht berühren! Bitte nicht fotografieren!" steht darauf.

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