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Die Startseite. Vorgeführt am 31.März in den Räumen der Berliner Gemäldegalerie.

© dpa/Stephanie Pilick

Deutsche Digitale Bibliothek: Morgen ohne Stern

Jahrhundertprojekt Die Deutsche Digitale Bibliothek in Vollversion.

Von Gregor Dotzauer

Vor 15 Monaten, als die Deutsche Digitale Bibliothek in einer Betaversion ihre virtuellen Pforten öffnete, war es noch ein trotziges Experiment. Der David aus Bund und Ländern, der mit der DDB von einem nationalen Kulturportal träumte, in dem das gesamte Wissen des Landes aufzufinden wäre, forderte den internationalen Google-Goliath heraus. Kann staatliche Initiative der Hegemonie eines privaten Unternehmens etwas entgegensetzen, das war die Frage. Nichts beantwortet sie nun niederschmetternder als die erste Vollversion der DDB. Falls das, was in der Berliner Gemäldegalerie als Triumph deutscher Kulturpolitik vorgestellt wurde, tatsächlich den künftigen „Regelbetrieb“ darstellt, hat er nicht einmal gegen die werbefinanzierten deutschen E-Bibliotheken von Projekt Gutenberg oder Zeno eine Chance.

Doch wer spricht bei der DDB, einer Tochter der Europeana (www.europeana.eu), eigentlich von Büchern? Schon zum Start präsentierte sie sich als multimediales Sammelsurium. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn es nach Relevanz erschlossen wäre – und die Proportionen stimmen würden. Unter den momentan 8 Millionen Objekten befinden sich 2,1 Millionen Bilder, 5000 Audio- und Videodateien, aber nur eine Million Texte.

Der Offenbarungseid kam mit dem stolzen Vorzeigen der Bestände zu Christian Morgenstern. Zu seinem 100. Todestag findet sich ein äußerst überschaubares Konvolut von Dichterporträts, Korrespondenz und Illustrationen zu seinen Büchern aus fremder Feder – aber kein einziges selbstständiges Werk, das es einem erlauben würde, etwa das berühmte Gedicht vom „Lattenzaun“ nachzulesen.

Es ist ein Armutszeugnis, dass die DDB auf ihren neu eingerichteten Personenseiten nun an oberster Stelle zu Wikipedia verlinkt, wo der Leser wenigstens vollständige Biografien und Verweise auf die Volltexte erhält. Die DDB ist, wie es hieß, zwar ein Ort des „Stöberns“, in dem man vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt – und dann etwa die Noten zu Wilhelm Kienzls Vertonung von Morgensterns „Schneefall“ entdeckt. Zum gründlichen Recherchieren ist sie für Schüler wie für Wissenschaftler unbrauchbar. Und wer glaubt ernsthaft, dass sich Touristen mit ihr auf Museumsbesuche vorbereiten?

Festrednerin. Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit Michael Eissenhauer, Generaldirektor der StaatlichenMuseen zu Berlin

© dpa/Stephanie Pilick

Noch an viel prominenterer Stelle ist die DDB derzeit miserabel ausgestattet. Von Franz Kafka findet sich nur „Der Heizer“ in Frakturschrift, von Friedrich Nietzsche eine willkürliche Auswahl. Dies ist umso widersinniger, als unter www.nietzschesource.org eine zitierfähige kritische digitale Gesamtausgabe kostenlos vorliegt, an der unter anderem die Klassik Stiftung Weimar, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Europäische Kommission und das Centre National de la Recherche Scientifique mitgewirkt haben. Das Problem dürfte darin liegen, dass das in Paris gehostete Open-Access-Projekt weder zu den momentan 110 aktiven Datenlieferanten gehört, noch zu den 2073 registrierten Einrichtungen, darunter 600 Bibliotheken, die zur DDB beitragen wollen. Die laufenden Erweiterungen der DDB verbieten ein endgültiges Urteil – zumal man vielleicht auch das Aussichtslose betreiben muss. Doch bevor man Usern persönliche Favoritenlisten ermöglicht, sollte man gezielt die Kammern füllen – und sich dabei nicht völlig von präsentationswilligen Institutionen abhängig machen. Im jetzigen Zustand ist dieses „Jahrhundertprojekt“ (Hermann Parzinger) jedenfalls ein Jahrhundertflop. Gregor Dotzauer

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