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Cannes ist Glamour - und knallharte Filmwirtschaft!

© Reuters

Bonjour Cannes (6): Monika Grütters: „Wer bloß gefallen will, ist kein Künstler“

Das deutsche Debakel in Cannes: Obwohl kein deutscher Film auf dem Festival läuft, redet die Kulturstaatsministerin das heimische Kino vor der dort versammelten Branche schön. Und nimmt die vollmundige Rede anderntags zurück.

Prunkvoller Rahmen, schmaler Inhalt: Der traditionelle deutsche Empfang bei den Filmfestspielen in Cannes ist, gelinde gesagt, eine etwas seltsame Veranstaltung. Früher lud man in elegante Villengrundstücke hoch über der Stadt, eine Zeitlang dann in die eher rustikale Forville-Markthalle, und inzwischen siedelt man nobel am großen Privatstrand des Luxushotels Majestic. Nahezu 1000 Gäste drängten auch diesmal auf selbiges Gelände, um dort, nunja, den deutschen Film zu feiern. Nur wie und warum? Die deutschen Filmförderer aus allerlei  Institutionen und Bundesländern finden zwar stets den Weg nach Cannes, nicht jedoch die von ihnen geförderten Filme.

Nun ist es gewiss nicht die vornehmste Aufgabe einer deutschen Kulturstaatsministerin, festlich gestimmten Gästen mit einem garstigen Grußwort gewissermaßen ins Roséglas zu spucken. Andererseits hat auch die Euphemismen-Etikette Grenzen. Diese überschritt Monika Grütters am Wochenende forsch, indem sie die Situation des deutschen Films in Cannes dies Jahr mit dem Auftritt des FC Bayern in der Champions League verglich. „Stark gespielt und trotzdem ausgeschieden.“ Und jetzt alle: Man möge es mit dem Bayern-Trainer Pep Guardiola halten und es „nächstes Jahr einfach von neuem versuchen“.

Stark spielt der deutsche Film in Cannes, wohin bekanntlich die besten Filme der Welt drängen, seit bereits zwei Jahrzehnten nicht. Man muss schon bis ins Jahr 1979 zurückgehen, zur Goldenen Palme für Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“, um von dort eine Goldene Ära der internationalen Anerkennung des deutschen Kinos zu rekonstruieren. Bis 1997 waren deutsche Filmemacher - von Thomas Brasch bis Margarethe von Trotta, von Wim Wenders bis Werner Herzog, von Bernhard Wicki bis Werner Schroeter - insgesamt 18 Mal im Wettbewerb vertreten, im Schnitt also jedes Jahr. Es gab ordentlich Regie- und Schauspielerpreise und 1984 eine weitere Goldene Palme, für Wim Wenders' „Paris Texas“.

Frankreich zählt 210 Millionen Kinobesuche im Jahr, Deutschland nur 120 Millionen

In den 18 Jahren seit 1997 allerdings reichte es nur noch für vier Wettbewerbsauftritte mit einer kurzen Hausse zwischen 2004 und 2008 - von Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“ bis zu Wenders' „Palermo Shooting“. Preise in dem gesamten Zeitraum? Nur ein Drehbuch-Pälmchen 2007 für Fatih Akin ("Auf der anderen Seite"). Einen gewissen Trost mögen da allenfalls die neun deutschen Titel bieten, die immerhin in der Nebenreihe „Un certain regard“ gnädige Aufnahme fanden. Ausgezeichnet wurde allerdings nur Andreas Dresen (2008 für „Wolke Neun“ und 2010 für „Halt auf freier Strecke“). Das letzte Gastspiel dort, „Tore tanzt“ von Katrin Gebbe“, datiert aus 2013. Der signifikanteste Befund: Seit 1997 glänzt der deutsche Film statistisch jedes zweite Jahr in Cannes - durch Totalabwesenheit.

Die Franzosen sind mit fünf Filmen am Wettbewerb beteiligt. Hier das Team von "Mon Roi" mit Emmanuelle Bercot, Vincent Cassel, Regisseurin Maiwenn, Louis Garrel and Amanda Added bei der Premierie.

