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Kultur: Moral liegt in der Luft

Lässt sich Demokratie mit militärischen Mitteln exportieren? Was den Bombenkrieg der Alliierten von einem möglichen Irak-Krieg unterscheidet

Während der Irak-Krieg näher rückt, beschäftigt sich die deutsche Öffentlichkeit mit den eigenen Kriegstraumata. Ein Aufsehen erregendes Buch über die Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg stellt den alliierten Luftkrieg als Teil eines kriegsverbrecherischen Kalküls dar.

Mit dieser These stößt der Historiker Jörg Friedrich („Der Brand“, Propyläen-Verlag) auf breite Zustimmung. Sie erfolgt in einem Meinungsklima tiefen Unbehagens angesichts der gegenwärtigen außenpolitischen Strategie der USA. Der Zusammenhang kommt nicht von ungefähr. Denn die Kriegspläne der US-Administration gegenüber dem Irak und ihre neue Doktrin von der Legitimität präventiver militärischer Schläge gegen potenzielle atomare Risikostaaten stützen sich in erster Linie auf die überwältigende waffentechnische Überlegenheit der amerikanischen Streitkräfte. Und das heißt in erster Linie: auf ihre Luftüberlegenheit.

Schon der Kosovo- und der Afghanistanfeldzug wurden aus der Luft entschieden. Auch bei einer Irak-Invasion würden sich die USA vor allem auf den Einsatz mit Präzisionswaffen bestückter Flugzeuge verlassen. Durch massive Bombardements gegen irakische Stellungen soll den Bodentruppen der Weg nach Bagdad freigeräumt werden. Vor der irakischen Hauptstadt würden die Invasionskräfte dann vermutlich ihrem größten Problem gegenüberstehen. Was, wenn sich die Saddam-treuen Republikanischen Garden in Bagdad verschanzen und einen blutigen Häuserkampf vom Zaun brechen, wobei ihnen die Zivilbevölkerung als Geisel dienen würde? Kriegskritische Experten sagen voraus, dass die Amerikaner in diesen Fall mit intensiven Luftangriffen gegen die Stadt, wenn nicht mit ihrer kompletten Zerstörung reagieren würden. Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende von zivilen Toten könnten die Folge sein. In diese Schreckensvision mischen sich hier zu Lande die Bilder von deutschen Städten wie Hamburg und Dresden, die im Bomben-Inferno brannten.

Diese Assoziation wird dadurch verstärkt, dass die Bush-Administration ihre Angriffspläne gegen den Irak mit der Perspektive einer politischen Neuordnung des Nahen Ostens verbindet. Mit einer Demokratisierung des Irak sollen auch alle anderen autokratischen Regimes der Region ins Wanken gebracht werden. Nach dem Vorbild des Neuaufbaus in Deutschland und Japan nach 1945 soll der Irak unter ein Besatzungsregime gestellt und mit dem Aufbau demokratischer Strukturen begonnen werden.

Die Motive der USA

Deutschland ist das paradigmatische Beispiel einer gelungenen Wende zu demokratischen Verhältnissen, die durch ein militärisches Okkupationsregime erzwungen wurde. Dennoch ist die Skepsis, dass sich diese Entwicklung im arabischen Raum widerholen könnte, hier besonders groß. Wie überall gibt es auch hier berechtigte Zweifel, ob es den Amerikanern mit ihren Ankündigungen wirklich ernst ist. Dass die USA den politischen Willen und die materiellen Ressourcen aufbringen werden, ein oder zwei Jahrzehnte lang den Nahen und Mittleren Osten in eine prosperierende Region demokratischer Stabilität zu verwandeln, ist in der Tat schwer zu glauben. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte lässt sich vielmehr vermuten, dass Amerika, ist der Erzfeind Saddam Hussein erst einmal beseitigt, das Interesse verlieren und sich anderen Krisenherden zuwenden wird.

In Deutschland werden solche Einwände jedoch von noch tiefer gehenden Vorbehalten überlagert. Die Debatte über den Bombenkrieg wirft die Frage auf, ob sich eine gewaltsame Durchsetzung demokratischer Strukturen von außen überhaupt moralisch rechtfertigen lasse oder ob dieses Ziel durch die Gewalt, die zu seiner Verwirklichung nötig ist, nicht an sich schon diskreditiert wird.

Eigendynamik des Luftkriegs

Jörg Friedrich macht zu Recht auf die Inhumanität des gezielten Terrors gegen die Zivilbevölkerung aufmerksam, der mit dem alliierten Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg verbunden war. Die individuellen Opfer, die er zur Folge hatte, erhalten keinen höheren Sinn, weil auf den Ruinen der deutschen Städte später eine Demokratie aufblühte. Ebenso wenig lässt sich das wahllose Töten von Zivilpersonen mit den noch viel grausameren Verbrechen rechtfertigen, die von deutscher Seite überall in Europa begangen wurden.

Doch Friedrichs Absicht geht weiter, als den – auch unter militärischen Aspekten – sinnlos geopferten deutschen Zivilisten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Im Tagesspiegel vom 23.Dezember stellt er die Suggestivfrage, ob nicht auch „die Gegenseite“, also der Westen, „einen Vernichtungskrieg geführt hat“. Sein Kernargument: Die Möglichkeit, durch Luftüberlegenheit einen Krieg mit einem Minimum an eigenen Verlusten zu gewinnen, entwickelt eine Eigendynamik, die zwangsläufig die systematische Auslöschung der Zivilbevölkerung mit sich bringt. Träfe diese Behauptung zu, wäre auch die moralische Legitimation gegenwärtiger kriegerischer Interventionen des Westens in Frage gestellt. Zwar gilt für die gesamte Nato – im Unterschied zu den Alliierten des Zweiten Weltkriegs – der Grundsatz, dass militärische Aktionen nur zu rechtfertigen sind, wenn zivile Schäden so gering wie möglich bleiben. Doch was spricht nach Friedrichs Theorie dagegen, dass der Westen, wenn er auf einen zum totalen Krieg entschlossenen Gegner trifft, nicht wieder dessen Vernichtungslogik übernimmt?

