zum Hauptinhalt

Kultur: MQ-Eröffnungsmarathon: Der weiße und der schwarze Würfel

Wenn Kultur und der von ihr beförderte Tourismus die beiden großen Wachstumsbranchen unserer Tage sind, dann hat sich Wien für das beginnende Jahrhundert hervorragend positioniert. Die bauliche und organisatorische Sanierung der staatlichen Museen ist weit vorangeschritten, und zu dieser Aktualisierung eines glorreichen Erbes tritt jetzt der sichtbare Anschluss an die Gegenwart.

Wenn Kultur und der von ihr beförderte Tourismus die beiden großen Wachstumsbranchen unserer Tage sind, dann hat sich Wien für das beginnende Jahrhundert hervorragend positioniert. Die bauliche und organisatorische Sanierung der staatlichen Museen ist weit vorangeschritten, und zu dieser Aktualisierung eines glorreichen Erbes tritt jetzt der sichtbare Anschluss an die Gegenwart. In der vergangenen Woche wurde das Museumsquartier, werbewirksam als "MQ" annonciert, an seine künftigen Nutzer zur Einrichtung übergeben.

Zwei Museen, eine Kunsthalle, ein Tanzzentrum, zwei Veranstaltungssäle, dazu ein gutes Dutzend kleinerer Institutionen und nicht zuletzt Geschäfte und Gastronomie sollen ein Areal von 60 000 Quadratmetern Nutzfläche von morgens bis tief in die Nacht beleben. Damit könnte das MQ zum Mittelpunkt eines von 200 Institutionen im Umkreis von nur einem Kilometer gewirkten Kulturnetzes avancieren.

Vergleiche, etwa mit dem Pariser Centre Pompidou, drängen sich auf. Zwei Milliarden Schilling - umgerechnet knapp 300 Millionen Mark - haben sich die Bundesrepublik Österreich (75 Prozent) und die Gemeinde Wien (ein Viertel) den Ausbau kosten lassen, der bis zum MQ-Eröffnungsmarathon zwischen Juni und September allerdings noch umfängliche Arbeiten im Altbau- und Freiflächenbereich erfordert. Hinzu kommen Einrichtungskosten von insgesamt 35 Millionen Mark. Vom "größten Museumsprojekt Europas" ist allenthalben die Rede. Jedenfalls ist das MQ ein Muster eigener Art. Denn den Ausgangspunkt bildet ein bald drei Jahrhunderte alter Gebäudekomplex: die kaiserlichen Stallungen, die Karl VI. bei Wiens Barockgenie Johann Bernhard Fischer von Erlach in Auftrag gab und die dessen Sohn 1725 vollendete.

Nach dem Ende der k.u.k.-Monarchie entfiel die imperiale Zweckbestimmung, stattdessen zog Messebetrieb in den nach und nach erweiterten Komplex ein. Vor zwei Jahrzehnten ging auch dieses Interim zu Ende, und das verwinkelte Ensemble wäre womöglich verdämmert, hätten sich nicht die Wiener Festwochen der Winterreithalle, das Wiener Architekturzentrum eines Seitenflügels und die Kunsthalle der Hauptsäle der auf schließlich 350 Meter Länge ausgeweiteten Stallungen bemächtigt.

Die in diesen Jahren geborene Vision eines multidisziplinären Kulturzentrums gedieh 1986 bis zu einem Architekturwettbewerb, der 1990 siegreich für das - auch in Berlin wohl bekannte - Büro der in Linz gebürtigen Brüder Laurids und Manfred Ortner ausging. Ihre selbstbewusste Entkernung und Modernisierung des Geländes, sichtbar gekrönt von einem 67 Meter hohen "Leseturm", wäre indessen bald an einer Kampagne des auflagenstärksten Boulevardblatts gescheitert. Der "Leseturm" fiel - doch nicht das Projekt als Ganzes, wie seine vergangenheitsseligen Gegner gehofft hatten. Ortner & Ortner zeigten sich flexibel genug, einen moderateren Gesamtplan vorzulegen und nun doch noch mit der Realisierung beauftragt zu werden.

Inzwischen hatten sich die Rahmenbedingungen verändert. Die Republik Österreich verhandelte nach jahrelangem Geplänkel mit dem Großsammler österreichischer Kunst der Klassischen Moderne um Klimt und Schiele, Rudolf Leopold, um dessen auf 5500 Arbeiten bezifferte Kollektion 1994 für umgerechnet 313 Millionen Mark in eine Stiftung zu übernehmen. Dafür musste ein Museumsneubau her: wo anders als im MQ, dessen Hauptattraktion die Leopold-Sammlung mit erwarteten 350 000 geschätzten Besuchern im Jahr bilden wird. Das "Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig", einst als "Museum des XX. Jahrhunderts" ein mutiger Sprung aus k.u.k.-Seligkeit in die Gegenwart und später vom rheinischen Großsammler Ludwig großzügig beschenkt, bildet den anderen Eckpfeiler. Gegenüber seiner ursprünglich herausragenden Funktion muss sich das Museum jetzt allerdings mit dem zweiten Platz begnügen. Für beide Sammlungen entstanden Bauten, die sich nun hinter der unscheinbaren Zweckfront der Stallungen als mächtige Würfel die Waage halten.

Die Kunsthalle, die unter Leitung von Gerald Matt weithin Beachtung findet, erhält den dritten Neubau, der sich indessen zwischen der Winterreithalle und dem dahinter ansteigenden Geländeprofil des Spittelbergs einklemmen lassen muss. Ein weithin sichtbarer Eingang fehlt ihr - da dürfte der erste Umbaubedarf heranwachsen. In die noble Halle selbst haben Ortner & Ortner ein silbriges Gebilde von Zuschauertribüne hineingestellt, das der Vielfalt der Festwochenveranstaltungen gerecht zu werden verspricht.