© AFP

Woran liegt's? Mag, alte Klage, das Festival die Deutschen nicht? Oder regiert in Cannes, ebenso angejahrte Verschwörungstheorie, die Liebe zu eine anderweitig internationalen „Regisseursfamilie als ästhetisches Prinzip“, wie Monika Grütters am Sonntag nachmittag beim Pressegespräch mutmaßt - auch wenn das aktuelle Programm in allen Sektionen zeigt, dass man keine Angst vor neuen Namen und ästhetischen Wagnissen hat? Oder sind die deutschen Filme, Gott bewahre, vielleicht tatsächlich nicht konkurrenzfähig genug für die wirklich guten Festivals - schließlich tun sich die Deutschen etwa auch in Venedig schwer?

Man kann es sich leicht machen und die mangelnde internationale Wirksamkeit des deutschen Films ausländischen Festivalbinnenstrukturen anlasten. Besser wäre es, die mannigfaltigen Gründe dafür in Deutschland selber zu suchen. Als da wären: eine zerklüftete Förderstruktur der institutionellen Dreinreder - von den regionaleffektgierigen Bundesländern bis zu den immer mal wieder inhaltlich nivellierungsbedürftigen Fernseh-Koproduzenten. Die dumpfe Konzentration auf Wirtschaftsförderung bis hin zur alljährlichen 50-Millionen-Euro-Riesengießkanne des Deutschen Filmförderfonds auf Kosten des substanziellen Unterstützung filmkünstlerischer Wagnisse.

Mehr noch: der totale Mangel an nationalem Selbstverständnis für Filmkultur, ja, auch an Stolz auf sie, wie er etwa in Frankreich mit knapp 210 Millionen Kinobesuchen im Jahr bei nur 66 Millionen Einwohnern (zum Vergleich Deutschland: 120 Millionen bei 81 Millionen Einwohnern) vorgelebt wird und auch den binnenwirtschaftlichen Erfolg beflügelt. Ja, in Deutschland regiert ein Publikum, das Kultur zwar im Theater oder in der Oper sucht, aber nicht im Kino - oder wenn, dann eventbedingt wie auf der Berlinale, wo binnen zehn Tagen  330 000 Leute in Filme eines Erkenntnis- und Schwierigkeitsgrades rennen, dem sie übers Jahr leider keineswegs die Treue halten.

Und weiter: Wie ist es mit den jungen Filmemachern, die nach ihrem ersten oder zweiten Film zum lukrativeren Fernsehen abwandern und dort zu Regisseuren von der Stange werden, weil sie nirgendwo eine Struktur vorfinden, die originelle, ja unverwechselbare Handschriften fördert? Und wie ist es um das öffentlich-rechtliche Fernsehen überhaupt bestellt, das, wenn es denn schon man ästhetische Wagnisse ausstrahlt, solche Filme trotz eindeutigen Kulturauftrags an die wenig quotenrelevanten Sendeplatzränder verbannt?

Die Summe dieser und anderer Malaisen ist es, die nicht nur in diesem für Deutschland wieder so blamablen Jahr in Cannes, sondern strukturell seit längerem nichts Innnovatives von internationalem Rang hervorbringt. Sollte die Filmförderung da nicht radikal umsteuern und programmatisch stärker auf Kultur statt auf überwiegend wirtschaftlich orientierte Subvention setzen? Monika Grütters, die als Kulturstaatsministerin über ein Budget verfügt, das nur ein Bruchteil jenes der von der Filmwirtschaft gesponserten Filmförderanstalt (FFA) und der Länderförderungen ausmacht, scheint grundsätzlich nicht abgeneigt. „Künstler sind so lange gut, wie sie nicht gefallen müssen“, sagt sie. Junge Filmemacher will sie stärker fördern und auch die leidige „Fragmentierung“ der Förderformen bekämpfen, sprich: das kreativitätstötende Bettelnmüssen der Produzenten und Filmemacher an vielen Türen.

Ob sie selber viel davon umsetzen kann? Zuzutrauen ist ihr manches, wie man aus ihren anderen wirbeligen Baustellen weiß. Ein Hoch aufs „Sperrige“ lässt sie sich in Cannes immerhin entlocken, und aus ihrer Begeisterung etwa für Sebastian Schippers übermütigen, in einem Take gedrehten Berlinale-Erfolg „Victoria“ macht sie keinen Hehl. Und so ist auch von Bayern München plötzlich nicht mehr so recht die Rede vor der Presse an diesem Sonntagnachmittag. Restdiplomatisch gesagt: „Das war Spaß.“ 

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