Friedrich nimmt eine partielle Übereinstimmung bei der Anwendung von Kriegsmitteln als Beleg für die angeblich innere Logik jedes modernen Krieges – unabhängig, was die Staaten und die Politiker, die ihn führen, damit verbinden. So versucht er, den Anspruch der westlichen Demokratien, ihren totalitären Feinden moralisch überlegen zu sein, in Zweifel zu ziehen. Doch eine grundlegende Revision der Sicht auf den Zweiten Weltkrieg wird er kaum erreichen. Zu tief hat sich in das kollektive Gedächtnis der europäischen Völker der Unterschied zwischen den Motiven der nationalsozialistischen und der alliierten Kriegsführung eingeprägt. Während Hitler die Unterjochung Europas anstrebte, brachten die Alliierten dem Kontinent am Ende Freiheit und Wohlstand. Auch dem ehemaligen Feind, den Deutschen, die keineswegs ausgelöscht, sondern in die westliche Werteordnung eingegliedert werden sollten.

Dass dieser Unterschied in Deutschland derzeit bezweifelt wird, hat einen aktuellen politischen Hintergrund. Nach dem Ende des Kalten Krieges strebt Deutschland danach, aus seiner Rolle als Schutzbefohlener der USA herauszutreten. Als Teil der Europäischen Union empfindet es sich zunehmend als gleichberechtigter Konkurrent des großen atlantischen Bruders. Sein Selbstbewusstsein stützt sich nicht zuletzt auf die Tatsache, dass es über eine bewährte Demokratie verfügt, die längst ohne die Vormundschaft ihrer einstigen westlichen Ziehväter auskommt. Es verbindet damit die Überzeugung, eine besonders friedfertige und besonnene demokratische Nation zu sein, und leitet daraus ein moralisches Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Demokratien ab, die sich von ihren kriegerischen Neigungen angeblich nie gereinigt haben. Bei der Ausbildung dieses neuen Selbstwertgefühls stört jedoch das schmerzliche Wissen darum, dass die deutsche Musterdemokratie nicht aus eigener Kraft errichtet wurde. Sie ist das Ergebnis einer militärischen Niederlage sowie der Zerschlagung der alten Herrschaftseliten.

Im Irak-Konflikt kann diese Urszene der Bundesrepublik indirekt noch einmal durchlebt werden. Sie wird nun dahingehend neu interpretiert, dass es sich bei der Gewaltanwendung der westlichen Siegermächte keineswegs um eine zivilisatorische Tat gehandelt habe, sondern um einen Rückfall in die Barbarei. Das zivilisierte demokratische Deutschland wäre demnach trotz und nicht wegen seiner militärischen Überwältigung entstanden.

In die deutsche Ablehnung eines Irak-Krieges mischen sich somit projektive Züge, die mehr mit deutschen Selbstfindungsprozessen zu tun haben als mit den aktuellen Problemen des Mittleren Ostens. Freilich lässt sich daraus nicht der Umkehrschluss ziehen, der amerikanische Kriegskurs sei gerechtfertigt. Die Annahme der Bush-Administration, der Demokratieexport mit den Mitteln des Krieges könne auch in einem Land wie dem Irak gelingen, weil er einst in Deutschland erfolgreich praktiziert wurde, basiert ja ebenfalls auf der Projektion einer historischen Epoche in die Gegenwart. Die unterschiedlichen politischen und kulturellen Bedingungen in Deutschland 1945 und im Irak 2003 sind indessen offenkundig. Zunächst handelte es sich beim Krieg gegen Deutschland nicht um einen Präventivschlag. Und ein Angriff, der auch nur annähernd so viele zivile Opfer kosten würde wie der alliierte Luftkrieg gegen Deutschland, würde in der Weltöffentlichkeit auf keinerlei Verständnis stoßen. Das politische und moralische Risiko, das die USA mit einem Irak-Krieg eingehen, ist deshalb so hoch wie nie zuvor.

Wer wen in Schach hält

Dennoch ist das Demokratieargument der US-Administration keineswegs reine Propaganda. Es ist vielmehr eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass in Zeiten immer leichteren Zugangs zu Massenvernichtungswaffen die alte Methode, einen größenwahnsinnigen Diktator gegen den anderen zu unterstützen, um sie gegenseitig in Schach zu halten, geradewegs ins Desaster führt. Wenn es aber in einem Land auch nur Ansätze demokratischer Kontrolle gibt, ist die Schwelle, Kriege anzuzetteln – schon gar mit Massenvernichtungswaffen –, wesentlich höher, als wenn ein Autokrat oder ideologische Fanatiker regieren, die ihr Volk nur als Material ihrer Allmachtsbestrebungen betrachten.

Auch wenn sich die Mittel der US-Regierung als verfehlt erweisen sollten – die Grundidee ist richtig: Ohne den Sturz der Autokratie, sei es der irakischen oder der saudischen, ist weder ein dauerhafter Friede noch eine Entwicklung des Nahen und Mittleren Ostens zu Prosperität und Wohlstand denkbar. Namentlich der Palästina-Konflikt ist nicht zu lösen, solange es Regimes gibt, die Israel vernichten wollen. Diese Einsicht steht den Europäern, und nicht zuletzt den Deutschen, noch bevor. Gewiss kann Demokratisierung nicht alle Probleme und Konflikte lösen. Aber ohne sie ist keine stabile Weltordnung mehr möglich.

Richard Herzinger

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