Die weiteren Institutionen finden in den Barockbauten Platz, wobei die Sanierungsarbeiten unter Leitung des Denkmalschützers Manfred Wehdorn vonstatten gehen. Der renommierte Professor der Wiener TU hatte sich zuvor mit der Wiedergewinnung der 1992 durch Großbrand zerstörten Redoutensäle der Hofburg enorme Reputation bei den konservativen Wienern erworben.

Die nach langem Anlauf in jüngster Zeit mit Großaufträgen verwöhnten Ortner-Brüder halten sich an die zuvor keck überspielte Maßgabe, die Fernwirkung des Barockensembles an der Nahtstelle von Kaiserstadt und 7. Gemeindebezirk nicht zu stören. Die beiden Museumsbauten erobern nun in mehrgeschossigen Kellern, was sie an Höhe einbüßen mussten. Zwei recht gleichgewichtige, doch im Auftreten gegensätzliche Bauten stehen einander links und rechts der Mittelachse des lang gestreckten Areals gegenüber. Makellos weiß strahlt links der Kubus des Leopold-Museums, in stumpfem Schwarz hält das scheinbar dachlos gewölbte Volumen des Moderne-Museums rechts dagegen. Beide Gebäude stehen zum barocken Grundplan in leichtem, doch höchst spürbaren Winkel. Das genügt, um ihre Neuzeitlichkeit gegenüber dem historischen Bestand zu betonen. Im weit gespannten Areal der Vergangenheit stellt sich die viel beschworene "Synthese von Alt und Neu" zum Glück ohne Kleinmut ein.

Ihre Gebäudeanschlüsse - die es gleichwohl geben musste - betonen die Eigenständigkeit - und setzen genau damit das Historische und das Zeitgenössische in ihr jeweiliges Recht. Durch Treppenanlagen, die bei beiden Museen seitlich zu den Eingängen führen, wird zugleich der Niveauunterschied zum dicht besiedelten 7. Bezirk - übrigens mit dem treffenden Namen "Neubau"! - genommen, der erstmals mit zwei Eingängen Zugang zum Areal erhält.

Leopolds Reich schwelgt in weißem Muschelkalk, der, etwas gröber geschliffen, die Fassaden des kantigen Blocks bedeckt und, etwas feiner, sämtliche Innenwände der Verkehrsflächen einschließlich Böden, Decken und Treppenstufen. Den Kern des Hauses bildet ein 26 Meter hohes, glasdachbelichtetes und im Übrigen vollständig kunstfreies Atrium. Drumherum ordnen sich in den Obergeschossen die Ausstellungssäle, die durch erstaunlich zahlreiche Fensterausblicke nach draußen, aber teils auch in den Lichthof gewähren. Überhaupt ist Tageslicht ein "Thema" des Gebäudes. Selbst zwischen den Ausstellungsebenen gibt es Öffnungen, weniger der Belichtung halber, die die Kunstwerke dann doch von gleichmäßig dosiertem Kunstlicht empfangen, als der Sichtverbindung der Räume untereinander.

Im Kontrast dazu nimmt sich das Museum moderner Kunst als dunkle Höhle zurück, selbst wenn sich hinter dem niedrigen Eingang eine haushohe Treppen- und Aufzugshalle öffnet. Die anthrazitgraue Basaltlava der (nahezu fensterlosen) Fassaden, die Ortner & Ortner zum großen Unmut einheimischer Steinbruchbesitzer in der deutschen Eifel entdeckt haben, scheint das Licht geradewegs zu schlucken. In Gusseisen allzu ostentativ als Industriebau deklarierte Treppen verstärken das Gefühl, hier sei Kunst nur in harter Arbeit zu besichtigen. Man sieht die nackte Konstruktion der Aufzüge, ja selbst der unter dem Dach vertäuten Reinigungsbühne. Gläserne, geländerlose Brüstungen und gusseiserne Gitterroste auf den Brückenstegen vor den Aufzügen fordern vom Besucher Schwindelfreiheit. Welche Erleichterung, dass die auf fünf Ebenen verteilten großen und die gar auf sieben Geschossen gestapelten kleinen Galerien im neutralen Weiß der Moderne Entspannung gewähren. Zumal das oberste Geschoss unter der Wölbung des teilverglasten Daches verspricht eine wirkungsvolle Bühne für die Gegenwartskunst zu bilden.

Die Nutzer des MQ sind rechtlich autonom und arbeiten mit eigenen Budgets. Um aber das Potenzial dieses Kulturkonglomerats zu nutzen, gibt es eine Dachgesellschaft, die unter der Leitung Wolfgang Waldners - zuvor in New York tätig - ein ausgefeiltes Marketing betreibt. Denn die für den Gesamtkomplex prognostizierten 1,1 Millionen Jahresbesucher werden nur kommen - und ihr Geld beim Kauf der Eintrittsbillets, in den Shops oder den acht Cafés lassen -, wenn sie ein Angebot vorfinden, das mehr ist als die Summe seiner von Fischer von Erlachs Mauern umfriedeten Teile.

Mit dem MQ - so Kulturministerin Elisabeth Gehrer bei der Übergabe der Bauten - soll "der Stellenwert Wiens als Kulturhauptstadt in der Mitte Europas weiter gefestigt werden". Die Politik setzt auf das Zugpferd Leopold. Kultur und Tourismus, sie sind in der Donaumetropole ein im Zeichen des Museumsquartiers vereintes Zwillingspaar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false